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News: Einmal Schmerz - immer Schmerz

Noch bis in die Mitte der Achtziger Jahre verzichteten Ärzte bei Operationen von Neugeborenen auf die Narkose. Denn sie glaubten, Kinder empfänden keinen Schmerz oder würden diesen zumindest schnell wieder vergessen. Versuche mit Ratten legen nun den Schluss nahe, dass es sich genau umgekehrt verhält: Erfuhren die Rattenbabys unmittelbar nach der Geburt einen Schmerz, bildeten sie mehr entsprechende Nervenleitungen und reagierten auch als erwachsene Tiere empfindlicher auf Reizmittel.
In den Vereinigten Staaten erblicken jedes Jahr über 400 000 Kinder zu früh das Licht der Welt, 25 000 davon extrem zu früh – vor der 28. Schwangerschaftswoche. Noch vor zehn bis fünfzehn Jahren überlebten die meisten von ihnen nicht. Dank des Fortschritts der medizinischen Technik ist das heute anders. Allerdings erleben die Winzlinge das Trauma, der Welt noch zu unreif entgegenzutreten. Außerdem erfordern die lebenserhaltenden Maßnahmen oft schmerzhafte Eingriffe und Verletzungen von Gewebe.

Möglicherweise hat das lebenslange Auswirkungen: Durch die frühen Reize könnte sich das Nervensystem dieser Kinder ganz anders entwickeln als bei denen, die nicht zu früh geboren werden. Zumindest legen Versuche mit Ratten, die Maryann Ruda und ihr Team vom National Institute of Dental and Cranofacial Research in Bethesda, Maryland, durchführten, diesen Schluss nahe. Die Wissenschaftler haben neugeborenen Ratten am ersten Tag nach ihrer Geburt – was der 24. Schwangerschaftswoche beim Menschen entspricht – ein Reizmittel in die linke Hinterpfote injiziert. Zum Vergleich haben sie 14 Tage alten Ratten – entsprechend dem menschlichen Jugendalter – die gleiche Substanz verabreicht. Die Symptome waren bei beiden Gruppen die gleichen: Schwellungen und Rötungen, die fünf bis sieben Tage anhielten.

Bei den Tieren, die früh Schmerzen erlitten, fanden die Forscher im Erwachsenenalter eine höhere Dichte an Nervenfasern auf der linken Seite der Flügelplatte. Diese geschichtete Struktur im Rückenmark überträgt Schmerzen an das Gehirn. Sogar einzelne Nervenzellen reagierten stärker auf Schmerz. Ganz anders die Vergleichsgruppe: Sie hatten das gleiche Nervensystem wie Ratten, die gar nicht verletzt wurden (Science vom 28. Juli 2000).

Außerdem empfanden die früh verletzten Ratten Schmerzen offenbar auch als Erwachsene stärker: Injizierten Ruda und ihre Kollegen ein Reizmittel und setzten die Tiere zusätzlich Hitze aus, zogen diese ihre Pfoten schneller weg als normale Ratten. Die Forscher sagen, dass sich durch die Verletzung von Gewebe und Schmerz nicht nur das Rückenmark, sondern auch höhere Zentren im Gehirn verändern. Auch Regionen im Rückenmark, von denen sie es nicht vermutet hätten, zeigten stärkere Schmerzempfindlichkeit auf der direkt nach der Geburt geschädigten Seite. "Zwar müssen wir aus den Ergebnissen der Tierversuche erst noch auf das schließen, was in Kindern abläuft. Aber es ist verlockend zu spekulieren, dass in neugeborenen Menschen ähnliches passiert, wenn sie Schmerzen und Entzündungen ausgesetzt sind", sagt Ruda.

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