Stromspeicher im Wandel: »Die Lithium-Ionen-Batterie ist schwer zu schlagen«

Ob im E-Auto, im Smartphone oder im Stromnetz: Speicher sind ein zentraler Baustein der klimaneutralen Zukunft. Doch während die Lithium-Ionen-Technologie derzeit dominiert, läuft die Suche nach Alternativen. Leistungsfähig, günstig und nachhaltig sollen die Batterien sein. Und sie sollen aus der Abhängigkeit von asiatischen Lieferketten führen.
Herr Winter, Batterien begegnen uns im Alltag überall, und die Technik entwickelt sich rasant weiter. Bekommt die Lithium-Ionen-Technologie bald ernsthafte Konkurrenz?
Die Lithium-Ionen-Batterie wird uns noch lange begleiten. Und sie wird uns weiter überraschen. Sie ist leistungsfähig und sicher, zudem vergleichsweise günstig. Und sie hat noch ein enormes Entwicklungspotenzial. Wenn man sie in puncto Energiedichte, Ladegeschwindigkeit, Lebensdauer oder Sicherheit mit anderen Batterietypen vergleicht, ist sie fast überall überlegen. Aber natürlich gibt es auch Alternativen. Je nach Anwendung sind das zum Beispiel Lithium-Metall-Systeme, Festkörperbatterien, Redox-Flow- oder Metall-Luft-Batterien. Aber die Lithium-Ionen-Technologie ist aktuell so breit einsetzbar und gut optimiert, dass sie schwer zu schlagen ist. Ob wir daneben trotzdem weitere Technologien sehen werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Von welchen?
Einerseits von neuen Entwicklungen in der Zellchemie und bei den Anwendungen, andererseits aber auch von politischen Rahmenbedingungen und nicht zuletzt von der Rolle, die Batterien insgesamt in einer globalisierten Welt einnehmen werden. Das Thema hat also eine technische, eine wirtschaftliche und eine gesellschaftliche Dimension.
Gibt es vor diesem Hintergrund schon erste Anzeichen für einen Paradigmenwechsel in der Batterietechnologie?
Wir stehen sicherlich unter geopolitischem, wirtschaftlichem und auch ökologischem Druck. Aber ein echter Paradigmenwechsel ist nur dann realistisch, wenn es starke Argumente für eine neue Technologie gibt, etwa in Sachen Rohstoffverfügbarkeit oder politischer Unabhängigkeit. Bislang ist aber keine Technologie in Sicht, die der Lithium-Ionen-Batterie in allen Eigenschaften überlegen ist. Sie ist universell einsetzbar, selbst im stationären Bereich, beispielsweise bei Heimspeichern oder Batteriegroßspeichern für das Stromnetz. Und solange sie so günstig bleibt, wird sie auch hier schwer zu schlagen sein. Es wird voraussichtlich keine Revolution geben, sondern eine allmähliche Ergänzung durch spezialisierte Systeme.
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Viele sogenannte Alternativen sind auch nur auf den ersten Blick besser. Zum Beispiel wird oft behauptet, wässrige Systeme seien sicherer. Aber Wasser ist elektrochemisch instabil. Im Betrieb zerfällt es in Wasserstoff und Sauerstoff, was bei großen Systemen problematisch ist. Dazu kommt: Wenn eine Batterie nur halb so viel Energie pro Gewicht oder Volumen speichert, muss man doppelt so viel Material fördern, verarbeiten, transportieren und einbauen. Das ist dann meist weder ökonomisch noch ökologisch überzeugend.
Die wichtigsten Alternativen zu Lithium-Ionen-Batterien für künftige Anwendungen
Die Lithium-Ionen-Batterie bleibt vorerst das vielseitigste System. Doch für bestimmte Einsatzbereiche wird an Alternativen geforscht:
- Natrium-Ionen: perspektivisch günstig, robust, häufig auf verfügbaren Rohstoffen basierend, gedacht für stationäre Speicher, kleine E-Fahrzeuge, und spezielle Hochleistungsanwendungen.
