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Elektromobilität: Strom aus der Straße

Elektroautos während der Fahrt laden? Die Technik für solche elektrischen Straßen ist da. Breit ausgerollt, könnten E-Autos so mit deutlich kleineren Akkus auskommen. Aber rechnet sich das auch?
Ein Elektrobus fährt auf einer nassen Straße vor einem Gebäude mit der Nummer 47. Der Bus ist mit der Aufschrift "Laden beim Fahren" versehen und nutzt eine induktive Ladetechnologie, die durch blaue Markierungen auf der Straße angezeigt wird. Links im Bild befindet sich ein Schaltkasten mit der Aufschrift "Laden beim Fahren" und einem QR-Code. Der Bus gehört zum Projekt "e-GELU" und ist mit Logos verschiedener Partner versehen. Im Hintergrund sind moderne Wohngebäude zu sehen.
Ein Bus im baden-württembergischen Balingen wird induktiv über die Spulen in der Straße geladen.

Die Ankündigung klingt selbstbewusst: »Wir bereiten der E-Mobilität im wahrsten Sinne des Wortes neuen Boden.« Von einem echten Gamechanger spricht Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume und von völlig ungeahnten Möglichkeiten. »Reichweiten-Probleme lösen sich auf.«

Damit bezieht er sich auf die Arbeit eines Forschungsteams der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), das auf der Autobahn 6 Induktionsspulen verlegt. So verwandeln sie ein Teilstück von knapp einem Kilometer Länge zwischen Amberg und Nürnberg in eine elektrische Straße. Dort können elektrisch angetriebene Lastwagen künftig während der Fahrt ihre Batterie laden – einfach, indem sie über die im Boden verlegten Spulen fahren.

Das FAU-Vorhaben ist nicht das Erste seiner Art. Beispielsweise wurden Besucher der Gartenschau im Baden-Württembergischen Balingen 2023 von einem Shuttlebus befördert, der seinen Strom auf über 400 Metern aus der Straße bezog. Neu ist an dem aktuellen Vorhaben, dass nun erstmals ein Stück Autobahn auf diese Weise elektrifiziert wird. Hier haben Fahrzeuge auch mal mehr als 100 Kilometer pro Stunde auf dem Tacho und wechseln mitunter ihre Fahrspur. »Wir untersuchen, wie sich die Technologie im realen Verkehr bewährt«, sagt Florian Risch. Der Experte für die Montage von elektrischen Energiespeichern leitet das Projekt seitens der FAU. »Wir möchten belastbare Daten zur Effizienz und Zuverlässigkeit dieser Art der Energieübertragung.«

Das Auto während der Fahrt automatisch laden – das wäre bequem. Ein breites Netz von solchen elektrischen Straßensystemen, auch Electric Road Systems (ERS) genannt, hätte noch handfestere Vorteile. Zum einen könnten auch Städter, die an ihren Mietwohnungen keine Wallbox installieren können, leichter auf Elektroautos umsteigen. Wichtiger aber noch: Autos, Busse oder Lastwagen kämen mit kleineren Batterien aus, da sie nicht mehr mit einer Aufladung und möglichst ohne Zwischenstopp bis ans Ziel kommen müssten.

Eine Studie von schwedischen Forschenden kam zu dem Ergebnis, dass Batterien in so einem Straßennetz um bis zu 70 Prozent kleiner ausfallen könnten als heute üblich. Und dabei würde es genügen – mit Blick auf Schweden –, wenn gerade einmal ein Viertel der Straßen elektrifiziert würden. Gegenüber Oberleitungen, die fünf Meter über der Fahrbahn hängen und zuletzt auf mehreren Autobahnabschnitten in Deutschland getestet wurden, hätten sie zudem den Vorteil, dass außer Lkws und Bussen auch Autos ihre Batterie laden könnten.

