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Atommüll: Sicher für eine Million Jahre?

In einem unterirdischen Labor in der Schweiz untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ob sich eine besondere Gesteinsart namens Opalinuston für ein Atommüll-Endlager eignet. Auch in Deutschland könnte eine solche Formation die letzte Ruhestätte für den hoch radioaktiven Abfall werden.
Felslabor Mont Terri in St. Ursanne mit Viadukt

In der Schweiz, rund 40 Kilometer südwestlich von Basel, befindet sich das malerische Örtchen Saint-Ursanne. Wer aus Richtung Basel mit dem Zug hier ankommt, sieht das mittelalterliche Dorf von einem langen Viadukt aus im Tal liegen. Unmittelbar danach hält der Zug am Bahnhof, und die meisten Besucher begeben sich nach links auf den langen Marsch hinunter in den Ortskern. Wer jedoch ein paar Schritte nach rechts geht, findet sich direkt vor dem Mont Terrible wieder, dem Hausberg von Saint-Ursanne. In einem unterirdischen Labor forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt dort an der Frage, wie ein Endlager für Atommüll aussehen könnte.

Der Mont Terri, wie die Schweizer den Berg kurz nennen, liegt mitten im Faltenjura. Der entstand, als sich die Alpen erhoben und dadurch die Gesteinsschichten zusammendrückten. Im Norden schließt sich der Oberrheingraben an, eine tektonisch unruhige Zone. Durch diese Gegebenheiten ist praktisch garantiert, dass sich irgendwann innerhalb von tausenden Jahren die Lage der Gesteinsschichten verändern wird – der Berg kommt daher für ein Atommülllager nicht in Frage. Aber mitten durch die Erhebung zieht sich eine gut 150 Meter dicke Schicht aus Opalinuston.

Das Gestein ist für Wasser nur sehr wenig durchlässig, hält strahlende Teilchen effektiv zurück und schließt Risse quasi von selbst. Dadurch gilt es als aussichtsreicher Kandidat, wenn es um die Frage geht, welches Wirtsgestein künftig unsere radioaktiven Abfälle beherbergen soll. Steinsalz ist für diesen Zweck zwar bereits viel besser erforscht; unter anderem hat Deutschland jahrzehntelange Erfahrung durch die ausgiebige Erkundung des Bergwerks Gorleben. Doch seit 2013 schreibt das so genannte Standortauswahlgesetz vor, dass geeignete Lagerstätten unabhängig von den bisherigen Untersuchungen auf einer »weißen Landkarte« gesucht werden müssen. Gleichzeitig regelt das Gesetz, dass als Alternativen Steinsalz, Tonstein sowie Kristallgestein wie etwa Granit als Wirtsgesteine in Frage kommen.

Kandidaten für die Endlagersuche

Welche Wirtsgesteine kommen in Deutschland in Frage?

In Deutschland kommen drei Alternativen als Wirtsgesteine für ein Endlager in Betracht: Tongestein wie der Opalinuston, Steinsalz in Salzstöcken oder in flacher Lagerung sowie kristalline Formationen wie Granit. Welche der Gesteine sich eignen, hängt zum einen von der Lage ab, zum anderen von der Dicke (Stärke) der betreffenden Gesteinsschicht und den umgebenden Gesteinen.

Welches Gestein ist das beste?

Das lässt sich pauschal nicht sagen. Wichtig sind in erster Linie die geologischen Gegebenheiten. Orte, an denen sich der Boden kontinuierlich hebt, wie etwa die Alpenregion, sind beispielsweise ungeeignet, weil der Abfall dann früher oder später an die Oberfläche kommt. Das Gleiche gilt für erdbebengefährdete Regionen wie den Rheingraben oder Gebiete, die in der jüngeren Vergangenheit vulkanisch aktiv waren, wie die Eifel.

Jedes Gestein hat unterschiedliche Stärken und Schwächen im Hinblick auf die Endlagerung radioaktiver Abfälle. Während Steinsalz beispielsweise Wärme gut abtransportieren kann, was es interessant für die Lagerung hoch radioaktiver, Wärme entwickelnder Abfälle macht, ist es wasserlöslich. Opalinuston hingegen hält Wasser extrem gut zurück, ist aber nicht so stabil wie Steinsalz und führt Wärme nur schlecht ab. Aus diesem Grund arbeiten Fachleute in ihren Szenarien mit einer zusätzlichen »geotechnischen Barriere« aus Bentonit.

Steinsalz ist als Wirtsgestein am besten erforscht. Zum einen durch den jahrzehntelangen Abbau von Kali- und Steinsalz, zum anderen, weil die BGR dazu ausgedehnte Untersuchungen angestellt hat, unter anderem am ehemaligen Salzstock Gorleben.

Langzeitversuch im Felslabor | Zahlreiche Experimente im Felslabor Mont Terri in der Schweiz sollen helfen zu verstehen, wie ein Endlager für radioaktiven Abfall im Tonstein zu gestalten wäre. In diesem Langzeitversuch haben Fachleute elf Jahre lang beobachtet, wie sich eine Barriere aus Bentonit verhält.

