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Kampf ums Weiße Haus : Die Front in den Köpfen

Mehr denn je stehen sich bei dieser US-Präsidentschaftswahl zwei Lager unversöhnlich gegenüber. Woran liegt das? Vier psychologische Erkenntnisse helfen, die politische Spaltung der Nation besser zu verstehen.
Dunkle Wolken über dem Weißen Haus

Lügen, noch mehr Lügen, persönliche Attacken: Der Wahlkampf in den USA glich einer Schlammschlacht. »The Great American Shitshow«, so kommentierte das Onlinemagazin BuzzFeed die chaotische erste TV-Debatte. Präsident Donald Trump nennt seinen demokratischen Herausforderer Joe Biden gern »Sleepy Joe«. Für diesen wiederum ist Trump ein »Clown«, der »nicht mehr alle Tassen im Schrank« habe.

Die Bruchlinien verlaufen nicht nur zwischen den beiden Kandidaten, sondern ziehen sich quer durch die Nation – zwischen Stadt- und Landbevölkerung, Baby-Boomern und Millennials, Weißen und ethnischen Minderheiten, Arbeiterschicht und akademischen Kreisen. Der Zwist um die politische Zukunft des Landes verhagelt Familienfeste und zerreißt Freundeskreise. Viele Hausbewohner zieren ihre Vorgärten mit Reklametafeln für »ihren« Kandidaten.

Doch was bringt Menschen überhaupt dazu, für eine bestimmte politische Richtung einzustehen? Und warum fällt es den beiden großen Parteien in den USA so schwer, bei strittigen Punkten auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen?

Donald Trump und Joe Biden im US-Wahlkampf 2020 | Bei der hitzigen ersten TV-Debatte gab keiner der beiden Kontrahenten ein gutes Bild ab.

Es gibt vielerlei Versuche, diese Entwicklungen zu deuten – etwa mit ökonomischen, politikwissenschaftlichen oder soziologischen Ansätzen. Doch auch persönliche Einschätzungen und Urteile spielen bei Wahlentscheidungen eine gewichtige Rolle. Die Sozialpsychologie beschäftigt sich schon seit Längerem mit der Frage, wie Menschen überhaupt zu ihren Einstellungen kommen und was die Dynamiken zwischen politischen Gruppen prägt. Die folgenden vier Forschungsansätze helfen, die politische Spaltung der USA besser zu verstehen.

1. Polarisierung: Wir gegen die anderen

Wären Sie unzufrieden, wenn Ihr eigenes Kind einen Vertreter der gegnerischen politischen Gruppe heiratet? Im Jahr 1960 bejahten dies lediglich vier Prozent aller befragten Parteianhänger in den USA. Seitdem hat sich die Lage deutlich verändert. Laut einer Umfrage aus dem Jahr 2018 wären 45 Prozent der Demokraten und 35 Prozent der Republikaner verstimmt, wenn ihr Sprössling mit einem politischen Rivalen vor den Traualtar träte. Der Graben zwischen den politischen Lagern ist so tief wie noch nie.

Das ist wohl kaum ein Problem, das allein Donald Trump anzulasten ist. Vielmehr ist es das Ergebnis einer jahrzehntelangen Entwicklung. Dazu lohnt sich ein Blick auf die Zustimmungswerte der amtierenden Präsidenten im Lauf der Jahrzehnte. In den 1960er und 1970er Jahren unterschieden sich Anhänger der Republikaner und Demokraten eher moderat in ihrem Urteil über den jeweiligen Amtsinhaber. Mit der Zeit drifteten die Zahlen aber auseinander: Liberale und konservative Wähler hielten in den Umfragen immer vehementer zu »ihrem« Präsidenten und lehnten den der Gegenseite zunehmend stärker ab.

Zudem entkoppelten sich die Zustimmungswerte immer stärker von den Erfolgen des jeweiligen Präsidenten: Hing die Beliebtheit von George W. Bush und Bill Clinton noch messbar von der ökonomischen Lage des Landes ab, ließen sich die jeweiligen Gegner von Barack Obama beziehungsweise Donald Trump auch von einer guten Wirtschaftsprognose nicht mehr beeindrucken. Das ergab eine Datenanalyse von Kathleen Donovan und ihrem Team von der Appalachian State University aus dem Jahr 2019. Laut der Forscherin spricht der Befund für eine zunehmende Polarisierung. Nicht nur die politischen Eliten, auch ihre Anhänger in der Bevölkerung würden sich immer weiter voneinander entfernen.

