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News: Energiegewinnung auf anderen Wegen

Wissenschaftler haben ein Bakterium entdeckt, welches Energie aus einer chemischen Reaktion bezieht, die man bislang in biologischen Systemen nicht nachweisen konnte. Bei dieser Reaktion werden Elektronen zwischen der Phosphorverbindung Phosphit und einer Schwefelverbindung ausgetauscht. Dabei entsteht Phosphat, welches Bestandteil zahlreicher wichtiger Verbindungen wie beispielsweise der Erbsubstanz DNA ist.
Um zu wachsen und zu überleben, benötigen Zellen die dauernde Zufuhr von Energie. Diese kommt ursprünglich von der elektromagnetischen Strahlung der Sonne – sie treibt die Bildung organischer Moleküle in photosynthetisierenden Organismen. Lebewesen hingegen, die keine Photosynthese betreiben, können Energie nicht direkt vom Sonnenlicht einfangen und müssen deshalb von „Energie aus zweiter Hand“ leben. Tiere verwenden die größeren organischen Moleküle, in denen das aus der Atmosphäre stammende CO2 fixiert wurde, zur Energiegewinnung, indem sie in einer Kette von Enzym-katalysierten Reaktionen, die man auch als Atmung bezeichnet, diese Moleküle oxidieren und CO2 wieder freisetzen.

Die Kohlenstoff-Nutzung ist letztendlich ein globaler Kreislauf, der die Biosphäre als Gesamtheit umfasst. Aber auch die Schlüsselelemente wie Stickstoff, Schwefel und Phosphor können in ähnlichen Kreisläufen verfolgt werden. Phosphor ist ein strukturell wie funktionell bedeutender Bestandteil aller lebenden Zellen: Zahlreiche lebenswichtige Makromoleküle enthalten Phosphor, wie zum Beispiel die Nukleinsäuren DNA und RNA, Nukleotide wie GTP oder ATP (Adenosintriphosphat – die Energiewährung der Zelle) und Phospholipide, die das Grundgerüst der Zellmembranen darstellen. Während jedoch die Elemente Kohlenstoff, Stickstoff und Schwefel in der lebenden Zelle reduziert und oxidiert werden, gilt dies für Phosphor kaum – nur wenige biologische Makromoleküle enthalten Phosphor in reduzierter Form als sogenannte Phosphonate oder Phosphinate.

Um sich diesem Problem nähern zu können, bedarf es eines kleinen Exkurses in die Grundlagen der Oxidations- bzw. Reduktionsreaktionen: Oxidations-Reaktionen sind ganz allgemein Reaktionen, bei denen Elektronen abgegeben werden. Das Kohlenstoff-Atom von Methan kann beispielsweise zu dem von CO2 durch stufenweise Wegnahme seiner Wasserstoffatome umgewandelt werden. Der Kohlenstoff reagiert dann mit Sauerstoff zu CO2, der Wasserstoff zu Wasser. Da die Endprodukte weniger Energie enthalten als die Ausgangsstoffe, wird Energie frei. In der Zelle sind solche Prozesse an den Aufbau von ATP gekoppelt, das heißt Oxidations-Reaktionen dienen der Energiegewinnung. Die Zelle benötigt chemische Energie in Form von ATP, um biologische Moleküle aufzubauen. Dabei ist das Grundprinzip der „Atmung“ in allen Organismen gleich: Die durch Oxidation freiwerdenden Elektronen werden von einem „Geber-Molekül“ (Elektronendonator) auf ein „Nehmer-Molekül“ (Elektronenakzeptor) wie zum Beispiel O2 übertragen. Die einwirkenden Kräfte sind als elektrisches Potential (das so genannte Redoxpotential, eine Spannung) messbar. Beide Prozesse, Oxidation und Reduktion, können miteinander verknüpft werden und bilden dann ein so genanntes Redoxsystem. Neben dem Sauerstoff können Mikroorganismen noch eine ganze Reihe anderer Elektronenakzeptoren benutzen.

In der Natur sind biologisch gebildete, reduzierte Phosphorverbindungen vorhanden. Sogar die am stärksten reduzierte Phosphorverbindung Phosphin konnte nachgewiesen werden. Schon seit mehr als einem Jahrhundert vermutete man daher, dass Mikroben in der Lage sind, Phosphat zu reduzieren, und dass ein biologisch vermittelter Phosphorzyklus tatsächlich existiert. Bisher gelang es jedoch nicht, den entsprechenden Nachweis zu führen.

Die einzelnen Stufen der Phosphatreduktion haben äußerst niedrige Redoxpotentiale von bis zu –900 Millivolt, während die Reduktionskraft einer lebenden Zelle nur bei etwa -500 Millivolt bis – 320 Millivolt liegt. Es schien daher unwahrscheinlich, dass eine Phosphat-Atmung an die Oxidation von Biomasse gekoppelt sein könnte. Andererseits stellt beispielsweise Phosphit einen ausgezeichneten Elektronen-Geber für mikrobielle Atmungsprozesse dar.

Auf dem Boden eines venezianischen Kanals stießen Forscher vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg und von der Universität Konstanz nun auf Sulfat-reduzierende Bakterien, die mit Phosphit als einziger Elektronenquelle für den Energiestoffwechsel sowie mit CO2 als einziger Kohlenstoffquelle Zellmasse aufbauen konnten (Nature vom 6. Juli 2000). Phosphit galt bisher lediglich als Phosphorquelle für die Synthese von Zellmasse in einigen Bakterien. Den Forschern gelang es, eine Reinkultur dieses strikt anaeroben (das heißt unter Sauerstoff-freien Bedingungen wachsenden) Sulfat-reduzierenden Bakteriums zu isolieren, welches mit Phosphit und Sulfat unter Bildung von Phosphat und Sulfid wächst. Basierend auf charakteristischen DNA-Sequenzen wurde das Isolat mit molekularen Techniken identifiziert und phylogenetisch in einen entsprechenden Stammbaum eingeordnet.

Sulfat-reduzierende Mikroorganismen spielen normalerweise eine wichtige Rolle beim Abbau organischer Verbindungen im Rahmen des globalen Kohlenstoff-Kreislaufes. Die vorliegenden Ergebnisse schaffen ein ganz neues Verständnis eines biologisch vermittelten Phosphor-Kreislaufes: Reduzierte Phosphorverbindungen können durch mikrobielle Katalyse in Phosphat umgewandelt werden. In der Frühzeit der Erde, als die Atmosphäre noch keinen Sauerstoff enthielt, waren reduzierte Phosphorverbindungen möglicherweise bedeutsam. Die Oxidation von Phosphit durch anaerobe Sulfat-reduzierende Bakterien könnte daher als ein evolutionäres Relikt aus der frühen Entwicklung des Lebens auf der Erde betrachtet werden.

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