Jedes der Materialien hat seine Vor- und Nachteile: Tonstein ist viel komplexer zusammengesetzt und besitzt je nach Raumrichtung unterschiedliche mechanische und hydraulische Eigenschaften, ganz anders als etwa Salz, betont Gerhard Enste. Er leitet an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover die Abteilung Unterirdischer Speicher- und Wirtschaftsraum und verantwortet dort unter anderem die Forschung zur Endlagerung von radioaktivem Abfall.

Der Tonstein im Mont Terri ist durchzogen von zahllosen Brüchen, die vor rund zwölf Millionen Jahren entstanden sind.

Bereits seit 1996 untersucht die BGR die Gesteinsformation am Mont Terri. Gemeinsam mit 21 Forschungsgruppen aus neun Ländern – aus Deutschland sind außer ihnen noch fünf Zentren der Helmholtz-Gemeinschaft, das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) sowie die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) beteiligt – studieren Enste und seine Kollegen das Material, prüfen dessen Stabilität, bauen Heizelemente in den Berg und simulieren, wie man große Abfallbehälter zigtausende Jahre sicher dort lagern kann. Die Wissenschaftler haben die schwierige Aufgabe, herauszufinden, unter welchen Umständen der Ton radioaktive Abfälle für eine Million Jahre sicher einschließt. Aber wie erbringt man einen Sicherheitsnachweis über eine Zeitspanne, die für einen Menschen unabsehbar erscheint?

Uralte Risse geben Aufschluss, wie sich das Gestein in Zukunft verhalten könnte

Der Geologe Ben Laurich untersucht dazu kleine Risse, die sich vor langer Zeit im Berg gebildet haben. Der Tonstein im Mont Terri ist durchzogen von zahllosen Brüchen, die vor rund zwölf Millionen Jahren entstanden sind. Damals, im mittleren Miozän, begann sich der Schweizerische Jura zu heben. Dabei hat sich die Region rund um den Berg so aufgefaltet, dass die ehemals horizontal übereinanderliegenden Gesteinsschichten schräg nach oben gedrückt wurden und sich nun hübsch nebeneinander aufreihen. Die »Störungszone« mit ihren vielen Brüchen, die dabei entstanden ist, gibt Laurich Hinweise darauf, wie sich das Gestein bei künftigen tektonischen Kräfteeinwirkungen verhalten könnte.

Für die Fachleute ist die Hebung und Auffaltung der Gebirgsschichten ein Glücksfall, denn die verschiedenen Lagen, die sonst nur über einen tiefen Schacht erreichbar wären, werden ihnen dadurch quasi auf dem Silbertablett serviert. Um die aufschlussreichen Tonschichten untersuchen zu können, genügt es nun, einen horizontalen Tunnel durch den Berg anzulegen. Und so begannen 1996, als an dieser Stelle der gut vier Kilometer lange Mont-Terri-Autobahntunnel gebaut wurde, Wissenschaftler der Schweizer Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) ausgehend von einem angeschlossenen Sicherheitstunnel Gänge für ein Labor in den Berg zu graben. Heute durchziehen anderthalb Kilometer Strecken und Nischen den Stein westlich der Autobahnröhre und beherbergen zahlreiche Großexperimente, Sensoren, Bohrlöcher, Messinstrumente und Maschinen. Der neueste Abschnitt kam Ende 2019 dazu.

Barriere Konzept im Tiefenlager | Das Modell verdeutlicht, wie ausgediente Brennstäbe unterirdisch eingelagert werden könnten: In einem runden Stollen befindet sich auf einem Sockel aus Bentonit ein Stahlzylinder mit den Brennelementen (metallene Röhren). Rings um den Abfallbehälter wird der Stollen mit Granulat aus Bentonit aufgefüllt, das im Lauf der Jahre Wasser aufnimmt. Bricht der Behälter nach mehreren zehntausend Jahren, hält das aufgequollene Granulat die austretenden Radionuklide zurück.

Am Eingang des Labors steht Laurich nun neben einem frei gelegten Stück Wand. Eigentlich ist der Tunnel überall mit Spritzbeton verkleidet, da er sonst nicht stabil genug wäre. Doch an dieser Stelle sollen die Besucher sehen, wie der Berg tatsächlich aussieht. Laurich zeigt auf eine der vielen Bruchflächen in der schiefergrauen Wand. »Die Zonen, in denen Verschiebungen stattgefunden haben, sind nur zehn Mikrometer dick«, erklärt der BGR-Wissenschaftler. Sie erstrecken sich aber mehrere Meter weit ins Gestein. »Die Oberfläche spiegelt ganz leicht – das heißt, die Unebenheiten sind kleiner als die Wellenlängen des sichtbaren Lichts«, die zwischen 400 und 750 Nanometer liegen. Will man die Unregelmäßigkeiten zu Gesicht bekommen, benötigt man ein Transmissionselektronenmikroskop, das die winzigen Details auflösen kann. Doch die Risse bleiben im Opalinuston nicht offen: Diejenigen im Mont Terri sind häufig mit Kalzit gefüllt. »Wir haben herausgefunden, dass die Verfüllungen mit der Störungsentstehung einhergehen«, erklärt Laurich. Sie haben also zeitgleich stattgefunden – eine gute Nachricht für die Dichtigkeit des Gesteins.

Wie erbringt man einen Sicherheitsnachweis über eine Zeitspanne, die für einen Menschen unabsehbar erscheint?

