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Meteorologie: Eine wachsame Flotte in luftleerer Höhe

Seit 1977 betrachtet Europa sein Wettergeschehen mit eigenen Satelliten aus der Erdumlaufbahn. Von den Meteorologen unten auf der Erde wird inzwischen mehr erwartet als nur eine Vorhersage für den geplanten Sonntagsausflug - auch vor drohenden Orkanen und heftigen Gewittern muss frühzeitig gewarnt werden. Und weil sich extreme Unwetter häufen, und der Wind immer noch weht, wohin er will, sind gute Messinstrumente nie gut genug. Mit seinen neuen Satelliten rüstet Europa kräftig auf. Kontrolliert werden die technischen Wunderwerke in der Eumetsat-Zentrale in Darmstadt.
Blick auf Europa
April. Gestern räkelten sich die Leute noch wohlig auf den Parkbänken in der warmen Frühlingssonne. Heute treibt ein heftiger Gewitterregen alle klatschnass zurück in die Wohnungen, die Bäume biegen sich vom Wind gepeitscht, und auf der Straße wachsen die Pfützen beinah zu Ententeichgröße. Nix mit Picknick, schimpfen die einen, und saukalt geworden ist es, keifen die nächsten. Bei anderen keimt Hoffnung: Die im Fernsehen sagen, übermorgen wird es wieder besser, jedenfalls bis Freitag – aber dann am Wochenende, brrr ... und so weiter und so fort.

Während das unbeständige Aprilwetter den Hiesigen genügend Stoff für empörte Konversation liefert, beobachtet woanders ein wachsames Auge das Geschehen sehr viel nüchterner. Dort geht es weniger wechselhaft zu: Keine Wolken, kein Wind, nein, gar kein Wetter, dafür aber mit etwa 270 Grad minus klirrend kalt.

Ausblick von Meteosat | So erscheint die Welt durch die scharfen Augen von Meteosat-8 betrachtet.
Das Auge gehört Meteosat-8, dem europäischen Wettersatelliten, der im Januar 2004 offiziell seinen Dienst 36 000 Kilometer oberhalb des Äquators aufgenommen hat. Nullter Breitengrad, 3,4 Grad westlicher Länge – diese Koordinaten positionieren ihn über dem Golf von Guinea, der großen Bucht am Knick des afrikanischen Kontinents. Herunter aus dem geostationären Orbit sendet er seine Daten zum Kontrollzentrum der europäischen Wettersatelliten-Organisation (Eumetsat) in Darmstadt, wo sich Zeile für Zeile auf einem Großbildschirm alle 15 Minuten ein neues Foto der meteorologischen Situation aufbaut. Teile Südamerikas, ganz Afrika, Europa, den Nahen Osten und natürlich den Nordatlantik, die Wetterküche Europas, hat der Beobachter aus dem All im Blick

Wasserdampfhülle | Die Venus? Nein, die Dynamik des irdischen Wasserdampfgehalts in fünf bis zehn Kilometern Höhe
Der Präsident des Deutschen Wetterdienstes (DWD), Udo Gärtner, erklärt stolz: "Meteosat-8 sieht mehr, kann mehr und ist schneller." Die farbenprächtig flackernden Grafiken auf den zahllosen Monitoren in der Darmstädter Eumetsat-Bodenstation lassen das erahnen. Der erste Vertreter einer neuen Generation von künstlichen Trabanten nimmt die turbulente Lufthülle der Erde gleichzeitig in zwölf Spektralbereichen unter die Lupe – die Vorgängermodelle brachten es nur auf drei Kanäle. Meteosat-8 fotografiert in mehreren Wellenlängen des sichtbaren und infraroten Spektrums, scannt den Wasserdampfgehalt und hat ein neuartiges Radiometer an Bord. Dieses gibt zum Beispiel Aufschluss über die Verteilung atmosphärischer Gase sowie über das Verhältnis zwischen der von der Sonne eingestrahlten Energie und dem davon wieder reflektierten Anteil.

