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Soziale Kognition: Sind Tiere empathisch?

Ratten, die Artgenossen befreien, oder Affen, die sich gegenseitig Trost spenden: Tiere wirken oft sehr empathisch. Vieles spricht tatsächlich für eine solche Empfindungsfähigkeit. Allerdings sollten wir uns bei dem Begriff »Empathie« nicht zu sehr am Menschen orientieren.
Zwei Ratten beschnuppern sich
Ratten haben einen schlechten Ruf, doch sie sind höchst intelligent und sozial. So helfen sie zum Beispiel in Not geratenen Artgenossen. Bedeutet das auch, dass sie über Empathie verfügen?

Kurz vor den Sommerferien spazierte einer von uns (Claus Lamm) mit seiner Tochter Mila zu ihrer Grundschule. Es ging um das Zeugnisgespräch, und Mila war sichtlich nervös. Auf dem Weg begegnete uns die Katze des Nachbarn. Anders als sonst rannte sie nicht gleich weg, sondern rieb ihr Kinn dem Anschein nach liebevoll an Milas Händen und Beinen. Die Erklärung für dieses Verhalten war für das Mädchen sonnenklar: Die Katze habe Milas Nervosität gespürt und wollte sie mit ihrer Zuneigung aufmuntern. Was ihr sichtlich gelungen war – denn im Folgenden drehte sich das Gespräch nur noch um die Katze und kaum mehr ums Zeugnis. Allen, die selbst Haustiere haben, dürften ähnliche Beispiele einfallen. Aber auch Wildtieren wird oft die Fähigkeit der Empathie zugeschrieben – wie dem Delfin, der einen Ertrinkenden gerettet hat, oder Elefanten, die offenbar um ihre verstorbenen Artgenossen trauern.

Verfügen tatsächlich noch andere Tiere außer dem Menschen über Empathie? Um die Frage sinnvoll beantworten zu können, müssen wir uns zuerst einmal anschauen, was die Wissenschaft darunter versteht und wie sich Empathie von Mitgefühl und Altruismus unterscheidet. Grob gesagt handelt es sich um ein komplexes Phänomen, das es uns ermöglicht, die Gefühle anderer nachzuempfinden und dadurch besser zu begreifen. Dazu bedarf es des Zusammenspiels mehrerer Komponenten, die teilweise aufeinander aufbauen (siehe »Empathie-Modell«). Einer dieser Bausteine ist die Emotionserkennung, ein anderer die emotionale Ansteckung. Dank Letzterer weiß ich nicht nur um die Nervosität meines Gegenübers, ich empfinde sie sogar ein Stück weit selbst.

Damit es nicht zu einer Gefühlsverwirrung kommt, muss das Gehirn unterscheiden können: Ist das, was ich gerade empfinde, meine eigene Emotion oder vielmehr ein Spiegel dessen, was in der anderen Person vor sich geht? Erst wenn ich nachempfinden kann, was ein anderer fühlt, ohne das mit meinem eigenen emotionalen Innenleben zu verwechseln, spricht man von Empathie im engeren Sinn. Richtig spannend wird es, wenn das Nachempfinden dann noch in Mitgefühl mündet: Ich empfinde nicht nur, was beziehungsweise wie sich die andere Person fühlt (das wäre Empathie), sondern mich ergreift eine Sorge für sie und ich möchte etwas tun, um ihr Leid zu mildern. Mitgefühl beinhaltet somit eine starke motivationale Komponente, aus der oft prosoziales Verhalten oder Altruismus resultieren. Wenn also der Volksmund von Empathie spricht und davon, dass es unserer Gesellschaft anscheinend daran mangelt, ist damit häufig eigentlich ein Mangel an Mitgefühl und Prosozialität gemeint.

Können wir wissen, was andere fühlen?

Viele werden jetzt denken: Tiere können doch niemals solche komplexen Denk- und Gefühlsmuster an den Tag legen – und wissenschaftlich lässt sich das schon gar nicht nachweisen! Wie kann ich beispielsweise wissen, ob die Katze, die augenscheinlich Trost spendet, das wirklich deshalb tut, weil sie einen Teil der Trauer in sich selbst spürt und sich dabei auch noch im Klaren darüber ist, dass diese Stimmung nicht ihre eigene ist? Solche Einwände sind vollkommen berechtigt, weil wir Menschen uns nicht zum Maßstab für die Erforschung des Verhaltens anderer Tiere nehmen sollten (siehe Gehirn&Geist 8/2024, »Nicht das Maß aller Dinge«).

