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News: Ende der Diskussion

Die heute gültigen Grenzwerte für ionisierende Strahlung beruhen im Wesentlichen auf den Erfahrungen der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki. Während die damalige Gammastrahlung gut bekannt ist, herrscht seit Jahren ein Streit über die Dosis der hochenergetischen Neutronenstrahlung.
Atombombe
Am frühen Morgen des 6. August 1945 steigen sieben Männer an Bord des B-29-Bombers Enola Gay. Ihr Auftrag: Abwurf einer 4,5 Tonnen schweren Atombombe. Ihr Ziel: Hiroshima.

Wenige Stunden später, um 8:15 Uhr, existiert die japanische Stadt mit einst 350 000 Einwohnern nicht mehr. Hiroshima sowie die Stadt Nagasaki, die es drei Tage später traf, gingen als Mahnung des ersten und bisher einzigen Einsatzes von Kernwaffen in die Geschichte ein.

Die genaue Zahl der Toten ist unbekannt. Vermutlich starben in Hiroshima sofort mindestens 90 000 Menschen, Jahrzehnte später erliegen immer noch Menschen den Folgen der radioaktiven Strahlung; die Gesamtzahl der Opfer von Hiroshima wird auf über 200 000 geschätzt.

So makaber es klingt, das damalige Grauen stellt für die nüchterne Wissenschaft eine wichtige Quelle der Erkenntnis dar. Denn niemals zuvor ließ sich die Wirkung hoch dosierter ionisierender Strahlung auf den Menschen studieren: Ab den fünfziger Jahren sammelte die japanisch-amerikanische Radiation Effects Research Foundation die Krankheitsdaten von über 90 000 Überlebenden und korrelierte sie mit der Strahlendosis, der die Opfer ausgesetzt waren. Aufgrund dieser Erfahrungen konnten Grenzwerte festgelegt werden, deren Anwendung die gesundheitlichen Risiken durch Radioaktivität minimieren soll.

Dafür muss jedoch die Strahlenbelastung der damaligen Atombombenopfer möglichst genau bekannt sein. Während über die Dosis der Gammastrahlung kein Zweifel herrscht, streiten sich die Gelehrten seit Jahren, welchen Anteil die Neutronenstrahlung an den Krebs- und anderen schweren Krankheiten der Hibakusha hatte, wie sich die Überlebenden selbst nennen. Auf der Basis von Isotopenmessungen, die teilweise bereits wenige Wochen nach der Katastrophe durchgeführt werden konnten, entstand 1986 das Dosimetriesystem DS86, das die Dosis der Neutronenstrahlung im Verhältnis zur Gammastrahlung als relativ niedrig einschätzte. Demnach wären die gesundheitlichen Folgen fast ausschließlich auf die zellzerstörende Wirkung der Gammastrahlung zurückzuführen.

Die Abschätzung der Neutronenstrahlung beruhte hauptsächlich auf der Wirkung so genannter thermischer Neutronen; die Überlebenden sind jedoch vor allem mit hochenergetischen schnellen Neutronen bestrahlt worden. Und so mehrten sich in den letzten zwei Jahrzehnten die Zweifel am DS86: Waren die Hibakusha in Wirklichkeit einer viel höheren Neutronenstrahlung ausgesetzt? Stellt Neutronenstrahlung damit ein viel größeres Risiko dar als bisher angenommen?

Die Wissenschaftler fahndeten daher nach Spuren, mit denen heute noch die damalige Neutronenstrahlung nachgewiesen werden kann. Diese Spuren gibt es tatsächlich, und zwar in Form eines bestimmten Nickelisotops: Durch den Einfang schneller Neutronen verwandelt sich das Kupferisotop 63Cu in 63Ni. Mit einer Halbwertszeit von 100 Jahren sollte demnach 63Ni immer noch aufzuspüren sein.

Tore Straume von der University of Utah hat nun zusammen mit Gunther Korschinek von der TU München sowie weiteren Kollegen aus Deutschland und den USA in Hiroshima Kupferproben gesammelt – in Form von Blitzableitern, Regenrinnen oder Kupferdachplatten –, die sich 1945 in einem Abstand von 380 Metern bis zu fünf Kilometern vom Zentrum der Explosion befanden hatten. Die Messung erwies sich allerdings als trickreich, denn da 63Cu und 63Ni die gleiche Masse besitzen, mussten die Forscher Nickel zunächst chemisch abtrennen, bevor sie es durch den Massenspektrometer schicken konnten.

Doch das Kunststück gelang. Und das Ergebnis: Es bleibt alles beim Alten. Die Daten bestätigen die vom DS86 abgeschätzten Werte, die Neutronenstrahlung betrug nur ein bis zwei Prozent der Gesamtdosis.

Die Hibakusha haben ihr Leiden also tatsächlich fast ausschließlich der Gammastrahlung zu verdanken. Damit bleibt die Gefahr durch Neutronenstrahlung weiter ungeklärt, wie der Epidemiologe Mark Little vom Imperial College London betont: "Aus dem Bombardement von Hiroshima können wir keinerlei Schlüsse über die Risiken von Neutronenstrahlung ziehen." Die Diskussion geht weiter.

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