Dass sich Risse im Opalinuston schnell wieder schließen, ist einer der großen Vorteile des Materials. Darüber hinaus macht seine geringe Durchlässigkeit das Gestein zu einem aussichtsreichen Kandidaten für ein Endlager. Wasser dringt mit einer Geschwindigkeit von nur 10–13 Metern pro Sekunde hindurch, legt also in dieser Zeit etwa ein Zehntel eines billionstel Meters zurück. Für einen Meter bräuchte es demnach mehr als 317 000 Jahre. Wo kein Wasser strömt, kann es keine Radionuklide transportieren. Allein mittels Diffusion durch das im Ton enthaltene Porenwasser – im Mont Terri sind das zwischen fünf und neun Gewichtsprozent – können sich die strahlenden Teilchen durch das Gestein bewegen. Unterschiedliche Nuklide diffundieren verschieden schnell, im Allgemeinen verläuft der Prozess aber sehr langsam. Für die Auswahl eines Atommülllagers in der Schweiz müssen die Kollegen der Nagra explizit nachweisen, dass radioaktive Strahlung von weniger als 0,1 Millisievert den Boden über dem Ton erreicht. Das geht nur, wenn die träge Diffusion immer noch der »schnellste« stattfindende Transportprozess ist und alle anderen langsamer ablaufen. In Deutschland hingegen genügt es, wenn die Wasserdurchlässigkeit einen Wert von 10–10 Metern pro Sekunde nicht überschreitet. Die Dichtigkeit des Tons lässt sich im Felslabor eindrucksvoll nachvollziehen: Durchquert man bei der Einfahrt in den Berg noch zahlreiche große Pfützen, so ist es, sobald man die Formation aus Opalinuston erreicht hat, plötzlich vollkommen trocken. Darüber hinaus wirkt sich die Mikrostruktur des Tonsteins günstig aus: Auf Grund seiner vielen winzigen Poren hat ein Gramm des Materials eine innere Oberfläche von rund 100 Quadratmetern. An die Grenzflächen der einzelnen Tonminerale können sich Radionuklide anlagern und werden auf diese Weise zusätzlich zurückgehalten.

Bevor jedoch radioaktives Material überhaupt mit dem Tonstein in Berührung kommt, soll so viel Zeit wie möglich vergehen. Denn der Opalinuston, das so genannte Wirtsgestein, bildet nur die letzte Barriere zwischen Radionukliden und Umwelt.

Störungszone im Felslabor Mont Terri | Die Gesteinsschichten im Mont Terri haben sich vor Millionen Jahren verschoben. Die so entstandenen Bruchzonen geben Aufschluss darüber, wie sich der Berg unter künftigen Kräfteeinwirkungen verhalten könnte.

Die erste stellen die Behälter aus Metall dar, in denen die Abfälle verstaut werden. Während die Schweizer noch offenlassen, aus welchem Material diese bestehen sollen, haben sich die Deutschen bereits für Stahl entschieden. Die Experten gehen derzeit davon aus, dass solche Behältnisse etwa 10 000 bis 50 000 Jahre lang dicht halten, bevor sie sich durch Korrosion zersetzen und ihren Inhalt frei geben.

Verschiedene Barrieren sollen die Radionuklide zurückhalten

Geht es nach den Wissenschaftlern, treffen die Stoffe anschließend auf eine geotechnische Barriere. Anders als man es etwa von Bildern aus dem ehemaligen Salzbergwerk Asse II in Wolfenbüttel kennt, wo Atommüllfässer kreuz und quer herumliegen, will man für die Lagerung der Fässer runde Stollen ausheben, jeden Behälter darin ordentlich auf einen Sockel aus Bentonit montieren und den Hohlraum zwischen Fass und Stollenwand mit einer dicken Schicht Bentonitgranulat auffüllen. Bentonit, in anderer Form als Material für Katzenstreu bekannt, nimmt im Lauf der Jahrhunderte Wasser aus den Poren des Tonsteins auf. Dabei quillt es auf und bildet eine zähe, klebrige Masse. Diese schließt zum einen durch den sich aufbauenden Gebirgsdruck die Lücke zwischen Fass und Gebirge, zum anderen soll sie nach dem Bruch des Behälters einen Großteil der strahlenden Nuklide zurückhalten, so dass schließlich nur noch vereinzelte radioaktive Teilchen im Berg ankommen.

Bevor radioaktives Material überhaupt mit dem Tonstein in Berührung kommt, soll so viel Zeit wie möglich vergehen

Wie gut das funktioniert, hat ein Team um den BGR-Geophysiker Markus Furche in einem Langzeitversuch von 2001 bis 2013 getestet. Einen viereinhalb Meter langen Stahlzylinder mit rund einem Meter Durchmesser haben die Kollegen auf einen Bentonitsockel montiert und in einen sechs Meter langen und knapp drei Meter breiten Stollen im Felslabor eingebracht. Der Hohlraum um den Metallzylinder wurde mit 40 Tonnen trockenem Bentonitgranulat aufgefüllt und das Ganze mit einer zwei Meter dicken Betonwand verschlossen. 15 Kubikmeter Wasser gaben die Wissenschaftler in den folgenden anderthalb Jahren zum Bentonit hinzu, dann war das Granulat zu 90 Prozent gesättigt. Erst durch die Sättigung und das damit verbundene Aufquellen entfalte der Bentonit seine volle Barrierewirkung, erläutert Furche. Während des elf Jahre dauernden Experiments maß die Gruppe unter anderem die Wassersättigung und den Druck, der sich durch das aufquellende Granulat aufbaute, sowie verschiedene Parameter im Gestein wie Auflockerungsprozesse, den Wassergehalt, den Porendruck, seismische Geschwindigkeiten und Weiteres.