Aber selbst wenn man derartige anthropozentrische Fallstricke umgeht, bleibt die Frage, die der Philosoph Thomas Nagel bereits in den 1970er Jahren in seinem berühmten Aufsatz »What is it like to be a bat?« (Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?) gestellt hat: Wie können wir überhaupt wissen oder nachempfinden, was ein anderes Individuum wahrnimmt oder empfindet und wie sich das für es anfühlt?

Themenwoche: Wie Tiere denken und fühlen

Natürliche Neugier

Wenn die Verhaltensforschung der letzten Jahre eines sehr deutlich zeigt, dann dass wir die kognitiven und emotionalen Leistungen zahlreicher nichtmenschlicher Lebewesen lange unterschätzt haben. Dabei nicht zu vergessen: jene der so genannten »Nutztiere«. Wollen wir das gesamte Spektrum des tierischen Verhaltens und Denkens begreifen, dann dürfen wir uns Menschen dabei nicht in den Mittelpunkt stellen. Wie kann das gelingen? Antworten auf diese und weitere Fragen liefert »Spektrum.de« in einer Themenwoche.

Intelligenz: Nicht das Maß aller Dinge

Hunde: Die Welt mit der Nase sehen

Soziale Kognition: Sind Tiere empathisch?

Verhaltensbiologie: Nutztieren gerecht werden

Insektengemeinschaften: »Ameisen sind soziale Superstars«

Alle Inhalte zur Themenwoche »Wie Tiere denken und fühlen« finden Sie auf unserer entsprechenden Themenseite.

Im Grunde stellt sich das Problem genauso, wenn wir über menschliche Empathie sprechen. Hierbei haben wir jedoch einen entscheidenden Vorteil: Unsere Mitmenschen können zumindest prinzipiell über ihr Gefühlsleben Auskunft geben. Diese Option existiert bei Tieren nicht. Ist es damit aussichtslos, eine schlüssige Antwort auf die Frage zu bekommen, ob Tiere empathisch sein können? Mitnichten! Denn die vergleichenden Kognitions- und Verhaltenswissenschaften haben sowohl gute theoretische Ansätze als auch Methoden entwickelt, um das Innenleben von Tieren für uns zugänglich zu machen.

Zum einen gibt es das theoretische Argument, dass unsere kognitiven und emotionalen Fähigkeiten nicht aus dem Nichts kommen können. Vielmehr sind sie im Zuge der Evolution entstanden und haben sich weiterentwickelt. Daher ist es plausibel anzunehmen, dass unsere engeren und vielleicht sogar unsere entfernteren Verwandten über ähnliche empathische Skills verfügen wie wir – oder über Vorstufen davon. Zum anderen erlauben uns die modernen Neurowissenschaften immer genauere Einblicke in die neuronalen Mechanismen dahinter. Dank der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) sind zumindest beim Menschen jene Hirnprozesse auszumachen, die den Emotionen zu Grunde liegen. Zudem lässt sich damit beantworten, ob und wie diese beim empathischen Nachempfinden zum Einsatz kommen.

Empathie-Modell | Frans de Waal veranschaulichte die Evolution der Empathie am Bild einer russischen Matrjoschka-Puppe (»Russian-doll«-Modell). Ihren Kern bildet das »Perception-Action«-Modell, laut dem die Wahrnehmung eines anderen zu entsprechenden neuronalen Reaktionen führt, die wiederum im Erleben oder Verstehen des emotionalen Zustands des Gegenübers resultieren. Daraus ergeben sich die beiden Konzepte motorische Mimikry und emotionale Ansteckung. Die nächsten Komponenten Mitgefühl und Trost bauen auf diesem Kern auf, ebenso wie Perspektivenübernahme und gezieltes Helfen. Doch manche Forscherinnen und Forscher (unter anderem Claus Lamm) gehen von einem flexibleren Modell aus, dessen einzelne Komponenten auch unabhängig voneinander existieren können. Das Kombinationsmodell von Shinya Yamamoto legt zum Beispiel nahe, dass Phänomene, die unter den Begriff »Prosozialität« fallen, nicht unbedingt eine emotionale Ansteckung erfordern.

