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Emotionen: Die dunkle Seite der Hoffnung

Die Hoffnung auf Besserung hilft vielen durch Krisenzeiten. Je düsterer die Aussichten, desto stärker ist sie. Doch wer die Grenzen der Hoffnung nicht kennt, dem kann sie auch schaden.
Hände fangen Lichtstrahl auf

Franziska Ferber ist 30 Jahre alt, als die Hoffnung ihre ständige Begleiterin wird. Gemeinsam mit ihrem Mann plant sie, eine Familie zu gründen. Aus Sorge, dass es auf natürlichem Weg nicht klappen könnte, entscheidet sich das Paar bald für eine Behandlung im Kinderwunschzentrum. Dort sagt ihnen ein Arzt, dass der Weg zur Erfüllung ihres Kinderwunsches ein Spaziergang werden würde. Als die erste Behandlung fehlschlägt, ist Franziska Ferber enttäuscht – und dennoch hoffnungsvoll: Der Grund sind sicherlich die Hormone, die erst einmal richtig eingestellt werden müssen. Beim nächsten Mal wird es bestimmt klappen.

Hoffnung ist, wenn wir sie vernünftig gebrauchen, in Krisen eine Art Superkraft: Sie sorgt dafür, dass Menschen selbst nach Monaten des vergeblichen Wartens ihren Kinderwunsch nicht aufgeben. Und lässt uns nach einem Jahr Corona-Pandemie daran glauben, dass in absehbarer Zeit alles besser wird. Hoffnung hilft dabei, lange Regentage zu überstehen in der Gewissheit, dass sich die Sonne schon bald wieder zeigen wird. Die Hoffnung ist es, die uns durchhalten lässt.

Auch Franziska Ferber hält durch, selbst als der zweite Versuch der Kinderwunschbehandlung erneut fehlschlägt. Dabei machen ihr die Hormone, die ihr verabreicht werden, zunehmend zu schaffen: Sie fühlt sich körperlich und mental angeschlagen. Schließlich kommt es bei ihr sogar zu einer Überstimulation, die unter anderem für Wasser im Bauch sorgt, das im schlimmsten Fall bis in die Lunge dringen kann. »Es gibt keine Frau, die das durchmacht, ohne Hoffnung zu haben. Wäre man nicht am Anfang jeder Behandlung zuversichtlich, dass es diesmal klappt, würde niemand die Strapazen zweimal auf sich nehmen«, sagt Ferber.

Zu hoffen heißt, auf das Gute zu vertrauen

Für Tobias Kube, Psychologe und Psychotherapeut, ist Hoffnung der Wunsch, dass sich in Momenten der Unsicherheit alles zum Guten wenden wird. Er erforscht das Phänomen an der Universität Koblenz-Landau und unterscheidet mehrere Arten von Hoffnung. So gibt es zum Beispiel die »realistische Hoffnung«, die sich auf den Wunsch über den Ausgang einer ganz konkreten Situation bezieht. Das Adjektiv »realistisch« bedeutet dabei nicht, dass der Ausgang tatsächlich erwartbar wäre, sondern dass die Hoffnung mit einem realen Sachverhalt verbunden ist. Das trifft beispielsweise auf Ferbers Kinderwunsch zu. Neben der »realistischen Hoffnung« gibt es noch die »transzendente Hoffnung«. Damit meinen Experten die allgemeine Zuversicht in Bezug auf die Zukunft, das Gefühl, dass schon alles gut werden wird.

»Hoffnungsvolle Menschen denken: ›Egal, wie es wird, es wird schon gut!‹«
Tobias Kube, Psychologe und Psychotherapeut

Der Medizinethiker Giovanni Maio unterteilt die Hoffnung – anders als Kube – nicht. Maio arbeitet an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und hat das Buch »Die Kunst des Hoffens« herausgegeben. Hoffnung stellt für ihn ein allgemeines Zukunftsvertrauen dar, also ein positives Verhältnis zur Nichtabsehbarkeit der Zukunft. Sie geht laut Maio damit einher, offen für die Zukunft zu sein und Möglichkeiten zu erkennen, die ohne Zuversicht verborgen bleiben würden. Somit müsse Hoffnung von Erwartungen und Wunschträumen abgegrenzt werden: Sie sei weniger konkret, als es Erwartungen sind, und im Gegensatz zu Wunschträumen realitätsbezogen.