Der Bentonit ist fast so dicht wie der Opalinuston selbst

»Wir haben einerseits herausgefunden, dass der gesättigte Bentonit praktisch genauso dicht ist wie der Opalinuston selbst: Er leitet Wasser mit 10–12 Metern pro Sekunde, das ist ein sehr kleiner Wert«, erklärt Furche. Außerdem baue sich durch das Quellen des Bentonits ein solch starker Druck auf, dass der Bereich um den Tunnel, in dem sich während des Aushebens das Gestein aufgelockert hat, wieder geschlossen wird. Unter natürlichen Bedingungen quillt der Bentonit allerdings viel langsamer als im Versuch: Er wird nicht künstlich gesättigt, sondern saugt Porenwasser aus dem umgebenden Gestein auf, was Jahrzehnte dauert. Das zeigen andere Experimente, beispielsweise im Schweizer Felslabor Grimsel. Laut Furche besteht dadurch aber kein Grund zur Sorge, da die strahlenden Substanzen zu Beginn der Einlagerung ja noch sicher in ihren Behältern verstaut sind: »In einem Endlager haben Sie die Zeit. Diese Prozesse dürfen lange dauern, da sind 100 Jahre kein Problem«, sagt der Forscher.

Prozesse im Tiefenlager | Nach der Einlagerung des radioaktiven Abfalls laufen in einem Tiefenlager verschiedene Prozesse ab, die teils hunderte oder tausende Jahre andauern.

Rund 90 Prozent der Radionuklide blieben in der Bentonitbarriere stecken, erläutert Olivier Leupin von der Schweizer Nagra, die hier unten ebenfalls zahlreiche Versuchsanlagen betreibt. Den allergrößten Teil der restlichen Substanzen halte der Opalinuston zurück. Denn die meisten Zerfallsprodukte sind Kationen (positiv geladene Teilchen), die sich an die negativ geladenen Tonoberflächen anheften und daher stecken bleiben. »Es ist sehr mühsam, diese Kationen dort überhaupt zur Diffusion zu bringen«, erklärt der Geochemiker. »Rein rechnerisch können einzelne Radionuklide die Biosphäre erreichen, aber nur in unkritischen Konzentrationen.« Bei diesen Nukliden handelt es sich um radioaktive Isotope der Elemente Chlor und Iod, die als Anionen vorliegen, also negativ geladen sind und deshalb – wenn auch sehr langsam – durch die Poren diffundieren können.

Selbst nach 30 bis 40 Jahren sind ausgediente Brennstäbe noch heiß

Doch Atommüll ist nicht gleich Atommüll. Der überwiegende Teil der in Deutschland anfallenden radioaktiven Abfälle – nach Schätzungen der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) werden das bis zum Jahr 2080 insgesamt etwa 620 000 Kubikmeter sein – ist als »vernachlässigbar wärmeentwickelnd« klassifiziert: Das sind beispielsweise Rückstände aus Forschungs- oder Medizinlabors, die mit radioaktiven Substanzen arbeiten, oder Bauteile von stillgelegten Atomkraftwerken. Sie geben zwar noch radioaktive Strahlung ab, setzen dabei aber quasi keine Wärme frei. Rund die Hälfte dieses Mülls soll ab Ende der 2020er Jahre im Schacht Konrad eingelagert werden. Ausgediente Brennstäbe aus Kernkraftwerken geben auf Grund der atomaren Zerfallsreaktionen hingegen noch jahrzehntelang Hitze ab, weshalb man sie als stark wärmeentwickelnd bezeichnet.

Nach ihrer aktiven Dienstzeit in einem Atomkraftwerk kühlen sie einige Jahre lang in Abklingbecken ab. Anschließend müssen sie noch weitere 30 bis 40 Jahre oberirdisch lagern, weil sie noch zu viel Wärme abstrahlen, um unter Tage verfrachtet werden zu können. Und selbst dann sind die Stäbe noch heiß: Packt man sie nach dem derzeitigen Stand der Technik in Fässern zusammen, hat ein Fass eine Leistung von bis zu 1500 Watt, das ist in etwa so viel wie ein handelsüblicher Wasserkocher. Diese Abfälle werden laut BGE rund 27 000 Kubikmeter des gesamten Abfallvolumens ausmachen. Der tatsächliche Umfang kann sich aber ändern, etwa falls auf Grund der örtlichen Gegebenheiten ganz andere Behälter nötig werden als die, mit denen man bislang rechnet. Für diesen Abfall, ebenso wie für die andere Hälfte des kaum Wärme entwickelnden Atommülls, muss noch ein geeignetes Lager gefunden werden.

Atommülllager in Deutschland | Bis 2080 rechnet die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) mit rund 620 000 Tonnen radioaktivem Müll. Nur für Teile des geringfügig strahlenden Materials ist bereits ein Endlager gefunden. Für hoch radioaktive Abfälle existiert noch keine Lösung.