Eine mögliche Deutung liefert die Theorie der sozialen Identität: Diese besagt, dass wir unser Selbstkonzept aus der Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen zusammensetzen. Wir identifizieren uns beispielsweise mit einem Fußballverein, einer Religion – oder eben mit einer Partei. Der Theorie zufolge formt die erlebte Gruppenzugehörigkeit unseren Blick auf die Welt. Wir schauen wärmer auf Mitglieder unserer Gruppe, beargwöhnen Außenstehende und werden schnell parteiisch, wenn es um unsere Gruppe geht.

Im Extremfall entsteht auf diese Weise ein »Wir gegen die«-Gefühl, das kaum noch Raum für Zwischentöne lässt. Bei der anstehenden US-Wahl fällt auf, wie sehr sich die beiden Kandidaten aneinander abarbeiten und Sachthemen dabei in den Hintergrund rücken. Das faktische Zweiparteiensystem der USA, welches die vielfältigen politischen Strömungen im Land auf eine binäre Entscheidung verengt und unabhängigen Präsidentschaftskandidaten wenig Chancen lässt, dürfte diese Polarisierung ebenfalls befeuern.

2. Bumerang-Effekt: Meine Meinung gehört mir

Bei vielen politischen Streitthemen der vergangenen Jahre fiel auf: Es stehen nicht mehr allein Meinungen zur Disposition, sondern oft auch die zu Grunde liegenden Tatsachen. Zuweilen konnten sich gegnerische Seiten nicht einmal mehr auf eine gemeinsame Faktenbasis einigen: Haben ausländische Kräfte die Präsidentschaftswahl 2016 beeinflusst, oder war das alles nur medial aufgebauscht? Bedroht uns das neuartige Coronavirus, oder ist es kaum gefährlicher als eine gewöhnliche Grippe?

Besonders deutlich zeigt sich dieses Problem in der Klimapolitik, einem zentralen Streitpunkt zwischen den beiden großen US-Parteien. 54 Prozent aller Demokraten, aber nur 15 Prozent aller Republikaner sprechen dem Thema Klimawandel eine »hohe Priorität« zu. Das ergab eine Umfrage des Pew Research Center aus dem Jahr 2015. Donald Trump, der 2017 aus dem Pariser Klimaabkommen ausstieg, nannte die globale Erwärmung gar einen »teuren Scherz«. So manchem Anhänger dürfte das gefallen haben. Denn obwohl sich Experten über den menschengemachten Klimawandel weitestgehend einig sind, zweifeln einige Republikaner weiterhin daran.

Quer durch das politische Spektrum gilt: Menschen mit starken Meinungen machen gern dicht, wenn sie auf konträre Informationen stoßen

Was bringt Menschen dazu, das Offensichtliche in Zweifel zu ziehen? Psychologen erklären dies häufig mit einem Phänomen namens »motivated reasoning« (etwa: motiviertes Schlussfolgern). Demzufolge gehen wir mit neuen Informationen folgendermaßen um: Wir vermeiden drohende negative Gefühle möglichst und maximieren positive Gefühle. Deshalb glauben wir eher an Dinge, die sich nahtlos in unser Weltbild einfügen, und begegnen Nachrichten kritischer, wenn sie unsere eigene Weltsicht durchkreuzen. Quer durch das politische Spektrum gilt: Menschen mit starken Meinungen machen gern dicht, wenn sie auf konträre Informationen stoßen.

Das zeigt eine Studie der Politikwissenschaftler Toby Bolsen und James Druckman aus dem Jahr 2018: Die Versuchspersonen sollten einen Text lesen, der auf den starken Konsens in der Forschungsgemeinde zum menschengemachten Klimawandel hinwies. Die befragten Demokraten waren nach der Lektüre stärker davon überzeugt, dass der menschengemachte Klimawandel real ist – ebenso wie Republikaner mit geringer politischer Bildung. Anders verhielt es sich bei Republikanern mit einem großen Politikwissen: Sie ließen sich durch den Text nicht beeindrucken und behielten ihre Skepsis bei.