- Redox-Flow: skalierbar, besonders für Netzspeicher.
- Festkörperbatterien, insbesondere mit Li-Metall-Anode: potenziell höhere Energiedichte und mehr Sicherheit, interessant für den Fahrzeugbereich.
- Multivalente Systeme: Magnesium, Kalzium und Co versprechen mehr Kapazität pro Ion, sind aber technisch komplex.
- Metall-Luft-Systeme: potentiell extrem leicht, aber derzeit noch instabil und schwer zu kontrollieren.
Dennoch wird intensiv an alternativen Batterien geforscht. Wie bewerten Sie diese Entwicklungen?
Wir brauchen Alternativen. Das steht außer Frage. Das Lithium-Ionen-Monopol muss gebrochen werden, wenn wir wirklich technologische Vielfalt wollen. Aber man sollte realistisch bleiben. Diese neuen Systeme werden Lithium-Ionen nicht ablösen, sondern ergänzen.
Die Natrium-Ionen-Technologie ist derzeit die aussichtsreichste Alternative, vor allem, weil sich bestehende Produktionslinien mit Anpassungen weiterverwenden lassen. Redox-Flow-Systeme haben Potenzial, wenn es um stationäre Anwendungen geht, bei denen Volumen und Gewicht keine Rolle spielen. Festkörperbatterien wiederum könnten im Fahrzeugbereich eine wichtige Rolle spielen – vorausgesetzt, man bekommt die technischen Herausforderungen in den Griff. Und bei Batterien, basierend auf multivalenten Ionen, haben wir noch einen weiten Weg vor uns.
Multivalente Batterien
Im Gegensatz zu den einfach geladenen Lithium⁺-Ionen nutzen multivalente Systeme Ionen, die mehr als eine positive Ladung tragen, wie etwa Magnesium²⁺, Kalzium²⁺ oder Aluminium³⁺. Zumindest theoretisch verspricht das mehr Kapazität pro Ion bei potenziell günstigeren Materialien. Allerdings sind diese Ionen schwerfälliger. Sie bewegen sich langsamer durch den Elektrolyten und interagieren stärker mit der Batteriezellumgebung. Das führt zu Problemen bei der Zyklenfestigkeit, bei der Lebensdauer und beim Aufbau funktionaler Grenzschichten. Und es macht die Entwicklung entsprechender Batterien extrem anspruchsvoll.
Lithium-Ionen-Batterien drängen derzeit extrem schnell auf den Markt. Gleichzeitig fallen die Preise rapide. Was steckt dahinter?
Zunächst sollte man zwischen Preis und Kosten unterscheiden. Der Preisverfall hat mehrere Ursachen, aber eine zentrale Rolle spielt die Überproduktion in China. Dort wurden riesige Kapazitäten aufgebaut, die nun den Markt überschwemmen. In manchen Fällen liegen die Preise sogar unter den Herstellungskosten. Die Firmen machen das einfach, um Marktanteile zu gewinnen oder zu halten.
Man muss aber auch sagen: China hat frühzeitig strategisch investiert. Mit staatlicher Förderung, Rohstoffsicherung und einer Industriepolitik, die Stärken stärkt. Während wir in Europa eine Vision formulieren – zum Beispiel CO₂-Neutralität bis 2045 – , verfolgt China einen klaren Plan mit konkreten Meilensteinen.
Welche Rolle spielt Europas Batteriewirtschaft in diesem globalen Wettbewerb?
In Europa treffen wir oft Entscheidungen, die wir dann nicht konsequent umsetzen. Wir wollen ab 2035 keine Verbrenner mehr, fördern aber gleichzeitig nicht ausreichend die Alternativen beziehungsweise verschweigen die Wahrheit über die Emissionen eines Verbrenners. Unsere Energiepolitik ist oft widersprüchlich, unsere Industriepolitik zögerlich. China dagegen geht den Weg mit langem Atem, sowohl wirtschaftlich als auch politisch und gesellschaftlich. Das zahlt sich jetzt aus.
»In Europa treffen wir oft Entscheidungen, die wir dann nicht konsequent umsetzen«
Was bedeutet das für neue Technologien?