Wohin mit dem radioaktiven Abfall?

Ehemaliges Salzbergwerk Asse II

Die »Asse« ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Endlagerung nicht funktioniert. In dem ehemaligen Kali- und Salzbergwerk im niedersächsischen Landkreis Wolfenbüttel wurden von 1967 bis 1978 insgesamt 125 787 Behälter – etwa 47 000 Kubikmeter – mit schwach und mittel radioaktivem Abfall eingelagert. Was genau dort eingebracht wurde, ist nach Angaben der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) teilweise unklar, da die damalige Dokumentation lückenhaft und nicht zuverlässig sei. Ähnlich wirr ist die Lagerung selbst: Anfangs wurden die Fässer aufrecht gestapelt, später liegend. Weil die Strahlenbelastung für die Mitarbeiter beim ordentlichen Aufstellen der Fässer zu groß war, kippte man diese ab 1971 mit einem Radlader in die Stollen, ohne Rücksicht darauf, ob die Behälter Schaden nahmen.

Zu allem Überfluss ist das Lager ziemlich marode: Rund 12 000 Liter salzhaltige Lösungen dringen täglich in das Bergwerk und die Stollen mit den Müllfässern ein. Die ganze Schachtanlage ist einsturzgefährdet, weshalb bereits Salz und Beton hineingefüllt wurden, um sie zu stabilisieren. Aus diesen Gründen beschloss der Bundestag 2013, alle in der Asse eingelagerten radioaktiven Abfälle zurückzuholen und an geeigneter Stelle unterirdisch einzulagern.

Weil dazu ein neuer Schacht angelegt werden muss, untersucht die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) noch bis 2020, wo dieser am besten entstehen und wie er gebaut werden soll. Erst nach dessen Fertigstellung kann die Rückholung beginnen. Bis ein endgültiger Lagerort für die Fässer aus der Asse gefunden ist, müssen sie über Tage verstaut werden.

Endlager Konrad

Der Schacht Konrad ist ein ehemaliges Erzbergwerk im Stadtgebiet Salzgitter und seit 2002 das erste nach Atomrecht genehmigte Endlager Deutschlands. Es soll künftig 303 000 Kubikmeter schwach und mittelradioaktiven Atommüll beherbergen. Dabei handelt es sich zu zwei Dritteln um Abfall aus Kernkraftwerken oder Betrieben der kerntechnischen Industrie und zu etwa einem Drittel um Atommüll aus öffentlichen Einrichtungen, wie beispielsweise Forschungsinstitutionen oder aus dem Rückbau von DDR-Kernkraftwerken. Momentan wird das Bergwerk zum Endlager umgebaut und soll ab 2027 in Betrieb genommen werden.

Endlager Morsleben

Die DDR nutzte das ehemalige Salzbergwerk Morsleben zwischen Braunschweig und Magdeburg, um schwach und mittelradioaktive Abfälle zu beseitigen. Nach der Wiedervereinigung betrieb das Bundesamt für Strahlenschutz das Lager weiter. Insgesamt 36 754 Kubikmeter Atommüll wurden dort zwischen 1971 und 1998 eingelagert. Daneben beherbergt der Salzstock zwischengelagerte hoch radioaktive Abfälle. Sie machen zwar nur 0,01 Prozent des Abfallvolumens aus, sind jedoch für 60 Prozent der Radioaktivität verantwortlich.

Die BGE will das Endlager stilllegen: Das heißt sichern, verfüllen und verschließen. Die Rückholung und anderweitige Beseitigung der Abfälle bietet nach Einschätzung der BGE keinen Gewinn an Sicherheit. Bis klar ist, ob das Endlager so genehmigt wird, muss die BGE es offen und »stilllegungsfähig« halten.

Gorleben: Symbol des Protests

1977 beschloss die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, in einem Salzstock unter der niedersächsischen Stadt Gorleben ein Endlager für Atommüll zu errichten. Nach starken Protesten wurde das Unterfangen zwei Jahre später umgewidmet: Der Salzstock sollte von da an als »Erkundungsbergwerk« dienen, in dem die Bedingungen für ein Endlager erforscht werden.

Gegen die Erkundung des Salzstocks gab es großen Widerstand – nicht zuletzt, weil wohl nicht wissenschaftliche Argumente, sondern politische Faktoren bei der Standortauswahl die größte Rolle gespielt haben. Die Proteste richteten sich aber auch gegen die Anlieferung von wiederaufbereitetem Abfall aus Kernkraftwerken (Castor-Transporte) in Gorleben und seine oberirdische Zwischenlagerung vor Ort. Ein weiterer Kritikpunkt ist der Bau einer Konditionierungsanlage (eines Umverpackungslagers) für Atommüll.

Im Jahr 2000 wurde die Erkundung des Gorlebener Salzstocks auf Beschluss der Bundesregierung für zehn Jahre verboten. Anschließend nahm die BGR ihre Untersuchungen wieder auf, jedoch nur bis 2012, als diese wieder per Gesetz gestoppt wurden. 2013 trat schließlich das Standortauswahlgesetz in Kraft: Es schreibt fest, dass die Suche nach einem möglichen Endlager von null an starten soll, quasi mit einer weißen Landkarte. Alle Ergebnisse, die bis dahin zum Salzstock vorliegen, sind mittlerweile veröffentlicht. Ein abschließendes Gutachten gibt es jedoch nicht. Seit dem Beschluss wird das Bergwerk zurückgebaut, aber weiterhin offen gehalten.