Manchmal ziehen sich Menschen sogar noch weiter auf ihren bisherigen Standpunkt zurück, wenn dieser angezweifelt wird. Diesen »Bumerang-Effekt« konnte Jack Zhou von der Duke University 2016 in einem Experiment mit knapp 500 US-Republikanern demonstrieren. Die Probanden sollten einen kurzen Text lesen, der auf die Dringlichkeit hinwies, etwas gegen den Klimawandel zu tun. In einer Variante stammte der Aufruf angeblich von einem demokratischen, in einer anderen Variante von einem republikanischen Ex-Kongressabgeordneten. Das Ergebnis war in beiden Fällen ähnlich: Nach dem Lesen des Papiers lehnten es die Teilnehmer nur umso stärker ab, dass die Regierung Maßnahmen zum Klimaschutz ergreift. Auch bei anderen politischen Konfliktpunkten, etwa der Regulierung von Waffenbesitz, konnten Forscher einen solchen Bumerang-Effekt nachweisen. Diese Befunde zeigen, wie schwer es sein kann, Menschen zum Umdenken zu bewegen, und dass auch gut gemeinte Überzeugungsversuche schnell nach hinten losgehen können.

3. Unsicherheitstoleranz: Die Welt, ein bedrohlicher Ort

Das Gesundheitssystem, das Einwanderungsrecht, die Black-Lives-Matter-Bewegung: Es gibt zahlreiche Themen, um die sich das liberale und das konservative Amerika streiten. Doch woran liegt es, dass sich Menschen auf eine bestimmte Position einfahren – und nicht auf die gegenteilige? Um das zu beantworten, hat der Sozialpsychologe John Jost von der New York University fast 300 Studien zusammengetragen und ausgewertet. Das Fazit seiner Überblicksarbeit: Menschen wählen ihre Überzeugungen so, dass sie zu ihren ganz persönlichen Wünschen und Eigenschaften passen. Laut seiner Metastudie haben Konservative beispielsweise ein hohes Bedürfnis nach Ordnung und Struktur und sind in ihrem Denken oftmals starrer. Liberal orientierte Menschen sind eher bereit, gewisse Unsicherheiten und Unwägbarkeiten in Kauf zu nehmen.

Dieses Muster offenbart sich auch in der Debatte um die Waffengesetze. Während viele republikanische Politiker das Recht auf privaten Waffenbesitz nicht antasten wollen, setzt sich die demokratische Partei für eine stärkere Regulierung ein. Auch in der Bevölkerung scheiden sich bei diesem Thema die Geister: Laut einer Befragung haben 57 Prozent aller Republikaner, aber nur 25 Prozent aller Demokraten eine Schusswaffe in ihrem Haushalt. Die meisten von ihnen treibt vor allem der Wunsch nach Selbstverteidigung an: Rund zwei Drittel der Teilnehmer berichteten, ihre Waffe zum persönlichen Schutz zu tragen. Andere Beweggründe – etwa der Jagdsport – spielten eine untergeordnete Rolle. Die Ironie dabei: Statistisch gesehen schützen Schusswaffen im eigenen Haushalt keineswegs vor Gefahren, sondern stellen selbst ein großes Risiko dar. Warum rüsten dennoch so viele US-Amerikaner ihren privaten Haushalt auf?

»Wer Schusswaffen zur Selbstverteidigung besitzt, verwendet seine Waffe als symbolisches Hilfsmittel, um psychische Bedrohungen zu bewältigen«
Nicholas Buttrick, University of Virginia

Nicholas Buttrick von der University of Virginia vermutet, dass sich diese Waffenbesitzer von zwei Annahmen leiten lassen. Erstens: Die Welt ist ein gefährlicher Ort. Und zweitens: Die Regierung ist so kaputt, dass sie die Bevölkerung nicht mehr vor Gefahren schützen kann. »Wer Schusswaffen zur Selbstverteidigung besitzt, verwendet seine Waffe als symbolisches Hilfsmittel, um psychische Bedrohungen zu bewältigen«, argumentiert der Forscher in einem kürzlich erschienenen Artikel.

Verschiedene Studien stützen seine These. Der Sozialpsychologe James Shepperd von der University of Florida befragte mit seinem Team mehr als 11 000 Angehörige seiner Hochschule zu ihrem Sicherheitsempfinden. Das Ergebnis: Gerade jene Teilnehmer, die eine Feuerwaffe zum eigenen Schutz besaßen, wähnten sich auf dem Campus besonders unsicher. Diese Gruppe setzte sich verstärkt dafür ein, das Universitätsgelände auch bewaffnet betreten zu dürfen. Wer seine Waffe nur zum Sportschießen verwendete oder überhaupt keine besaß, fühlte sich auf dem Campus hingegen sicherer.