Im neuen Licht

Die solar angetriebene irdische Wettermaschine erscheint aus der Meteosat-8-Perspektive in einem ganz neuen Licht. So erlaubt die Überlagerung von Aufnahmen verschiedener Spektralbereiche, ganz bestimmte Phänomene, wie tiefe Wolken und Nebel oder Vereisungszonen, zu beobachten. Dadurch können in Darmstadt Gefährdungen für Straßen- und Flugverkehr frühzeitig erkannt werden. Die relevanten Daten werden von der Eumetsat-Zentrale fast in Echtzeit an Vorhersage- und Warndienste verschickt. Vom Satelliten nach Darmstadt, wo eine automatische Aufbereitung des gesendeten Rohmaterials stattfindet, und weiter zum Verwerter sind die Wetterinformationen maximal fünf Minuten unterwegs.

Sandsturm überm Atlantik | Ein auf den Atlantik hinauswehender Sandsturm, durch verschiedene Spektralkanäle beobachtet
Die schärferen Augen des Satelliten erleichtern zudem das automatisierte Verarbeiten der Daten. In der höchsten Auflösung können Strukturen von einem Kilometer Abmessung erkannt werden. Die Konsequenz zeigt sich auf einem Monitor in der Eumetsat-Kommandozentrale, der einem Wolkenwirbel über den Kanaren zeigt. Ein Computerprogramm übersät das Live-Bild des Zyklons mit vielen kleinen gezähnten Pfeilen. Die Software erkennt einzelne Wolkengebilde und berechnet aus dem Vergleich aufeinander folgender Aufnahmen die Geschwindigkeit der Bewegung – die Pfeile sind Windvektoren. Weil mit der höheren Auflösung die dynamischen Objekte präziser erfasst werden und alle 15 Minuten ein Bild eingeht, statt wie bisher alle halbe Stunde, verliert die Software nicht so leicht die Fühlung zu den Wolken, wenn diese etwa zerfasern oder sich auflösen.

Meteosat-8 | Der zwei Tonnen schwere Meteosat der zweiten Generation
Die rasche Auffassungsgabe des Satelliten ist mehr als technische Spielerei der Konstrukteure. Die neu installierten Features erlauben eine genauere Vorhersage und ein schnelleres Erkennen von sich anbahnenden Naturkatstrophen. Zudem deckt die Beobachtung durch Meteosat-8 nun auch Gebiete ab, die bislang noch weitgehend weiße Flecken auf der meteorologischen Landkarte waren. Dazu gehören weite Flächen der Ozeane oder des Inneren Afrikas.

Schräger Blick

Allerdings ist der Winkel, in dem Meteosat-8 in die sehr nördlichen und südlichen Gegenden schaut, sehr schräg, sodass er das Geschehen in den Polarregionen nicht mehr ausreichend erfasst. Deshalb startet Eumetsat 2006 für diese Gebiete mit den Metop-Satelliten ein spezielles Programm. Diese werden die kalten Kappen der Erde in einem viel niedrigerem Orbit überfliegen. Aus knapp tausend Kilometern Höhe können sie nicht nur beobachten, sondern aktive Messungen vornehmen. So strahlen sie Mikrowellen ab, und ihre Instrumente extrahieren aus den empfangenen Echos aufschlussreiche Parameter über die Schichtung der arktischen Atmosphäre. Bis zu 25 verschiedene Lagen sollen die Metop-Satelliten so unterscheiden und beizeiten registrieren, wenn etwa eine wärmere Höhenschicht eine aufsteigende Luftströmung bremst und Polarluft nach Süden ablenkt.