Olivier Leupin beschäftigt sich mit der Frage, wie die heißen Fässer die Eigenschaften des Gesteins verändern und wie sie anzuordnen sind, damit dessen Stabilität und Dichtigkeit nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Der Wissenschaftler steht vor einem verschlossenen Felsstollen, aus dem sich riesige Bündel bunter Kabel nach draußen schlängeln und schließlich in verschiedensten Anzeigegeräten auf einer Empore aus Stahlgitter verschwinden. Seit 2014 untersucht der Geochemiker im Full-Scale Emplacement Experiment (etwa: 1:1-Einlagerungsexperiment) die Einlagerung Wärme entwickelnder Abfallbehälter unter realen Bedingungen.

Heizungen im Berg simulieren Behälter mit hoch radioaktivem Abfall

Die Schweizer werden ihre ausgedienten Brennstäbe nach der derzeitigen Planung in viereinhalb Meter lange Fässer von etwa einem Meter Durchmesser packen, mit einem 12 bis 14 Zentimeter dicken Stahlmantel. Entsprechend haben Leupin und sein Team drei zylinderförmige Heizungen mit diesen Maßen und jeweils 1350 Watt Leistung in Abständen von drei Metern in den Stollen eingebaut, mit einer 80 Zentimeter dicken Schicht aus Bentonitgranulat umhüllt und das Ganze verschlossen.

Seit Anfang 2015 beheizen die Zylinder das Gestein, und die Schweizer beobachten laufend zahlreiche Parameter, die ihre Sensoren an mehr als 1500 Messpunkten aufnehmen. »Es war nicht ganz einfach, den Stollen wieder zu verschließen. Von ihm führen 700 Kabel hinaus – und trotzdem muss er dicht sein«, erzählt Leupin von den Schwierigkeiten beim Design des Versuchs.

Schneckenverfüllmaschine | Eine speziell konstruierte Schneckenverfüllmaschine brachte in Millimeterarbeit 255 Tonnen Granulat in einen Stollen ein, der drei Heizelemente und hunderte Sensoren beherbergt. Das Experiment soll klären, wie stark hoch radioaktiver Müll das Gestein erhitzt.

Nach dem Ausheben der Stollen wurden sie etwa zwei Jahre lang belüftet, um nachzuvollziehen, wie sich das auf das Gestein auswirkt. Denn in einem unterirdischen Lager in 800 bis 900 Meter Tiefe wäre solch eine Maßnahme notwendig, allein schon um wegen des aufgewirbelten Staubs und der entstehenden Hitze annehmbare Arbeitsbedingungen zu schaffen. Anschließend wurden die »Heizungen« auf Bentonitsockeln im Tunnel montiert. Eine imposante fünfarmige Schneckenverfüllmaschine, die eigens für diesen Zweck gebaut wurde und wie eine riesige Krake den Tunnel bewacht, brachte in Millimeterarbeit 255 Tonnen granularen Bentonit in den Hohlraum ein.

Die Messwerte, die die Experten seither erhalten, waren bereits für Überraschungen gut: Zum einen sank der Sauerstoffgehalt im Gestein innerhalb von Wochen fast auf null – die Wissenschaftler hatten mit 10 bis 50 Jahren gerechnet. Das sei von Vorteil, denn Sauerstoff beschleunige die Korrosion der Metallbehälter, sagt der Nagra-Experte. Wohin das Gas entwichen ist und ob der Bentonit es möglicherweise aufgenommen hat, ist noch nicht geklärt. Zur Temperaturentwicklung gibt es ebenfalls eine gute Nachricht. »Wir hatten angenommen, dass sich das Gestein rund um das mittlere Element stärker erwärmen würde als das um die äußeren«, auf Grund der zusätzlichen Wärmeabgabe der äußeren beiden Heizzylinder. Das war aber nicht so. Neben der Temperatur erfassen die Forscherinnen und Forscher zahlreiche physikalische Parameter des Gesteins, wie etwa den Gehalt des Porenwassers. Wenn sich der Tonstein erwärmt, verändern sich seine physikalischen Eigenschaften, er wird beispielsweise durchlässiger. Kritisch sei ein Wert von 85 Grad, erläutert Leupin. Das ist die »Paläotemperatur« des Tonsteins – also die Temperatur, der er bereits in der Vergangenheit ausgesetzt war. Erhitzt er sich darüber hinaus, wird er möglicherweise brüchig. Leupins Heizungen starten mit einer Außentemperatur von 140 Grad Celsius, dem Maximalwert, den die Fässer theoretisch erreichen können. Wie warm es dort wird, wo der Bentonit aufhört und der Opalinuston beginnt, ist nun die spannende Frage. Den Berechnungen nach sollten an diesem Übergang maximal etwa 80 Grad herrschen.

Der Sauerstoffgehalt im Gestein sank innerhalb von Wochen fast auf null – die Wissenschaftler hatten mit 10 bis 50 Jahren gerechnet.

