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Kurzzeitphysik: Elektron in der Hauptrolle

Was sich in Atomen und Molekülen abspielt, entzieht sich unserem Auge. Schließlich läuft die Handlung hier sehr sehr schnell ab und zudem auf äußerst kleinem Maßstab. Für einen ansprechenden Film bedarf es also einer Kamera mit extrem guten zeitlichen und örtlichen Auflösungsvermögen. Röntgenstreuung liefert beides.
Ion schlägt Wellen
Ein Funke reicht. In wenigen Sekunden verpufft das Häufchen Schwarzpulver, und zurück bleibt lediglich ein wenig Asche. Chemische Reaktionen spielen sich häufig in Bruchteilen einer Sekunde ab – kaum vorstellbar, dass man diese Vorgänge irgendwie beobachten könnte. Dabei ist das alles nur eine Frage der Belichtungszeit, und hierbei machen Wissenschaftler zusehends Fortschritte. Erst im Februar berichteten Forscher der Universität Bielefeld über Röntgenblitze von etwa hundert Attosekunden Dauer, mit denen sich ganz neue Erkenntnisse über die Welt der Atome gewinnen lassen. Wer sich unter einer Attosekunde (10-18 Sekunden) nichts vorstellen kann: Sie verhält sich in etwa zu einer Sekunde, wie eine Sekunde zum Alter des Universums – ein Herzschlag wird angesichts dieses Zeitmaßstabes zur Ewigkeit.

Nun haben sich Forscher abermals als Kurzfilmer hervorgetan. Und diesmal währt ein Einzelbild des Streifens nicht viel länger als 40 Attosekunden. Das ist selbst für das Ablichten ultraschneller elektronischer Vorgänge in Atomen und Molekülen kurz genug. Doch wie gestalten sich die Dreharbeiten?

Peter Abbamonte vom Brookhaven National Laboratory sowie seine Kollegen von der Cornell-Universität nutzen wie ihre Bielefelder Kollegen extrem kurze Röntgenblitze für ihre Aufnahmen. Anhand der Richtung des gestreuten Lichts lässt sich so ein Standbild der mikroskopischen Vorgänge gewinnen. Da die Photonen bei der Streuung an Elektronen Energie verlieren, lässt sich zumindest theoretisch daraus auch eine Aussage über die Dynamik im Kleinen machen. Wenn da nicht das so genannte Phasenproblem wäre.

Dieses Problem besagt, dass lediglich ein Teil der Informationen im Beugungsbild festzuhalten ist. Die Phaseninfomation, also die Verschiebung von Wellenbergen und -tälern der Teilstrahlen gegeneinander, geht verloren. Das ist ähnlich wie bei der herkömmlichen Fotografie, die ebenfalls die Phase vernachlässigt und deshalb im Vergleich zur Holografie, welche diese Information sehr wohl nutzt, kein dreidimensionales Abbild liefert. Nun ist die Phase nicht nur für dreidimensionale Abbilder von Interesse, sondern auch für bewegte Bilder.

Elektronischer Wellenschlag | Die Animation zeigt die Reaktion der Elektronen von Wasser auf ein zusätzliches Elektron, das in der Mitte platziert wurde. Die senkrechte Achse gibt die Wahrscheinlichkeit an, ein Elektron in der Ebene zu finden.
Immerhin, Abbamonte und Co konnten das Problem auf mathematischem Wege lösen, indem sie die fehlenden Informationen kurzerhand berechneten. Doch dazu bedurfte es einer riesigen Menge hochaufgelöster Röntgenstreudaten. Zunächst am Chess – der Cornell High Energy Synchrotron Source – dann an Advanced Photon Source des Argonne National Laboratory bauten die Forscher ein Experiment auf, das diese Daten lieferte. Dazu wurden die gebündelten Röntgenstrahlen der Quellen auf einen Probebehälter mit ganz gewöhnlichem Wasser fokussiert und in einigem Abstand zum Behälter detektiert.

Offensichtlich kamen dabei genug Daten zusammen, denn die Wissenschaftler konnten daraus einen kurzen Film gewinnen, der mit einer zeitlichen Auflösung von genau 41,3 Attosekunden Details der Ladungsverteilung von bis zu 123 Picometern preisgibt. Die Videosequenz zeigt so, wie eine Punktladung die Ladungswolke eines Wassermoleküls beeinflusst. Dieses Ergebnis konnten die Forscher anschließend nutzen, um die Elektronenbewegung zu berechnen, die im "Fahrwasser" eines Gold-Ions entsteht, das in ein Wasserbad injiziert wird. Eindrucksvolle Ergebnisse, wie auch Kollegen meinen. Jetzt bleibt nur noch abzuwarten, wie die Methode mit anderen Materialien zurechtkommt, die mehr Elektronen als Wasser aufweisen.

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