Energie wird über die Luft übertragen

Die Technik hinter den elektrischen Straßen ist schnell erklärt. Die Straße versorgt das Fahrzeug über das so genannte dynamische induktive Laden mit Strom. Dafür benötigt man Kupferspulen im Straßenbelag sowie eine Empfängerspule auf der Fahrzeugunterseite. Die etwa 1,5 Meter langen und über einen halben Meter breiten Bodenspulen werden entlang der gesamten Ladestrecke hintereinanderliegend in den Straßenbelag eingebaut. In diesen Spulen fließt ein zeitlich veränderlicher Strom, wodurch sie ein hochfrequentes elektromagnetisches Wechselfeld erzeugen. Fährt das Fahrzeug über die elektrische Straße, induziert das Feld einen Wechselstrom in der Empfängerspule auf der Fahrzeugunterseite. Die Batterie wird geladen, auch wenn der Fahrzeugboden zehn oder 20 Zentimeter von der Straße entfernt ist. Aber wie viel Strom kommt wirklich im Auto an?

Bodenspulen | Arbeiter integrieren die mattenartigen Induktionsspulen in einen Teilabschnitt der Autobahn 6.

»Wir erreichen schon heute sehr hohe Wirkungsgrade um 95 Prozent und höher«, sagt Nejila Parspour. Das heißt, fast die gesamte Energie, die man in die Bodenspulen steckt, wird an das Fahrzeug übertragen. Die Expertin für elektrische Energiewandlung befasst sich seit 15 Jahren mit dem induktiven Laden. Auf einer einfachen Teststrecke auf dem Campus der Universität Stuttgart konnten sie und ihr Team bereits im Jahr 2023 Autos kontinuierlich mit 10 Kilowatt laden, also mit etwa der vierfachen Leistung einer herkömmlichen Steckdose – und das mit einem Wirkungsgrad von 92 Prozent.

»Die Technologie ist schon heute reif für die Praxis«Nejila Parspour, Professorin für Elektrische Energiewandlung

In anderen Projekten wurden sogar 70 Kilowatt übertragen. »Die Technologie ist schon heute reif für die Praxis«, sagt Parspour, aber die Umsetzung sei schwierig, unter anderem wegen des hohen Abstimmungsaufwands beispielsweise unter den Automobilherstellern, die sich auf einen gemeinsamen Standard einigen müssten. »Es hängt sehr viel von der Wirtschaft ab und es ist zu befürchten, dass manche asiatische Länder das System vor uns installieren werden«, so Parspour.

Schweden stellt Förderung ein

Ein kommerzieller Anbieter erweist sich auf diesem Feld indes als besonders umtriebig: Electreon. Die Spulen des israelischen Unternehmens erwecken eher den Anschein von schweren Matten als von elektrischen Bauteilen. Sie stecken nicht nur in den Teststrecken auf der Autobahn 6, in Stuttgart und Balingen, sondern auch in Straßenabschnitten weltweit. Darunter ist eine 400 Meter lange Strecke in Detroit im US-Bundesstaat Michigan, wo kleine Shuttlebusse ihre Batterie laden sollen, eine Straße im norwegischen Trondheim, eine weitere in Tel Aviv und eine Teststrecke im italienischen Brescia.

Eines der vielversprechendsten Projekte war aber sicherlich jenes auf der schwedischen Ferieninsel Gotland. Die 1,6 Kilometer lange Strecke, über die ein Bus kabellos mit Energie versorgt wird, gilt als Pilot für mehrere solcher Projekte in dem skandinavischen Land, das sich zum Pionier beim Aufbau elektrischer Straßen aufgeschwungen hat. 2025 sollte es dann schließlich ernst werden: Auf einem 21 Kilometer langen Abschnitt der Europastraße 20 (E20) zwischen Hallsberg und Örebro sollte erstmals dauerhaft ein komplettes elektrisches Straßensystem erprobt werden. Parallel dazu hatte die Regierung bereits Analysen angestellt, inwiefern sich ein solches System auch auf 3000 Kilometer schwedischer Straßen ausrollen ließe.

