Geopolitik: Eisiger Vorhang
Der Klimawandel macht die Arktis zunehmend zugänglich, und das weckt Begehrlichkeiten. Im Wettlauf um die regionalen Bodenschätze scheuen die angrenzenden Staaten auch vor militärischem Säbelrasseln nicht zurück.
Am 2. August 2007 gelang russischen Wissenschaftlern eine technische Meisterleistung: Sie setzten die Flagge ihres Landes am Nordpol – in mehr als 4200 Meter Tiefe am Meeresgrund. Hinter dieser Aktion stand jedoch weniger Forscherehrgeiz, als vielmehr eine Machtdemonstration: Aus rostfreiem Titan soll die Fahne dort vom Anspruch Russlands auf den Nordpol künden und den Zugriff auf die in der Arktis vermuteten Bodenschätze sichern. Dies sei der "Beginn einer neuen Aufteilung der Welt", jubelte die Regierungszeitung "Rossijskaja Gaseta" angesichts der Heldentat.
"Lomonossow ist russisch"
Dabei ist völkerrechtlich noch völlig unklar, ob der Nordpol – und vor allem das Nordpolarmeer – überhaupt von einer Nation beansprucht werden kann: 1994 trat die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen in Kraft, nach der Staaten Anspruch auf Meeresregionen erheben können, die bis zu 200 Seemeilen vor ihrer Küste liegen. Nur in Ausnahmefällen dürfen sie diese Zone mitsamt der Nutzungsrechte auf 450 Seemeilen ausdehnen. Eine Ausnahme, die Russland geltend macht: "Der Lomonossow-Rücken ist Teil von Russlands Landmasse", erklärte das russische Ministerium für Bodenschätze mit Blick auf das unterseeische Gebirge, das sich 1800 Kilometer quer durch den Arktischen Ozean zieht und auf dem die Russen ihre Fahne setzten.
Weitere konkurrierende Gebietsansprüche betreffen Russland und Norwegen, Kanada und die USA oder Dänemark und Island, wobei selbst befreundete Nationen wie Kanada und die Vereinigten Staaten schon scharfe diplomatische Protestnoten bezüglich der arktischen Gewässer ausgetauscht haben. Eine Entscheidung der Vereinten Nationen, wer wo seine Grenzen rund um den Nordpol ziehen darf, steht noch aus: Erst müssen die betroffenen Staaten wissenschaftliche Belege vorlegen, die ihre Ansprüche stützen – Kanada etwa hat für diese Datensammlung noch bis 2013 Zeit.
Militärische Machtdemonstrationen
Immerhin ruderte der russische Außenminister Sergej Lawrow auf der letzten Tagung des Arktischen Rates im norwegischen Tromsö Ende April zurück: "Russland hat keine Pläne zur Aufstockung der militärischen Präsenz oder zur Stationierung von Waffen in der Arktis. Unsere Position besteht darin, über die bestehenden Völkerrechtsnormen jegliche Fragen der Entwicklungszusammenarbeit in dieser Region zu lösen."
Und Rohstoffe gibt es in diesem Teil der Erde reichlich, wie eine Studie des US Geological Survey unter Leitung von Donald Gautier aus Menlo Park andeutet [1]: Etwa ein Viertel des weltweiten Vorkommens an Erdöl und Erdgas lagert dort; zudem vermuten die Forscher, dass ein Drittel der noch unentdeckten Gas- und 13 Prozent der bislang nicht erfassten Ölvorräte jenseits des Polarkreis verborgen sind. Dazu kommen Lagerstätten für Erze, die das unter der Erderwärmung dahinsiechende Eis mehr und mehr freigibt. Ressourcen, die Begehrlichkeiten wecken – nicht nur in Russland, sondern auch in anderen Anrainerstaaten. Kanadas damaliger Außen- und heutiger Verteidigungsminister Peter Mac Kay erwiderte nach der Beflaggung des Nordpols: "Die Arktis ist kanadisches Eigentum." Und Dänemarks Wissenschaftsminister behauptete: "Es gibt Hinweise, dass der Nordpol Dänemark zugesprochen wird."
"Lomonossow ist russisch"
Dabei ist völkerrechtlich noch völlig unklar, ob der Nordpol – und vor allem das Nordpolarmeer – überhaupt von einer Nation beansprucht werden kann: 1994 trat die Seerechtskonvention der Vereinten Nationen in Kraft, nach der Staaten Anspruch auf Meeresregionen erheben können, die bis zu 200 Seemeilen vor ihrer Küste liegen. Nur in Ausnahmefällen dürfen sie diese Zone mitsamt der Nutzungsrechte auf 450 Seemeilen ausdehnen. Eine Ausnahme, die Russland geltend macht: "Der Lomonossow-Rücken ist Teil von Russlands Landmasse", erklärte das russische Ministerium für Bodenschätze mit Blick auf das unterseeische Gebirge, das sich 1800 Kilometer quer durch den Arktischen Ozean zieht und auf dem die Russen ihre Fahne setzten.