So bestätigte unter anderem eine Bildgebungsstudie unserer Wiener Arbeitsgruppe von 2015, dass Empathie gegenüber dem Schmerz einer anderen Person tatsächlich auf Nachempfinden beruht: Als wir 102 Probandinnen und Probanden schmerzhafte Stromimpulse verabreichten, regten sich bei ihnen dieselben Hirnareale, wie wenn sie den Vorgang bei anderen bloß beobachteten. Das galt insbesondere für den zingulären Kortex und die Insula, die beide zum Schmerznetzwerk gehören. Gaben wir den Freiwilligen ein nur vermeintlich schmerzlinderndes Mittel, also ein Placebo, empfanden sie weniger Empathie für den Schmerz anderer und die genannten Regionen waren weniger aktiv. Nach Verabreichen eines Opioidantagonisten, der die schmerzlindernde Wirkung des Placebos neutralisiert, normalisierte sich ihr Empathie-Empfinden.

Solche Ergebnisse führten zum Konzept der geteilten Repräsentation. Vereinfacht gesagt entsteht Empathie gegenüber einer bestimmten Emotion durch Aktivieren jener Hirnprozesse, die auch dem eigenen Empfinden zu Grunde liegen. Bei Empathie für Schmerz regen sich die Schmerznetzwerke; Entsprechendes gilt für Situationen, in denen wir uns mit anderen freuen. Daher ist die Abgrenzung von Eigen- und Fremdemotion so wichtig: Kommt das Gehirn durcheinander, wissen wir nicht mehr, ob wir selbst Schmerzen haben oder ob die Freude, mit der wir angesteckt wurden, nicht doch unsere eigene ist.

Wenn das beim Menschen so gut funktioniert, ist es naheliegend, einen ähnlichen Ansatz auch bei anderen Lebewesen zu verfolgen – also zu untersuchen, wie tierische Gehirne die wahrgenommenen Emotionen von Artgenossen verarbeiten. Ratten sind dabei insofern interessant, als sie zwar einen schlechten Ruf haben – als Krankheitsüberträger und Schmarotzer –, aber höchst intelligent und sozial sind. Beispielsweise befreien sie einen eingeschlossenen Kameraden sogar dann, wenn ihnen dadurch leckeres Futter entgeht, weil sie es mit dem Geretteten teilen müssen.

Hinweise auf Empathie bei Ratten und Mäusen

Aus diesem Grund wählten Valeria Gazzola und Christian Keysers vom Niederländischen Institut für Neurowissenschaften in Amsterdam Ratten als Modelltiere und untersuchten, ob deren Gehirn mittels geteilter Repräsentationen auf die Schmerzen von Artgenossen reagiert. Dabei wendete das Team invasive Methoden an, die im Gegensatz zu nichtinvasiven Hirnscans, wie wir sie beim Menschen anfertigen, wesentlich genauere Einblicke in die Hirnaktivität liefern. Messungen an einzelnen Nervenzellen im zingulären Kortex offenbarten, dass dieselben Neurone, die dann aktiv sind, wenn eine Ratte selbst Schmerzen empfindet, auch dann feuern, wenn das Tier die Pein eines anderen nur sieht. Das Verabreichen eines Medikaments, das die Signale in dieser Hirnregion dämpft, veränderte ebenfalls das empathisch wirkende Verhalten: Die Nager zeigten dann weniger Stressreaktionen beim Anblick eines leidenden Kameraden.

Bei anderen Tierarten ist Empathie derzeit ebenfalls ein heißes Thema. So haben vier aktuelle Studien bei Mäusen sowie bei Primaten neuronale Prozesse festmachen können, die auf Empathie hindeuten. Zum Beispiel untersuchten Monique Smith und zwei Kollegen an der Stanford University 2021 mit einem ähnlichen Ansatz wie Gazzola und Keysers, wie Labormäuse auf Schmerzen reagieren, die Artgenossen zugefügt werden. Mäuse sind unter anderem deshalb von Interesse, weil sie als weniger prosozial gelten als Ratten.