»Bei der Umsetzung gibt es zu viele Unwägbarkeiten«Sprecher von Trafikverket

Doch seit Februar 2025 ist klar: Daraus wird vorerst nichts. Die schwedische Regierung hat dem E20-Projekt die Förderung entzogen – wegen fehlender Mittel und gestiegener Kosten für die Arbeiten.

»Bei der Umsetzung gibt es zu viele Unwägbarkeiten«, sagt ein Sprecher von Trafikverket, dem schwedischen Amt für Verkehrsinfrastruktur, gegenüber Spektrum. »Wir warten die Entwicklungen in anderen Ländern ab, bevor wir über eine Fortsetzung des Projekts entscheiden.« Als Absage an die Technologie will er dies aber nicht verstanden wissen. Technisch gesehen seien elektrische Straßen machbar und in größeren Ländern mit hohem Verkehrsaufkommen, zum Beispiel in Mitteleuropa, sei das wahrscheinlich auch wirtschaftlich tragfähig. »Aber in Schweden ist es das unter den derzeitigen Bedingungen nicht.«

Kosten heute und morgen

Was bedeutet das für die Projekte in Deutschland? Sind die Fördergelder hier gut angelegt? Allein das Autobahnprojekt der FAU wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz mit rund 5,5 Millionen Euro unterstützt. »Die Technologie ist schon seit vielen Jahren in der Erprobung und hat es nicht in den Markt geschafft«, sagt Sebastian Wolff. Der ehemalige Mitarbeiter der Technischen Universität München entwickelt mit seinem Start-up FRYTE Mobility Ladelösungen für Elektro-Lastwagen. »Technisch machbar ist das alles ohne Weiteres, aber es gibt einfach zu viele Faktoren, die die Kosten für Infrastruktur und Betrieb der Fahrzeuge in die Höhe treiben.« Und weiter: »Die Kosten für die Errichtung der Infrastruktur sind gigantisch – zirka Faktor zwei zu Oberleitungen.«

Eine Alternative zum Laden per Stecker braucht es Wolff zufolge nicht und er verweist auf die heute bereits sehr hohen Reichweiten moderner batterieelektrischer Autos von bis zu 800 Kilometern. »Und ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Jahren noch Gewinne bei den Reichweiten sehen werden.« Zudem ließen sich Pkw- und Lkw-Batterien immer schneller laden. »Schon heute lassen sich mit dem E-Lkw viele Strecken im Fernverkehr mit weniger als 15 Minuten Zeitverlust fahren, wenn die Ladestopps gut geplant sind.«

Nejila Parspour sieht die Kostenfrage weniger kritisch und erinnert an den Aufwand für die Elektrifizierung der Eisenbahn vor mehr als 100 Jahren. »Da haben sich auch Leute gedacht: Wie soll das gehen?« Wenn man aber neue Autobahnen baut, dann sei es eigentlich kein großer Aufwand, Spulen und Elektronik zu integrieren. Die Forscherin weiß von Berechnungen, wonach dies bei neu gebauten Autobahnen rund zehn Prozent der Gesamtkosten ausmache – »und das beim Stand von heute, wir sprechen von Prototypen«.

Auch Florian Risch betont, dass sich die Technologie in einem relativ frühen Stadium befinde und induktive Systeme deswegen heute noch teuer seien. Die Kosten könnten jedoch erheblich sinken, etwa indem man die Spulenmodule automatisiert fertigt und sie später vollautomatisiert in die Fahrbahn integriert. Vorbilder seien hier Verfahren aus dem Tunnel- und Gleisbau. »Man darf nicht vergessen, dass auch batterieelektrische Autos vor 15 Jahren noch als zu teuer galten. Heute sind sie im Massenmarkt angekommen.«