Ob das stimmt, wird sich noch zeigen. Derzeit haben die Heizelemente an ihrer Oberfläche eine Temperatur von 135 Grad Celsius, beim Übergang von Bentonit zum Opalinuston sind es 55. Mindestens zehn Jahre lang soll der Versuch laufen. Leupin rechnet damit, dass die Stollen in einem Endlager etwa 40 Meter Abstand voneinander haben müssen, damit die Behälter den Tonstein nicht über den kritischen Wert von 85 Grad aufheizen. Riesige Mengen Gestein müssen also für Schächte, Tunnel und Stollen ausgehoben werden. Das ist zum einen teuer, weil die Gänge im empfindlichen Opalinuston zusätzlich stabilisiert werden müssen. Zum anderen beansprucht die mechanische Arbeit das Material. Jürgen Hesser hat erst vor Kurzem in Echtzeit untersucht, welchen Effekt der Bau eines neuen Tunnels auf das umliegende Gestein hat. Von 2018 bis 2019 wurde das Felslabor erweitert, und der Bergbauingenieur hat mit seinem Team die nähere Umgebung der Ausbauzone genauestens überwacht. Über dem entstehenden Tunnel, darunter und quer hindurch haben die BGR-Experten Bohrungen angesetzt, mehr als 400 Sensoren platziert und Spannungsänderungen im Gestein sowie weitere Parameter wie Verformungen und Porendrücke aufgenommen. Die Spannungsmessungen zeigten deutlich, »wann die Mannschaft morgens die Maschinen angeworfen hat und wann sie Feierabend gemacht hat«, erzählt Hesser.

Daten für die Nachwelt | Der Physiker Hendrik Albers zeigt, wie die Messdaten aus dem Felslabor digital erfasst werden.

Daten für die Nachwelt

Die Messungen im Felslabor Mont Terri dienen nicht nur Forschungszwecken. Sie sollen als Referenzwerte für spätere Untersuchungen an den möglichen Endlagerstandorten herangezogen werden. Um die Daten für dieses hochsensible Thema sicher aufzubewahren und vor Manipulationen zu schützen, arbeitet die BGR mit dem Bundesarchiv zusammen.

Alle Daten, die im Felslabor erhoben werden, archiviert das Bundesarchiv für einen unbegrenzten Zeitraum. Die Behörde stellt sicher, dass die Daten rechtskonform aufbewahrt werden, und gewährleistet, dass sie seit ihrer Speicherung nicht verändert wurden. Stellt jemand die Daten oder deren Verwendbarkeit im Lauf der Jahre in Frage – was bei einer politisch so brisanten Frage wie der Suche nach einem Endlager praktisch vorprogrammiert ist –, muss das Bundesarchiv einen Beweis für die Integrität der Daten liefern, der dann als Grundlage für Gutachten vor Gericht dient.

Daher werden alle Messdaten digital in einem System erfasst. Zusätzlich speichern die Wissenschaftler Metadaten wie die Parameter der Messgeräte oder die Bedingungen vor Ort dazu ab. Dafür müssen sich die Forscher mit einer digitalen Signaturkarte am System anmelden, so dass zu jedem Datensatz die Informationen darüber abgespeichert werden, wer sie erfasst hat und zu welchem Zeitpunkt. Diese Person bestätigt damit gleichzeitig die Plausibilität und Vollständigkeit der Daten. Darüber hinaus erstellt das System für jeden Datensatz einen so genannten Hashwert, der sie unverwechselbar macht. Werden Einträge nachträglich geändert, ist das durch den Hashwert direkt nachvollziehbar.

Das »Gesamtpaket« der Datensätze mit allen zugehörigen Informationen wird in einen digitalen Container verpackt, den man sich ähnlich wie einen Zip-Ordner vorstellen kann, und über eine Webapp direkt auf den Servern des Bundesarchivs gespeichert. Sollten zu einem späteren Zeitpunkt neue Auswertungen nötig sein, können die Experten jederzeit auf das Datenarchiv zugreifen – auch zukünftige Generationen.

»Natürlich haben sich unsere Arbeitsprozesse dadurch massiv verändert«, sagt Hendrik Albers, der das Projekt für die BGR leitet. Indem die Forscher auf Wünsche der Nutzer eingehen, wollen sie sicherstellen, dass die neue Methode akzeptiert wird. So fand etwa ein digitaler Stift Eingang in das Prozedere: Damit lassen sich beispielsweise handschriftliche Notizen als Metadaten direkt in die App eintragen oder Versuchsskizzen anfertigen.

Während die digitale Datenerfassung bereits im ganzen Labor stattfindet, läuft die Eingabe per App schrittweise an. Etwa 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verwenden sie derzeit. Wenn in einigen Jahren mögliche Standorte erkundet werden, könnte man die dort angestellten Messungen ebenso dokumentieren. »Diese sensiblen Daten sollen von der ersten Stunde an mit der entsprechenden Sorgfalt behandelt werden«, sagt Albers.