Hoffnung motiviert und gibt dem Leben einen Sinn

Obwohl Maio und Kube andere Definitionen vorziehen, sind sie sich darin einig, dass Hoffnung für Menschen unerlässlich ist. Sie erfüllt laut Kube zwei wichtige Funktionen: Zum einen motiviert sie Menschen – wie Franziska Ferber –, ihr Leben trotz aller Unwägbarkeiten aktiv zu gestalten. Das gilt für den Kinderwunsch, aber auch in anderen Kontexten: »Beispielsweise schaffen es meine Freunde, welche die Pandemie als Ausnahme- statt als Dauerzustand begreifen und somit die Hoffnung auf Besserung aufrechterhalten, eher, die aktuelle Situation mit Hilfe von Spaziergängen und Telefonaten zu überbrücken«, erklärt Kube. Zum anderen verleiht Hoffnung Menschen die Fähigkeit, ihre Existenz als sinnhaft zu erleben und offen durchs Leben zu gehen. »Hoffnungsvolle Menschen denken: ›Egal, wie es wird, es wird schon gut!‹«, sagt Kube. Selbst Patienten mit unheilbaren Krankheiten haben Studien zufolge eine höhere Lebensqualität, wenn sie die Hoffnung nicht verlieren.

Kube vermutet, dass uns Hoffnung – also die Fähigkeit, der Zukunft zuversichtlich entgegenzublicken – in unserer evolutionären Vergangenheit dabei geholfen hat, unser Überleben zu sichern. »Ich glaube, dass wir die Auswirkungen davon noch heute spüren«, sagt der Psychologe und spielt damit auf die Antriebsfunktion der Hoffnung an. Gleichzeitig habe der Verlust von Hoffnung oftmals Belastung oder gar Verzweiflung zur Folge und sei mit einem höheren Risiko für Depressionen verbunden, wie Untersuchungen zeigen. Es war und ist für Menschen also essenziell, ein gewisses Maß an Zuversicht zu behalten.

Franziska Ferber startet aus dieser Zuversicht heraus in den dritten Versuch der Kinderwunschbehandlung. Es ist der letzte, dessen Kosten von der Krankenkasse übernommen werden. Doch obwohl Eizellen heranreifen, kommt es auch im dritten Versuch nicht zu einer Schwangerschaft.

Je größer die Krise, desto stärker die Zuversicht

Nun sind die Ärzte ebenfalls beunruhigt. Sie wissen nicht, was die Ursache für die Fehlschläge ist. Sie schlagen Ferber deshalb eine alternative Behandlung vor, für die es allerdings keine wissenschaftliche Evidenz gibt. Und Ferber stimmt zu, schließlich will sie nichts unversucht lassen. »Die Hoffnung auf ein Kind ist so existenziell und zutiefst menschlich, dass sie alle rationalen Faktoren überwindet: Es muss klappen, weil alles andere einfach keine Alternative ist«, sagt sie heute über ihre damalige Situation.

»Hoffnung kommt gerade dort ins Spiel, wo es um etwas Wichtiges, um etwas Existenzielles, um das Ganze geht«
Giovanni Maio, Medizinethiker

Dass Hoffnung in Krisen, wenn die Unsicherheit ihr Maximum erreicht, besonders groß wird, ist typisch. Giovanni Maio sagt: »Sie kommt gerade dort ins Spiel, wo es um etwas Wichtiges, um etwas Existenzielles, um das Ganze geht.« Der Mensch hoffe genau dann, wenn alles ins Wanken gerät. Das sei auch der Grund, weshalb die Hoffnung »bis zum letzten Atemzug« bestehen könne.

Und so nimmt Franziska Ferber die neuen, von den Ärzten vorgeschlagenen Medikamente. Ein halbes Jahr lang geht das so. Dann bricht sie eines Morgens zusammen. Sie wird ohnmächtig, stürzt und landet im Krankenhaus. Dort stellen die Ärzte fest, dass Ferbers Kiefer gebrochen ist. Wäre sie nur etwas anders gefallen, hätte der Sturz für sie weitaus schlimmere Folgen haben können. Es müssen die Hormone gewesen sein, die Ferbers Körper überfordert und die Ohnmacht verursacht haben. »Bist du dir sicher«, fragt Ferbers Mann, der bei ihr am Krankenhausbett sitzt, »dass wir auf dem richtigen Weg sind, wenn wir dein Leben riskieren, um ein neues in die Welt zu setzen?«

Manchmal ist der Schaden größer als der Nutzen

Die Geschichte des Paares zeigt, dass Hoffnung ein ambivalentes Phänomen ist: Neben der Kraft spendenden Wirkung kann sie auch Schaden anrichten. Zum einen macht sie uns verletzlich. Wer trotz schwerer Krankheit hofft, seinen Lieblingsspaziergang unternehmen zu können, geht das Risiko ein, erschöpft aufgeben zu müssen. Wer auf Lockerungen der coronabedingten Kontaktbeschränkungen hofft und eine Reise plant, läuft Gefahr, absagen zu müssen. Und wer mit Sonnenschein rechnet, mag bei Regen enttäuscht sein. »Klar ist: Je wichtiger uns ein Ziel ist, desto größer ist unsere Verletzlichkeit. Die Enttäuschung, wenn sich eine existenzielle Hoffnung nicht bewahrheitet, trifft uns also empfindlicher als die vergebliche Erwartung guten Wetters«, erklärt Kube.