Analysen hätten ergeben, dass die Kruste des Lomonossow-Rückens den weltweit bekannten Analogien der Kontinentalkruste entspricht und folglich zum Festlandsockel der Russischen Föderation gehört, so die offizielle Stellungnahme. Der russische Einflussbereich würde sich dadurch in der Arktis erheblich ausdehnen. Dänemark und Kanada halten wiederum dagegen, dass der Lomonossow-Rücken ein Teil Grönlands beziehungsweise Nordamerikas ist, weshalb er zu ihrem Territorium zähle. Für diese gemeinsame Übereinkunft haben die beiden Staaten sogar ihren eigenen arktischen Konflikt beiseitegeschoben: den Streit um die winzige Insel Hans, die zwischen dem kanadischen Ellesmere und Grönland – das völkerrechtlich an Dänemark angebunden ist – liegt und von beiden reklamiert wird. Auch im Fall von Hans geht es um Nutzungszonen und Schifffahrtsrechte, doch liegen hier die territorialen Gewinne deutlich niedriger als rund um den Nordpol.
Weitere konkurrierende Gebietsansprüche betreffen Russland und Norwegen, Kanada und die USA oder Dänemark und Island, wobei selbst befreundete Nationen wie Kanada und die Vereinigten Staaten schon scharfe diplomatische Protestnoten bezüglich der arktischen Gewässer ausgetauscht haben. Eine Entscheidung der Vereinten Nationen, wer wo seine Grenzen rund um den Nordpol ziehen darf, steht noch aus: Erst müssen die betroffenen Staaten wissenschaftliche Belege vorlegen, die ihre Ansprüche stützen – Kanada etwa hat für diese Datensammlung noch bis 2013 Zeit.
Militärische Machtdemonstrationen
In der Zwischenzeit lassen die Kontrahenten jedoch schon ihre Muskeln spielen: Die russische Marine und Luftwaffe tasten sich immer wieder nahe an kanadische, US-amerikanische oder norwegische Einflusszonen heran und überschreiten sie sogar, worauf die betroffenen Staaten mit Abfangjägern reagieren. Ins Bild passt eine russische Sicherheitsstudie, die Mitte Mai veröffentlicht wurde und in der auch die Arktis als zukünftiger Schauplatz von Konflikten und sogar Kriegen um Rohstoffe genannt wird: "Im Wettbewerb um Rohstoffe kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Militär eingesetzt wird, um aufkommende Probleme zu lösen, die das Gleichgewicht der Kräfte an den Grenzen Russlands und seiner Verbündeten zerstören würden", so einer der Kernsätze des Berichts.
Zwar betonte die Regierung im Kreml, dass sie nicht die Absicht habe, "die Arktis zu militarisieren". Doch skizziert die Strategie – die einen Zeitrahmen bis 2020 absteckt – den Aufbau mehrerer Armeebasen im arktischen Raum, "um die Sicherheit unter verschiedenen militärisch-politischen Situationen zu garantieren". Eine Politik, die den Nato-Mitgliedern missfällt, wie Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer vor dem letzten Nato-Gipfel in Straßburg Anfang April andeutete: Er halte die Pläne einer "Arktis-Armee" für einen "falschen Weg", denn die Nato wolle sich "in der Region keinesfalls militärisch präsentieren" – was die Vereinigten Staaten allerdings nicht daran hindert, dort mit Atom-U-Booten wieder auf Patrouille zu gehen. Norwegen veranstaltet zudem Militärmanöver in arktischen Gewässern. Lohnt der Aufwand?
Immerhin ruderte der russische Außenminister Sergej Lawrow auf der letzten Tagung des Arktischen Rates im norwegischen Tromsö Ende April zurück: "Russland hat keine Pläne zur Aufstockung der militärischen Präsenz oder zur Stationierung von Waffen in der Arktis. Unsere Position besteht darin, über die bestehenden Völkerrechtsnormen jegliche Fragen der Entwicklungszusammenarbeit in dieser Region zu lösen."
Ob diese Meinung dauerhaft ist, bleibt abzuwarten. Auch wenn Russland als Erster Flagge gezeigt hat am Nordpol – die anderen Nationen ziehen nach und stecken ihre Claims ab. Kanada beispielsweise gab jüngst zu, dass es seine Erkundungsflüge weit über den Nordpol hinaus bis auf russisches Anspruchsgebiet ausgedehnt hat, um möglichst die äußersten Grenzen des kanadischen Kontinentalschelfs zu erfassen. Ob sich dieses taktische Geplänkel rund um den Nordpol überhaupt jemals auszahlt, ist indes fraglich: Nach der Studie von Donald Gautier und Co liegt das weitaus meiste Öl und Gas knapp vor den Küsten Russlands und der anderen Anrainer auf Lager – und damit in international längst anerkannten Einflusszonen.
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