Er muss dabei fast schreien, denn in der Nähe holen gerade zwei Arbeiter unter großem Lärm einen Bohrkern aus zehn Meter Tiefe herauf. Im Experiment mit dem passenden Namen Sandwich wird ein Schacht ausgehoben und anschließend mit abwechselnden Schichten aus Kalziumbentonit und so genannten Äquipotenzialschichten gefüllt, die das Wasser in der Schachtsäule später gleichmäßig verteilen sollen. Wie genau Letztere zusammengesetzt sein müssen, erforscht derzeit eine Gruppe am Karlsruher Institut für Technologie. Hesser misst die Spannungen im Gestein vor dem Ausheben. Dazu holen seine Kollegen in wochenlanger Arbeit Bohrkerne Stück für Stück aus dem Berg: jeweils zuerst mit einem dünnen und dann mit einem dickeren Bohrer, so dass beim zweiten Mal der Bohrkern innen hohl ist. Dadurch können die Wissenschaftler während der Bohrung mit einer Sonde die Verformungen im Innern messen.

Bohrkern aus der Tiefe | Ein Arbeiter holt einen Bohrkern aus rund zehn Meter Tiefe. Messungen daran helfen zu ermitteln, wie Schächte die Stabilität des Endlagers beeinflussen und wie sie am besten zu verfüllen sind.

Die Ergebnisse aus dem Felslabor sind nicht direkt auf andere Standorte übertragbar

Anschließend packen sie die Bohrkerne einzeln in Holzkisten und schicken sie zur Analyse in ihr Labor nach Hannover. Dort werden Kennwerte zu den Verformungseigenschaften der Gesteinskerne bestimmt. In Kombination mit den gemessenen Verformungen in den Bohrungen können die Wissenschaftler dann im Nachhinein berechnen, welche Spannungen auf das Gestein gewirkt haben. Nach dem Verfüllen des Schachts schließlich wird das darin eingefüllte Material allmählich mit Wasser gesättigt. Die Sättigung und die dadurch aktivierten mechanischen und hydraulischen Prozesse werden die Forscher mit Sensoren im Gebirge und in den eingebrachten Schichten genau beobachten. Ziel des Experiments ist es, herauszufinden, ob und wie die gewählte sandwichartige Abdichtung von Schächten im Tongestein funktioniert und wie sie auf das umgebende Gebirge wirkt. Am Ende wollen die Fachleute so beurteilen können, welches Material sich eignet, um ein Atommülllager »stillzulegen«, also alle offenen Schächte und Stollen aufzufüllen und abzudichten.

»Die Ergebnisse sind von vielen Faktoren abhängig: zum Beispiel davon, wie viel Gestein sich über der Bohrung befindet, von der Schichtung und von der Struktur«, erläutert Hesser. Über eines darf man sich keine Illusionen machen: »Die Ergebnisse der Untersuchungen in Mont Terri sind nicht direkt auf andere Standorte übertragbar«, sagt der Experte klar. Vielmehr erforschen die Wissenschaftler Grundlagen, entwickeln Methoden und schaffen so eine Basis, auf der ein möglicher Standort fachgerecht untersucht werden kann. Wenn solche in Deutschland auserkoren sind, müssen dort erst einmal umfangreiche Analysen gemacht werden. Die Arbeit der Hannoveraner in der Schweiz soll ermöglichen, dass dies optimal abläuft.

Bis es so weit ist, könnte es noch ziemlich lange dauern. Im Herbst 2020 will die BGE auf der »Fachkonferenz Teilgebiete« bekannt geben, welche Gebiete auf Grund geologischer Gegebenheiten aus dem Auswahlprozess ausscheiden. Erst anschließend entscheiden Bundestag und Bundesrat, welche der dann möglichen Standorte tatsächlich erkundet werden. Nach diesen Untersuchungen, die sich über viele Jahre ziehen werden, steht schließlich die Entscheidung über den endgültigen Standort an. Laut dem Standortauswahlgesetz soll das 2031 geschehen.

Wie weit sind andere Staaten?

Finnland baut seit 2004 an einem Endlager für hoch radioaktive Abfälle und ist damit die erste Nation, die ein solches zu Wege bringt. Auf der Halbinsel Olkiluoto lagern bereits seit 1992 schwach und mittelradioaktive Abfälle in einem unterirdischen Lager aus Granitgestein. Die Erweiterung für hoch radioaktiven Müll soll in den nächsten Jahren fertig gestellt werden.

Die Schweiz wiederum hat 27 verschiedene Wirtsgesteine untersucht und sich für Opalinuston entschieden. 2022 will die Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle), die in der Schweiz für das Thema Endlager zuständig ist, die Standorte bekannt geben.

Dann könnte etwa ab dem Jahr 2050 radioaktiver Abfall in ein Endlager verfrachtet werden. Für die Zeit der Einlagerung – so sieht es wiederum das Standortauswahlgesetz vor – muss es möglich sein, die Abfälle zurückzuholen. Das könnte etwa dann nötig werden, wenn sich der Kenntnisstand ändert oder unvorhergesehene Probleme auftreten. So will man unter anderem ein Desaster wie bei der Schachtanlage Asse II vermeiden. Erst danach wird das Endlager stillgelegt: Stollen, Zugänge und Schächte werden gefüllt und verschlossen. Für die darauf folgenden 500 Jahre, so ist es ebenfalls im Gesetz festgeschrieben, sind Vorkehrungen für die mögliche Bergung der Abfälle zu treffen. Danach ist alles, was unten lagert, sich selbst und den Naturgesetzen überlassen. Ob der Berg dann tatsächlich eine Million Jahre lang dicht hält, werden wir nicht mehr erfahren.

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