Metop | 110 Minuten werden die Metop-Satelliten für eine Erdumkreisung benötigen.
Das Projekt einer umfassenden Satellitenüberwachung hat natürlich ihren Preis. Etwa 1,4 Milliarden Euro kosten die insgesamt vier Meteosats der zweiten Generation den europäischen Steuerzahler. Noch mal mit über einer Milliarde Euro schlägt das polare Satellitenprogramm zu Buche. Deutschland trägt dabei jährlich gut ein Fünftel des Eumetsat-Etats. Die Einnahmen, etwa durch den Verkauf von Lizensen an kommerzielle Kunden für die Datennutzung, betragen dagegen nur einen Bruchteil der Investitionen. Besonders kostspielig ist die Mehrfachbesetzung jeder Beobachterposition. Diese Redundanz ist nötig, falls ein Satellit ausfällt. Der neue Meteosat wird derzeit durch seinen Vorgänger Meteosat-7 gedeckt.

Kein ewiges Leben

Ein massiver Ausfall sei zwar bisher nicht vorgekommen, beruhigt DWD-Chef Gärtner. Bei der japanischen Satellitenflotte jedoch schon – ausgerechnet während der Taifun-Saison, ergänzt der Generaldirektor von Eumetsat, der Däne Lars Prahm. Wenn die neue Satellitengeneration komplett ins All geschossen ist, wird in Prahms Job immer noch mehr zu tun sein, als die großteils automatische Arbeit an Boden und Himmel zu verwalten. Denn die Trabanten leben nicht ewig – nach etwa sieben Jahren Daten funken haben sie ausgedient. "Danach manövrieren sie sich mit ihrem restlichen Treibstoff etwas außerhalb des geostationären Orbits auf eine Art Friedhof", erklärt Prahm. Ihren Sprit brauchen die Satelliten übrigens, um immer wieder Achsenstellung und Position zu korrigieren – sie neigen nämlich dazu, Richtung Indischer Ozean zu driften.

Über die Ozeane will Eumetsat bald noch eine dritte technische Kreation schicken: Jason-2. Dieser Satellit misst Wellenhöhen und diagnostiziert, ob der Meerespiegel steigt. Jason-1 gibt es – von den USA betrieben – unterdessen schon, und er bestätigt laut Eumetsat-Programmentwickler Ernst Koenemann: "Ja, der Meeresspiegel steigt." Der anthropogene Klimawandel und seine Folgen sind aus der Perspektive von DWD und Eumetsat schwerlich zu übersehen. Aus diesem Grunde werden die Satellitenobservationen auch für die Klimaforschung genutzt und dazu alle Beobachtungsdaten archiviert. Die gesammelten meteorologischen Größen wie Wärmeausstrahlung oder Wassergehalt in der Luft demonstrieren in der Zusammenschau die Dynamik innerhalb eines Tages, im Jahreslauf und über viele Jahre. Wissenschaftler können daraus Hinweise auf mögliche Rückkopplungen im System Erde erhalten.

Erfahrung zählt

Für das kurzfristige Geschehen – die tägliche Wettervorhersage im regionalen Rahmen – sind nach wie vor die klassischen Messverfahren mit bodennahen Stationen unentbehrlich. Wie die Satellitendaten auch, werden die traditionell gesammelten Werte dabei zunehmend Supercomputern für numerische Prognosen zugänglich gemacht. Ganz ohne Experten aus Fleisch und Blut, die mit Hilfe langjähriger Erfahrung die voraussichtliche Entwicklung mehrdeutiger Situationen persönlich einschätzen, kommt die Wettervorhersage vorerst aber nicht aus. Norbert Bonanati, Wetterprophet beim DWD, nennt die erforderliche Mischung Man-Machine-Mix.

Doch auch wenn Mensch und Maschine das Wetter immer treffender vorhersagen können – ändern können sie es noch nicht. "Derzeit laufen keine Projekte zur Wetterbeeinflussung", dämpft Udo Gärtner die Hoffnungen. Insofern wird es auch in Zukunft Unmut über Hagel, Frost oder zu große Hitze geben – nicht nur im April.

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