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News: Einfach nur rübertunneln

'Die Natur macht es so einfach wie möglich - aber nicht einfacher', soll Albert Einstein einmal gesagt haben. Demgemäß verdrängen in der Wissenschaft für gewöhnlich simplere Theorien ihre Vorläufermodelle, die durch neue experimentelle Ergebnisse zunehmend in Erklärungsnotstand geraten und immer komplizierter werden. Möglicherweise droht dieses Schicksal nun allen bisherigen Überlegungen zu der Frage, wie Proteine eigentlich Elektronen leiten. Es könnte sein, daß von den vielen Faktoren, die den Weg der Elementarteilchen beeinflussen, einzig die Entfernung zwischen Start- und Zielpunkt entscheidend für den Transfer ist. Die Elektronen tunneln einfach durch etwaige Barrieren.
Etwa ein Drittel der bekannten Proteine ist vorwiegend oder nebenbei damit beschäftigt, Elektronen zu transportieren. Ausgehend von einem Oxidationszentrum bewegen sich die Teilchen extrem schnell zu einem Reduktionszentrum in der Nähe. Nach Ansicht der Wissenschaftler kommt den umliegenden Molekülabschnitten und chemischen Gruppen dabei eine wichtige Rolle zu: Ihre Eigenschaften entscheiden darüber, ob ein bestimmter Weg geeignet ist, ob die Elektronen ihn überhaupt passieren können und wie schnell.

In Wirklichkeit läuft das alles jedoch viel einfacher ab, behauptet eine Arbeitsgruppe um P. Leslie Dutton von der University of Pennsylvania in einem Artikel in Nature vom 4. November 1999. Das Team hat sich aus den über 10 000 Proteinstrukturen in der Protein Data Bank (PDB) des Research Collaboratory for Structural Bioinformatics jene herausgesucht, die mehrere Redoxzentren tragen. Mit Hilfe statistischer Methoden überprüften sie die Daten auf verschiedene Größen, die für den Elektronentransfer von Belang sein sollten. Dazu gehörten die Energiebilanz des Transports, die Reorganisationsenergie der Atome, die sich auf die neue Situation nach dem Elektronenübergang einstellen müssen, die Packungsdichte der Atome zwischen den Redoxzentren sowie die Distanz zwischen Start und Ziel des Transfers. Nur dieser letzte Parameter, so stellten die Forscher fest, liegt bei allen analysierten Proteinen in einem festen Bereich: Der Abstand zwischen dem Oxidations- und dem Reduktionszentrum darf nicht größer sein als 1,4 Nanometer. Müssen Elektronen in einem Protein größere Distanzen überbrücken, befinden sich mehrere Redoxzentren hintereinander, so daß die Strecke in kleinere Einzeschritte unterteilt ist.

Zwischen den einzelnen Zentren bewegen sich die Elektronen durch "Tunneln" fort. Nach den Modellen der Quantenmechanik dehnt sich die Wellenfunktion eines Teilchens, und damit auch dessen Aufenthaltswahrscheinlichkeit, unendlich weit aus, wobei sie allerdings schon bei recht geringen Entfernungen sehr schnell verschwindend klein wird. Vereinfacht ausgedrückt ist ein Teilchen nicht nur an einem festen Ort, sondern es kann im nächsten Moment mit einer berechenbaren Wahrscheinlichkeit woanders sein. Im Prinzip könnte es überall auftauchen, doch sind allenfalls kleine Sprünge realistisch. Durch diesen Tunneleffekt hüpfen die Elektronen im Protein von einem Zentrum zum nächsten. Lediglich die Distanz dazwischen kann auf diesen Übergang Einfluß nehmen. "Für das Tunneln ist dies – und nur dies – die relevante Eigenschaft, an welche sich die Proteine im Laufe der Evolution angepaßt haben", sagte Dutton. Alle weiteren Charakteristika eines Weges sind durch andere Erfordernisse zu erklären, welche das Protein erfüllen muß.

Anscheinend hat sich die Natur für ein flexibles, robustes System entschieden, mit dem Elektronen in Proteinen transportiert werden, meinen die Forscher. Anzeichen für ein perfekt abgestimmtes Verfahren, das zwar effizienter, aber zugleich auch anfälliger für Mutationen wäre, haben sie jedenfalls nicht gefunden.

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