Trotzdem beobachteten die Fachleute bei ihnen eine »soziale Schmerzübertragung«: Nachdem die Nagetiere eine Stunde lang Kontakt zu einer unter Schmerzen leidenden Maus hatten, waren sie selbst vier Stunden lang schmerzempfindlicher – allerdings nicht spezifisch für einen bestimmten Körperteil, sondern in Form einer allgemeinen Reaktion. 2021 haben wir dasselbe Phänomen bei menschlichen Testpersonen nachgewiesen. Die Nager, so unsere Interpretation, spüren folglich nicht, wo genau es ihren Artgenossen wehtut, sondern eher, dass mit ihnen irgendetwas nicht stimmt. Die soziale Schmerzübertragung wird durch den zingulären Kortex vermittelt. Dass dieser zudem mit prosozialem Verhalten bei Mäusen in Verbindung steht, legt eine Anfang 2024 veröffentlichte Studie der University of California in Los Angeles nahe.

Sozialer Klebstoff

Und wie sieht es bei Primaten aus? Immerhin gehört der Mensch zur selben Ordnung, zu der etwa Schimpansen, Bonobos und Gorillas zählen. Hier sind in erster Linie die Erkenntnisse des berühmten Primatologen Frans de Waal (1948–2024) zu nennen. De Waal war maßgeblich daran beteiligt, dass sich sowohl die vergleichende Verhaltens- als auch die neurowissenschaftliche Forschung so intensiv mit dem Thema Empathie und Prosozialität bei nichtmenschlichen Tieren beschäftigt. So hat er eines der ersten kognitionswissenschaftlich motivierten Empathie-Modelle vorgestellt und wirkte mit seinen populärwissenschaftlichen Büchern weit über die Fachwelt hinaus. Als Verhaltensbiologe beobachtete und beschrieb er vor allem die Verhaltensweisen unter anderem von Bonobos und Schimpansen. Auf dieser Grundlage stellte er dann Hypothesen über die Ursachen und Funktionen des Verhaltens an.

Experimentelle Daten können das Bild heute vervollständigen – etwa mit Hilfe invasiver Hirnstromableitungen. Mittels drahtloser Messung zeichnete ein Team um Camille Testard an der University of Pennsylvania die Aktivität einzelner Neurone von sich frei bewegenden Rhesusaffen auf. Ähnlich wie bei Menschen, Mäusen und Ratten reagierte das Gehirn der Affen auf Stressoren, denen Artgenossen ausgesetzt waren. Konkret feuerten die Nervenzellen im temporalen und im präfrontalen Kortex immer dann, wenn die Äffchen von einem menschlichen Eindringling bedroht wurden, aber auch, wenn sie bloß Zeuge dessen waren.

Erst wenn ich nachempfinden kann, was mein Gegenüber fühlt, ohne dies mit meinem eigenen emotionalen Innenleben zu verwechseln, spricht man von Empathie im engeren Sinn

Ordnungen und Tierarten, die einer anderen evolutionären Linie angehören, liefern darüber hinaus besonders spannende Erkenntnisse. Falls bei ihnen ebenfalls empathieähnliche Phänomene zu Tage treten, spricht dies für eine konvergente Evolution: Vergleichbare Eigenschaften oder Merkmale verschiedener, weit voneinander entfernter Arten sind nicht auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückzuführen (im Gegensatz zur parallelen Evolution). Ein Beispiel dafür sind die Flügel von Vögeln und Fledermäusen, die sich unabhängig voneinander entwickelt haben.

Oft ist konvergente Evolution das Resultat einer Anpassung auf einen ähnlichen evolutionären Druck. Sowohl Vögel wie Fledermäuse fliegen zur Fortbewegung und Nahrungsaufnahme, weshalb bei ihnen entsprechende Körperformen und Flügel entstanden sind. So ähnlich könnte es mit der Empathie sein: Die Fähigkeit ist vielleicht so etwas wie der »Klebstoff«, der komplexe Gesellschaften von unterschiedlichen sozial lebenden Tieren auf ähnliche Art und Weise zusammenhält. In diesem Kontext sind die Untersuchungen an Raben, die unsere Forschungsgruppe gemeinsam mit dem Wiener Kognitionsbiologen Thomas Bugnyar durchgeführt hat, sehr aufschlussreich. Raben sind ebenfalls Tiere mit einem komplexen Sozialleben und hoch entwickelten sozialen Fähigkeiten.