Der Glaube, in einer bedrohlichen Welt zu leben und sich notfalls selbst verteidigen zu müssen, ist unter US-Republikanern durchaus verbreitet. Möglicherweise sind Konservative auch generell sensibler für mögliche Gefahren. Das legt ein kurioses Experiment des Politologen Douglas Oxley und seiner Kollegen von der University of Nebraska nahe. Zuerst sollten die knapp 50 Teilnehmer Fragebogen zu ihren politischen Einstellungen ausfüllen. Zwei Monate später folgte eine Einladung ins Versuchslabor, wo ein unappetitlicher Test auf sie wartete: Über einen Monitor bekamen sie Horrorbilder zu sehen, etwa von einem blutenden Kopf oder einer offenen Wunde mit Maden. Ein Sensor registrierte, wie sehr sie dabei ins Schwitzen kamen. Außerdem maßen die Forscher, wie stark die Probanden nach einem lauten Geräusch mit den Augenlidern zuckten.

Die Auswertung brachte Erstaunliches zu Tage: Wer besonders empfindlich auf die unangenehmen Reize reagierte, sprach sich häufiger für eine harsche Law-and-Order-Politik aus. Diese Versuchspersonen wollten beispielsweise mehr Gelder fürs Militär, waren für die Todesstrafe und gegen die Homo-Ehe. Wen die Drohsignale aus dem Labor vergleichsweise kaltließen, sympathisierte eher mit linken Ideen. Diese Teilnehmer forderten häufiger legale Abtreibungen, einen streng regulierten Waffenbesitz oder ein offenes Einwanderungsrecht. Das legt laut den Autoren den Schluss nahe, dass politische Ansichten zu einem gewissen Grad mit physiologischen Merkmalen zusammenhängen. Wer empfindlicher auf Bedrohungen reagiert, vertritt häufig ein eher repressives Politikverständnis – und umgekehrt. Ob diese physiologischen Eigenheiten auch ursächlich zu den politischen Einstellungsmustern beitragen, lässt die Studie allerdings offen.

4. Depolarisierung: Die Risse wieder glätten?

Das Ideal der Demokratie wird gern als ein Wettstreit verschiedener Ideen beschrieben, in dem sich die Wählerinnen und Wähler unvoreingenommen für das überzeugendere Programm entscheiden. Die Realität ist komplizierter. Die Forschung zeigt, wie eng unsere politischen Haltungen mit bestimmten Bedürfnissen, Charakterzügen, sogar mit physiologischen Merkmalen verwoben sind. Gruppendynamiken und kognitive Verzerrungen tragen dazu bei, dass Menschen im Eifer des Meinungsgefechts für Argumente unzugänglich sind und sich die politischen Lager zunehmend entfremden. Viele der Debatten, die den aktuellen US-Wahlkampf prägen, legen tiefe Risse in der US-amerikanischen Gesellschaft offen.

Dabei tun sich durchaus Chancen auf, dass sich rivalisierende Gruppen einander wieder annähern. Eine davon ist die Corona-Krise. Bei allem Leid, das die Pandemie verursacht, trägt sie auch das Potenzial für eine gesellschaftliche Depolarisierung in sich. Wie diese gelingen könnte, skizziert ein Gemeinschaftstext von mehr als 40 Forscherinnen und Forschern, der im Mai 2020 in der Fachzeitschrift »Nature Human Behaviour« erschien. Der Artikel beschreibt sozialwissenschaftliche Ansätze, die die Folgen der Krise abmildern könnten. Eine der Ideen lautet, nun verstärkt an den Gemeinschaftssinn zu appellieren und die geteilte Gruppenidentität hervorzuheben – ohne dabei Außenstehende abzuwerten. »Führungspersonen können hier als Vorbilder dienen und Menschen dazu motivieren, ihre eigenen Werte in die Tat umzusetzen«, heißt es im Text.

Doch auch ein gegenteiliges Szenario sei vorstellbar, warnen die Autorinnen und Autoren: Ein »kollektiver Narzissmus« könnte dazu führen, dass Fremde für die Krise verantwortlich gemacht würden oder dass es wichtiger werde, das Bild des eigenen Landes sauber zu halten, als sich um die eigene Bevölkerung zu kümmern. Auf diesen Pfad begibt sich Donald Trump, wenn er beispielsweise von dem »chinesischen Virus« spricht oder die Sorge äußert, die vielen Testungen könnten die USA »schlecht aussehen« lassen. Die Krise birgt also das Risiko für eine noch tiefere Spaltung – aber ebenso die Chance für eine neue Form von Zusammenhalt. In welche Richtung es weitergeht, darüber entscheidet auch die anstehende Präsidentschaftswahl am 3. November.

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