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Gentechnik: Eingebauter Notruf

Spinnmilben gehören nicht gerade zum Freundeskreis von Gärtnern und Landwirten. Raubmilben schon eher - vertilgen diese doch reichlich die ungeliebten Schädlinge. Manche Pflanzen locken von selbst die hungrigen Nützlinge an. Bei anderen lässt sich mit gentechnischen Tricks nachhelfen.
Raubmilbe im Einsatz
Wenn die weißen, filzigen Fäden an den Blattunterseiten auftauchen, dann ist es meist schon zu spät: Die Gemeine Spinnmilbe (Tetranychus urticae) hat zugeschlagen. Dabei ist ihr Gespinst, mit dem sie sich vor der Unbill des Wetters schützt, nicht das eigentliche Problem. Vielmehr lässt ihr ungezügelter Appetit auf Pflanzensäfte zahlreiche Blätter verdorren und schädigt damit die ganze Pflanze. Obstbäume, Kartoffeln, Bohnen, Wein, Hopfen und etliche Zierpflanzen stehen auf ihrer Speisekarte. Die wirtschaftlichen Schäden, welche die kleinen Spinnentiere verursachen, sind beträchtlich.

Manch einer möchte da gleich zur chemischen Keule greifen, doch Mutter Natur empfiehlt hier ein anderes Rezept: Raubmilben haben ihre spinnenden Verwandten zum Fressen gern. Die ursprünglich aus Chile stammende Raubmilbe Phytoseiulus persimilis schafft fünf erwachsene oder zwanzig jugendliche Spinnmilben pro Tag und wird daher gerne zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt.

Was dem Bauern recht ist, kann der Natur nur billig sein. Denn manche Pflanzen vermögen sich selbst gegen einen Spinnmilbenbefall zu wehren, indem sie einen chemischen Notruf absenden: Mit bestimmten Duftstoffen, so genannten Terpenen, locken sie hungrige Raubmilben an, die sich dann gierig auf die Spinnmilben stürzen. Schade nur, dass nicht alle Nutzpflanzen über diesen eingebauten Hilferuf verfügen.

Dem kann abgeholfen werden, dachte sich Iris Kappers. Zusammen mit ihren Kollegen von der niederländischen Universität Wageningen versuchte sie, Pflanzen mit dem SOS-Signal gentechnisch nachzurüsten. Als "Versuchskaninchen" diente zunächst keine Nutzpflanze, sondern die bei Genetikern und Pflanzenphysiologen sehr geschätzte Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana.

Aus Erdbeeren entnahmen die Forscher das Gen für das Enzym Sesquiterpen-Synthase und schleusten es in Arabidopsis-Mitochondrien ein. Denn praktischerweise produzieren diese Zellorganellen die Substanz Farnesylpyrophosphat, mit dem das Enzym die gewünschten Terpene bauen kann.

Die Nachrüstung verlief erfolgreich. Per Gaschromatografie konnten die Forscher nachweisen, dass aus den Blättern ihrer gentechnisch veränderten Pflanzen reichlich Terpene strömten. Auch die Raubwanzen ließen sich überzeugen: Vor die Wahl gestellt, krabbelten 388 von ihnen zum transgenen Kraut, während sich nur 197 auf der Wildform verirrten.

"Das ist so, als wenn Sie ständig die Feuerwehr rufen"
(Marcel Dicke)
Nach diesem "Proof-of-Principle-Experiment" wollen die Forscher das Gleiche mit Nutzpflanzen ausprobieren, die ebenfalls nicht gegen Spinnmilben gefeit sind. Allerdings, so schränken die Wissenschaftler ein, ist ihre gentechnische Nachrüstung für die Praxis noch recht unvollkommen. Denn die Duftstoffe riechen zwar für Raubwanzen äußerst verlockend, für menschliche Nasen dagegen weniger. Ihr Einsatz müsste sich daher zunächst auf Pflanzenteile beschränken, die nicht zum unmittelbaren Verzehr gedacht sind.

Außerdem setzt die Natur den chemischen Hilferuf nur bei Bedarf ein; die transgenen Pflanzen produzieren aber ständig Terpene – was früher oder später die Waffe stumpf werden lässt. "Das ist so, als wenn Sie ständig die Feuerwehr rufen", erklärt Mitautor Marcel Dicke. "Irgendwann kommt sie dann nicht mehr."

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