Emotionale Ansteckung bei Raben

Mit Hilfe eines innovativen Verhaltenstests wies unsere Arbeitsgruppe bei ihnen Anzeichen von emotionaler Ansteckung nach. Die Erstautorin Jessie Adriaense ließ dazu Raben durch ein Guckloch spähen und entweder einen Leckerbissen oder unbeliebtes Futter erblicken. Je nachdem, was der Vogel sah, zeigte er Anzeichen von Vorfreude – oder wandte sich frustriert ab. Ein zweiter Rabe beobachtete das Verhalten des Artgenossen (ohne jedoch das Futter zu sehen) und wurde anschließend selbst einem Test unterzogen: Wir zeigten ihm mehrere Behälter, deren Inhalt ihm verborgen war.

Die Idee dahinter: Angetrieben von der Aussicht auf einen Leckerbissen nähern sich optimistisch gestimmte Vögel den Behältern schnell. Erwarten sie dagegen keine oder eine unattraktive Belohnung, verhalten sie sich meist zurückhaltender. Tatsächlich gingen die Raben im Schnitt langsamer und bedachter auf die Objekte zu, wenn sie zuvor einen frustrierten Kollegen beobachtet hatten. Sie waren offenbar pessimistisch gestimmt. Demnach lassen sich Raben von den negativen Emotionen eines Artgenossen anstecken – womit diese grundlegende Komponente der Empathie nicht nur bei Säugetieren, sondern auch bei Vögeln vorkäme.

Es kann viele Gründe dafür geben, warum sich etwas zwar ähnlich darstellt, aber nicht identisch ist

Während es bislang noch keine neurowissenschaftlichen Arbeiten zu den empathischen Fähigkeiten von Raben gibt, sind wir bei einem anderen Modelltier für die Untersuchung konvergenter Evolution auf dem besten Weg dorthin: dem Hund. Dank eines speziellen Trainings ist es möglich, dass sich Haushunde freiwillig und ohne jeglichen Einsatz aversiver Verfahren (wie Beruhigungsmittel oder Fixierungen) in einen fMRT-Hirnscanner legen. Auf diese Weise demonstrierten wir in einer Kooperation mit dem Kognitionsforscher Ludwig Huber vom Messerli Forschungsinstitut bei 15 Vierbeinern und 40 menschlichen Probanden, dass Hunde- und Menschengehirne ähnlich auf soziale Reize reagieren (etwa auf Fotos von Gesichtern oder Gesten). Neben einem Einblick in die neuronalen Grundlagen konvergenter Evolution zeigt uns das, wie artübergreifende (empathische) Wahrnehmung funktionieren könnte. Hunde haben sich im Zuge ihrer Domestikation möglicherweise gerade darauf spezialisiert. Ob das auf Katzen ebenfalls zutrifft, ist noch weniger gut untersucht.

Trotz der zahlreichen Hinweise auf empathische Fähigkeiten von Tieren plädieren wir jedoch dafür, bei ihrer Interpretation zurückhaltend zu sein. Zwar spricht eine Menge dafür, dass Ratten, Mäuse, andere Primaten sowie Raben und Hunde uns Menschen in Bezug auf unsere empathiebezogenen Fähigkeiten ähneln. Allerdings darf man die Gegenargumente nicht übersehen. So kann es viele Gründe dafür geben, warum etwas zwar sehr ähnlich erscheint, aber trotzdem nicht identisch ist. Dieser Aspekt ist insbesondere für die verhaltensbasierte Kognitions- beziehungsweise Emotionsforschung eine Herausforderung, wie wir 2020 in einem Übersichtsartikel dargestellt haben. Darin beschreiben wir, dass sich oftmals als ähnlich oder gar identisch interpretierte Verhaltensweisen auf wesentlich einfachere Ursachen als auf empathische Prozesse zurückführen lassen.