Die zweite Schattenseite der Hoffnung: Manchmal verleitet sie Menschen nicht zu Aktivität, sondern zu Passivität, sagt Kube. Als Beispiel dafür führt er den Herbst 2020 an: Damals sperrte sich Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow noch gegen harte Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, als andere Politiker wie Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits die zweite Pandemiewelle auf Deutschland zurasen sahen – und das, obwohl ihm alle notwendigen Fakten vorgelegen haben, wie er später zugab. Im Januar 2021 räumte der Linken-Politiker seinen Irrtum in der ZDF-Sendung »Markus Lanz« ein: »Ich habe mich von Hoffnungen leiten lassen, die sich jetzt als bitterer Fehler zeigen.« Es sei menschlich, zu glauben, den leichteren Weg gehen zu können. Und da stimmt ihm Kube zu: »Manchmal hoffen wir darauf, dass sich eine drohende Katastrophe von selbst erledigt, und verpassen dabei, entsprechend darauf zu reagieren.«

Franziska Ferber werden die ganzen Nebenwirkungen ihrer Hoffnung bewusst, als ihr Mann sie am Krankenbett mit seinen Zweifeln konfrontiert. Der jungen Frau wird klar, was sie für ihren Kinderwunsch alles zu opfern bereit war. In diesem Moment entscheidet sie, ihr Ziel aufzugeben. Hoffnung, so glaubt sie heute, hinderte sie daran zu erkennen, welchen gesundheitlichen Gefahren sie sich aussetzte.

Nach der ersten Erleichterung über das Ende der strapaziösen Kinderwunschbehandlung steht ihr allerdings erneut eine belastende Zeit bevor: Sie muss den Weg in ihr ungewollt kinderloses Leben finden. Für Fragen, die für sie immer eng mit einem Kind verknüpft waren, muss sie neue Antworten finden: Was bedeutet Lebensglück für mich? Wie will ich leben? Was macht meine Partnerschaft aus? Warum stehe ich morgens auf?

Was vor den Schattenseiten der Hoffnung schützt

Um durch Hoffnung nicht noch tiefer in eine Krise zu rutschen, empfiehlt Kube deshalb, die eigene Situation zunächst umfassend zu betrachten: Worauf lohnt es sich angesichts der Umstände zu hoffen? Dann müsse der individuelle Handlungsspielraum abgesteckt werden: Wenn es möglich ist, die Situation selbst zum Positiven zu wenden, sollte man diese Chance ergreifen.

Wird ein Patient beispielsweise mit einer schlechten Prognose konfrontiert, glaubt er anfangs oft trotz aller widersprechenden Informationen, seine Krankheit zu überleben. Gelingt es ihm später, die Situation vollumfänglich zu erfassen, wandelt sich diese Hoffnung. Er wünscht sich bald darauf zum Beispiel, die verbleibende Zeit möglichst gut verbringen zu können. Schafft der Patient es nun, aus eigener Kraft wohltuende Aktivitäten zu planen, sind das die besten Voraussetzungen dafür, dass sich seine Hoffnung erfüllt.

Wie Psychotherapeut Kube hilft Franziska Ferber heute anderen Menschen beim Hoffen: Sie schreibt Bücher über den Umgang mit dem unerfüllten Kinderwunsch und coacht Frauen, die ungewollt kinderlos sind. Ferber will ihnen damit das Beratungsangebot bieten, das sie sich selbst in den Jahren ihrer Krise gewünscht hätte. Ähnlich wie Kube empfiehlt sie ihren Klientinnen, sich folgende Fragen zu stellen: Was kann ich eigentlich hoffen? Und was kann ich für die Erfüllung meines Wunsches tun?

Ferber selbst war am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen, als sie die Kinderwunschbehandlung aufgab. »Bis zur letzten Sekunde meines Lebens werde ich sagen, dass ich ungewollt kinderlos bin. So zolle ich auch meiner Geschichte Tribut«, sagt sie. Aber heute kann sie damit leben.

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