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News: Eine harmonische "Ménage à trois"

In einer Symbiose gibt es meist zwei Partner, Wirt und Symbiont, die wechselseitig voneinander profitieren. Bislang glaubte man, dass Symbiosen mit mehr als zwei Partnern für den Wirt nachteilig wären. "Konkurrenzkämpfe" um Raum und Nahrung würden zu Lasten des Wirts gehen. Wissenschaftler berichten jetzt über einen Fall von Symbiose, in dem zwei verschiedene Symbionten nicht nur in Frieden in einem Wirt logieren, sondern alle drei Partner auch noch voneinander profitieren.
Ohne Symbiosen hätte sich das Leben auf der Erde nicht entwickeln können. Symbiosen zwischen Bakterien und primitiven Einzellern waren entscheidend für die Ausbreitung und Evolution von vielzelligen eukaryontischen Organismen. Noch heute beherbergt jede menschliche Zelle mit den Mitochondrien die Nachfahren früherer bakterieller Symbionten. Ohne Mitochondrien könnte der Mensch nicht atmen. Auch in der jüngeren Evolutionsgeschichte entstanden zahlreiche Partnerschaften zwischen Bakterien und Eukaryonten; so gibt es heute kaum eine Pflanzen- oder Tiergruppe, die nicht von bakteriellen Symbionten profitiert. Diese ungeheure Vielfalt von bakteriellen Symbiosen im Pflanzen- und Tierreich entdeckte man erst vor etwa zehn Jahren mit der Einführung kultivierungsunabhängiger molekularbiologischer Methoden in der Mikrobiologie. Da sich die meisten symbiontischen Bakterien nicht kultivieren lassen, wusste man zuvor wenig über ihre Identität und Funktion.

Seit mehreren Jahren arbeitet Nicole Dubilier am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie gemeinsam mit Olav Giere von der Universität Hamburg und Christer Erséus vom Swedish Museum of Natural History an Symbiosen in so genannten oligochaeten Würmern. Diese marinen Vettern der Regenwürmer besitzen weder einen Mund noch einen Darm und sind für ihre Ernährung auf ihre symbiontischen Partner angewiesen. Alle darmlosen Oligochaeten beherbergen in ihrem Inneren sulfidoxidierende Mikroorganismen als primäre Symbionten und wurden bislang nur in schwefelwasserstoffhaltigen Meeresböden gefunden. In den marinen Sedimenten entsteht Sulfid hauptsächlich durch die Aktivität von sulfatreduzierenden Bakterien. Diese Bakterien wiederum benutzen für ihren Stoffwechsel organische Kohlenstoffverbindungen als Energiequelle und Sulfat als Oxidationsmittel (Elektronenakzeptor), das dabei zu Sulfid reduziert wird.

Sulfid ist für die meisten Tiere giftig. Die symbiontischen Schwefelbakterien in den darmlosen Oligochaeten leben vom Sulfid und oxidieren ihn zu unschädlichen Produkten. Die dabei gewonnene Energie benutzen die Bakterien, um CO2 in organische Verbindungen zu fixieren. Diese wiederum werden von den Würmern aufgenommen und verdaut. Diesen Stoffwechselweg der Bakterien nennt man Chemosynthese, vergleichbar der Photosynthese, bei der ebenfalls CO2 in organische Verbindungen fixiert wird – allerdings mit Licht statt mit Sulfid als Energiequelle. Chemosynthetische Bakterien, die auch in anderen Meerestieren, wie zum Beispiel in Muscheln und Schnecken vorkommen, wurden erst vor etwa 20 Jahren an heißen Quellen in der Tiefsee entdeckt.

Eine unabdingbare Voraussetzung für alle chemosynthetischen Symbiosen ist, dass reduzierte Schwefelverbindungen wie Sulfid in der Umgebung vorhanden sind, denn ohne diese Energiequelle können die Bakterien ihre Wirte nicht versorgen und sie würden verhungern. "Wir waren deshalb sehr überrascht, als wir vor der Küste Elbas diesen Wurm mit chemosynthetischen Symbionten entdeckten. Denn in seiner Umgebung konnten wir keinen Schwefelwasserstoff nachweisen.", erklärt Dubilier, die für das Projekt verantwortliche Wissenschaftlerin. "Diese Würmer leben in der Nähe von Seegrasfeldern in grobem Sand in einer Wassertiefe von acht bis zehn Metern zwischen fünf und fünfzehn Zentimeter tief im Meeresboden. Direkt unter der Haut dieser Würmer haben wir neben den bereits bekannten sulfidoxidierenden Symbionten neuartige Sulfid-produzierende Bakterien als 'Zweitpartner' entdeckt."

Wie funktioniert diese ungewöhnliche Partnerschaft im Einzelnen? Die sulfatreduzierenden Bakterien produzieren Schwefelwasserstoff, der von den eng benachbarten sulfidoxidierenden Bakterien aufgenommen wird. Diese verwandeln den Schwefelwasserstoff in oxidierte Schwefelverbindungen wie zum Beispiel Sulfat. Die oxidierten Schwefelverbindungen wiederum werden von den sulfatreduzierenden Symbionten aufgenommen und in reduzierte Schwefelverbindungen wie zum Beispiel Sulfid umgewandelt. So entsteht ein zyklischer oder syntropher Schwefelkreislauf, der auf den ersten Blick wie ein "Perpetuum mobile" wirkt. Tatsächlich aber müssen die sulfatreduzierenden Bakterien zuerst Energie von außen – in Form von organischen Kohlenstoffverbindungen – aufnehmen, damit der Wurm wachsen kann.

Durch den zyklischen Austausch von Stoffwechselprodukten zwischen beiden Bakterienarten können diese gemeinsam mehr Energie produzieren als ohne ihren Partner. Diese zusätzliche Energie kommt dem Wirt zu Gute. Für ihn ist zudem von Vorteil, dass die sulfatreduzierenden Bakterien ihm lästige Stoffwechselprodukte abnehmen, die er sonst ausscheiden müsste. So aber kann der Wurm seine Stoffwechselprodukte durch "symbiontisches Recycling" intern weiter verwerten – und spart auch dabei Energie. Diese Partnerschaft hat noch einen weiteren Vorteil: Dank der sulfatreduzierenden Bakterien haben die Würmer und ihre primären sulfidoxidierenden "Mitbewohner" stets eine innere Schwefelwasserstoffquelle bei der Hand. Damit sind sie in der Lage, auch Habitate ohne hohe Sulfidvorkommen zu besiedeln und somit ihren Lebensraum auszuweiten.

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