Das zeigt das Beispiel des prosozialen Verhaltens von Ratten. Wie ein Team um Peggy Mason von der University of Chicago demonstrierte, vermindert die Gabe eines angstlösenden Medikaments die Bereitschaft der Nager, einem Artgenossen aus der Patsche zu helfen. Dies lässt vermuten, dass Hilfe einen erregten emotionalen Zustand voraussetzt. Wenn also der Anblick eines in Not geratenen Kameraden bei der beobachtenden Ratte Anspannung auslöst, so wird Letztere womöglich nur helfen, um ihren eigenen Stress zu lösen. Zumindest ist bis dato nicht eindeutig bewiesen, dass hier wirklich Empathie am Werk ist.

Bis ein solcher Nachweis gelingt, wird es immer möglich sein, die mutmaßliche Empathie als primäre Überlebensstrategie zu interpretieren

Aber treffen Einwände dieser Art auch auf den Blick ins Gehirn zu, bei dem eine solche Mehrdeutigkeit doch weniger wahrscheinlich scheint? Unserer Meinung nach ist das tatsächlich der Fall, und zwar für so gut wie alle hier beschriebenen Ergebnisse. So könnte das Verhalten von Mäusen, Ratten und Rhesusaffen etwa darin begründet liegen, dass ihr Gehirn den Schmerz beziehungsweise den Stress ihrer Artgenossen als Hinweisreiz für eine ihnen selbst drohende Gefahr interpretiert. Valeria Gazzola und Christian Keysers ordnen ihre Befunde ebenfalls kritisch ein: Die bisherigen Versuche ließen lediglich den Schluss zu, dass sich Mechanismen wie emotionale Ansteckung evolutionär deshalb entwickelt haben, weil sich Artgenossen damit gegenseitig vor gemeinsamen, unmittelbaren Gefahren warnen können.

Die Aktivierung der entsprechenden neuronalen Netzwerke wäre demnach kein Beleg für Empathie, sondern eher für emotionale Ansteckung. Erst wenn diese durch die Unterscheidung von Selbst und Anderem ergänzt wird, können wir von »echter« Empathie sprechen. Wir brauchen also ausgefeilte Experimente, die zeigen, dass Tiere zu einer solchen Abgrenzung und deren gezieltem Einsatz fähig sind. Bis ein solcher Nachweis gelingt, wird es immer möglich sein, die mutmaßliche Empathie als primäre Überlebensstrategie zu interpretieren.

Damit wollen wir jedoch nicht sagen, dass nur der Mensch über die Fähigkeit der Empathie verfügt. Aber vielleicht sollten wir uns gar nicht die Frage stellen, ob Tiere empathisch sind, so wie wir es von Menschen kennen, sondern ob sie auf die Emotionen ihrer Artgenossen oder sogar auf die von anderen Arten emotional reagieren – was dann zu prosozialem Verhalten führen kann. Beispielsweise können die Hilfeschreie eines Artgenossen Emotionen auslösen, die nicht das spiegeln, was dieser fühlt, sondern das wahrnehmende Tier aktivieren und zu Verhaltensweisen veranlassen, von denen dann auch das in Not geratene Individuum profitiert. Doch das wäre eine andere Frage, die wir immerhin mit einem eindeutigeren »ziemlich sicher« beantworten würden.

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  • Quellen

Literaturtipps

Bugnyar, T.: Raben. Das Geheimnis ihrer erstaunlichen Intelligenz und sozialen Fähigkeiten. Brandstätter, 2022
Ein faszinierender Einblick in die komplexen Fähigkeiten von Rabenvögeln

Huber, L.: Das rationale Tier. Eine kognitionsbiologische Spurensuche. Suhrkamp, 2021
Der Kognitionsbiologe Ludwig Huber zieht Bilanz zum gegenwärtigen Forschungsstand über das tierische Denken.

Quellen

Adriaense, J. E. C. et al.: Challenges in the comparative study of empathy and related phenomena in animals. Neuroscience and Biobehavioral Reviews 112, 2020

Boch, M. et al.: Functionally analogous body- and animacy-responsive areas are present in the dog (Canis familiaris) and human occipito-temporal lobe. Communications Biology 6, 2023

Rütgen, M. et al.: Placebo analgesia and its opioidergic regulation suggest that empathy for pain is grounded in self pain. PNAS 112, 2015

Smith, M. L. et al.: Anterior cingulate inputs to nucleus accumbens control the social transfer of pain and analgesia. Science 371, 2021

Testard, C. et al.: Neural signatures of natural behaviour in socializing macaques. Nature 628, 2024

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