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News: Eiskaltes Leben in der Tiefe

'Leben ist da, wo man es findet', meint ein amerikanischer Mikrobiologe, der allenfalls noch staunen würde, an irgendeinem Ort der Erde nicht auf Bakterien zu stoßen. In heißen Quellen, sauren Tümpeln, tief unter der Erde - bei genauer Untersuchung sind anscheinend alle erdenklichen Ecken und Enden der Welt bewohnt. Die Analyse eines Eisbohrkerns aus der Antarktis fügt der Aufzählung einen weiteren Punkt hinzu. In fast 3600 Metern Tiefe, dicht über dem geheimnisvollen Lake Vostok, gibt es Bakterien, die zwar nicht gerade üppig leben, sich aber zumindest im Labor nachweisen ließen.
Noch wissen die Wissenschaftler nicht, ob die Bakterien vor mehreren Hunderttausend Jahren aus dem benachbarten Patagonien angeweht und dann vom fallenden Schnee begraben wurden oder ob sie Teil eines kleinen Ökosystems im flüssigen Wasser des Lake Vostok sind. Dieses riesige antarktische Gewässer liegt zur Zeit noch unberührt von Menschenhand unter einem fast vier Kilometer dicken Eispanzer. Doch die Diskussion, ob man nicht eine Art "Nadelstichprobe" durchführen sollte, ist bereits in vollem Gange.

Die bislang tiefste Bohrung stoppte nach 3590 Metern Gletschereis etwa 150 Meter über dem See. Sie bescherte den Forschern eine Probe, die nach Ansicht eines Teams um Jean Jouzel vom Centre National de la Recherche Scientifique in Gif-sur-Yvette aus gefrorenem Wasser des Lake Vostok besteht, und nicht aus 500 000 Jahre altem Eis, das damals als Schnee vom Himmel rieselte (Science vom 10. Dezember 1999). Vor allem das Verhältnis bestimmter Isotope hat die Wissenschaftler zu diesem Schluß geführt: Eis, das an Ort und Stelle entstanden ist, hat einen größeren Anteil des schweren Sauerstoffisotops 18O als Kristalle, die mit dem Wettersystem lange Strecken zurücklegen mußten.

In das Eis des Bohrkerns eingeschlossen waren kugelförmige Bakterien, die von zwei weiteren Wissenschaftlergruppen untersucht wurden. David Karl von der University of Hawaii, Manoa, und seinen Kollegen gelang es, die Organismen im Labor "wiederzubeleben"(Science vom 10. Dezember 1999). Offenbar hatten diese sich im Eis nicht gerade sehr wohl gefühlt, denn aus ihrem geringen Durchmesser schließen die Forscher, daß die Bakterien wohl hungern mußten. "Wahrscheinlich wachsen die Bakterien nicht im Eis, weil es da kein flüssiges Wasser gibt", sagt Karl. Dementsprechend war die Zelldichte auch zehnmal geringer als an anderen extremen Standorten auf der Erde.

John Priscu und sein Team von der Montana State University, Bozeman, konnten die Mikroorganismen zwar nicht züchten, mit Hilfe von DNA-Tests gelang es ihnen jedoch, sie als Verwandte der Proteobakterien und Actinomyceten zu identifizieren, die beide zur gewöhnlichen Mikroflora von Böden gehören (Science vom 10. Dezember 1999).

Sollten die Bakterien tatsächlich aus dem Lake Vostok selbst stammen, stellt sich die Frage, auf welche Energiequelle sich das Leben im See stützt. Vielleicht treibt geothermische Wärme alles an, meint Karl. Dann könnte sich sogar ein kleines Nahrungsnetz mit verschiedenen Typen von Lebewesen ausgebildet haben. Allerdings enthielt der Eiskern keinerlei Anzeichen von Viren oder höheren Einzellern, die sich von den Bakterien ernähren.

Wie so oft in der Wissenschaft sind weitere Daten für intensivere Untersuchungen nötig, um mehr und bestimmtere Aussagen zu erhalten. Dazu müßte jedoch eine Sonde in den See herabgelassen werden. Das würde jedoch ein möglicherweise unberührtes Ökosystem dem Risiko aussetzen, mit Organismen von der Oberfläche infiziert zu werden. Diese Aussicht faßt Warwick Vincent von der Université Laval in Quebec zusammen mit den Worten: "Wir haben die Möglichkeit, einen Millionen-Jahre-Fehler zu begehen."

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