Wirkungsgrad im Praxistest

Neben den Kosten sieht Sebastian Wolff einen weiteren Nachteil der kabellosen Ladetechnik: den Wirkungsgrad. Die in Aussicht gestellten hohen Wirkungsgrade von über 90 Prozent hält Wolff im Realbetrieb für illusorisch. »Der Wirkungsgrad hängt maßgeblich und vor allem nichtlinear von der Überlappung der Empfänger- und Senderspule ab.« Sei die Spule im Auto nur wenige Zentimeter gegen die Spule in der Straße versetzt, sinke der Wirkungsgrad schnell ab. »Und selbst wenn das Auto mit der Spule extrem gut in der Fahrspur positioniert wäre, erreichen Sie in der Praxis vielleicht 70 bis 80 Prozent Wirkungsgrad.« Gut ein Viertel des Stroms, den man ins System steckt, würden demnach also verloren gehen.

Nejila Parspour widerspricht. »90 Prozent und mehr sind erreichbar. Das haben wir bei unserer Forschungsstraße sogar ohne Extraufwand demonstriert.« Spurhaltesysteme sorgten dafür, dass die Spulen in Boden und Fahrzeug auch in der Praxis gut gekoppelt seien. Zudem erlaube das Design der Spulen gewisse Toleranzen in der Positionierung. Wie hoch der Wirkungsgrad unter Realbedingungen dann tatsächlich ist, will Florian Risch mit seinem Team nun auf der Autobahn 6 herausfinden.

Busse, Schwerlastverkehr und autonome Shuttles

Eine weitere Herausforderung für das induktive Laden ist die Standardisierung. Effizient funktioniert das System nämlich nur, wenn die Spulen in der Straße und auf den Fahrzeugunterseiten optimal aufeinander abgestimmt sind – über alle Fahrzeughersteller hinweg. Sebastian Wolff erinnert daran, wie schwierig es war, bis sich die Automobilindustrie auf ein Steckerdesign für das Laden von Elektroautos geeinigt hat. »Da halte ich es für ausgeschlossen, dass die OEMs sich auf ein Bauteil einigen können, das so viel Bauraum im Unterboden erfordert.« Dieser Bauraum sei nämlich zugleich auch kritisch für die Batterie und damit für die Reichweite.

Eine weiteres Problem scheint hingegen gelöst: der Umgang mit den starken elektromagnetischen Feldern entlang der Strecke. Organischem Gewebe und Menschen mit Herzschrittmachern könnten sie schaden, auch Wildtiere könnten sich auf der aufgeheizten Straße verbrennen. Doch die Forschenden können den Fahrzeuginnenraum nach eigenen Angaben hinreichend abschirmen. Die Projektverantwortlichen bereits bestehender elektrischer Straßen betonen, dass weder für Fahrzeuginsassen noch für Fußgänger eine Gefahr von den Feldern ausgehe.

»Ab Anfang der 2030er Jahre rechnen wir mit ersten großflächigen Pilotstrecken im öffentlichen Raum«Florian Risch, Experte für die Montage von elektrischen Energiespeichern

Ob wir dank der kontaktlosen Ladetechnik künftig in Elektroautos mit viel kleineren Batterien unterwegs sein werden, lässt sich noch nicht absehen. Ein erstes, viel versprechendes Einsatzfeld sieht Nejila Parspour aber im Busverkehr. »Ein Bus fährt in der Stadt bestimmte Strecken, und die könnte man dann entsprechend umrüsten.« Florian Risch rückt zudem zwei weitere Einsatzbereiche ins Blickfeld. »Ab Anfang der 2030er Jahre rechnen wir mit ersten großflächigen Pilotstrecken im öffentlichen Raum.« Diese fänden sich dann zum einen in stark frequentierten Verkehrskorridoren für den Schwerlastverkehr und zum anderen im urbanen Raum, als Infrastruktur für autonom fahrende Shuttles. Ein breiter Roll-out werde vom Erfolg dieser Pilotprojekte abhängen – »und von den regulatorischen, infrastrukturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen«.

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