Für neue Technologien aus Europa ist es extrem schwer, sich in diesem Umfeld durchzusetzen. Denn gegen eine etablierte, immer günstigere Lithium-Ionen-Technologie anzutreten und dabei wirtschaftlich erfolgreich zu sein, ist sehr anspruchsvoll – erst recht, wenn man zusätzlich auf teurere Rohstoffe oder kleinere Produktionsvolumina angewiesen ist.
Wenn neue Batterien immer günstiger werden, lohnt sich das Recycling überhaupt noch?
Das hängt stark von der Zellchemie ab. Eine große Lithium-Ionen-Batterie enthält heute Metalle wie Kobalt, Nickel, Kupfer oder Aluminium und auch Edelstahl mit einem Gesamtwert von bis zu 6000 Euro. Da rechnet sich das Recycling. Aber bei Systemen wie Natrium-Ionen oder Aluminium-Ionen, in denen oft keine wertvollen Metalle stecken, gibt es schlicht kein Geschäftsmodell. Da ist Recycling derzeit ein reiner Kostenfaktor.
Das bedeutet aber nicht, dass Recycling sinnlos ist. Im Gegenteil! Wenn es um kritische Rohstoffe geht, ist es alternativlos. Aber man muss ehrlich sein: Recyceln kostet Energie, Chemie, Logistik. Wenn das Material ohnehin günstig und ungiftig ist, kann Recycling am Ende sogar umweltschädlicher sein als der kontrollierte Verzicht darauf.
Gibt es Ansätze, das Recycling effizienter zu gestalten?
Ja, zum Beispiel durch Direktrecycling. Dabei werden Batterien so gebaut, dass sie sich leichter zerlegen lassen, etwa durch schaltbare Klebstoffe, reversibel haftende Beschichtungen oder standardisierte Zellformate. Auch die Rückgewinnung aktiver Materialien ist vielversprechend; bislang fokussiert man sich häufig nur auf die Verwertung des reinen Metalls. Es gilt aber immer: Irgendjemand muss dafür zahlen. Und das werden am Ende Verbraucherinnen und Verbraucher sein – entweder über den Produktpreis oder über gesetzliche Rücknahmepflichten.
Bleibt Europa auch in Zukunft abhängig von asiatischen Batteriekonzernen, oder kann europäische Forschung diese Lücke schließen?
Wir haben in Europa exzellente Forschung. Daran besteht kein Zweifel. Aber bisher schaffen wir es nicht, diese Forschung schnell und systematisch in marktreife Produkte zu überführen. Da ist Asien uns einfach voraus. In China oder Südkorea gibt es eine Verzahnung von Grundlagenforschung, Industrieforschung und Produktion. Da sagt nicht jeder Akteur: Ich mach' nur, wofür ich Geld bekomme. Da wird entlang strategischer Linien gefördert und gearbeitet. Vielleicht ein Beispiel, um die Dimensionen sichtbar zu machen: In China gibt es inzwischen circa 7000 Professuren im Bereich Batterieforschung. Bei uns in Deutschland sind es vielleicht 30.
Liegt Europas Schwäche eher im System, in der Finanzierung oder in der politischen Steuerung?
Es ist eine Kombination aus allem. Es fehlt an Risikobereitschaft und Kontinuität. Die Förderpolitik ist oft zu kleinteilig und kurzfristig. Gefördert wird mit der Gießkanne statt prioritär, und es mangelt an industrieller Skalierung. Wir haben tolle, hochinnovative Projekte. Aber sie sind oft zu klein, zu kurz, zu langsam und dann leider auch zu spät. Und wir setzen zu wenig auf Breitenwirkung. Die Großen der Branche kooperieren oft nicht miteinander, sondern haben unterschiedliche Strategien und Prioritäten. Das blockiert sich gegenseitig und ist kein gutes Umfeld für einen globalen Technologiewettlauf.
Was zeichnet die deutsche und europäische Batterieforschung heute aus?
Europa, insbesondere Deutschland, hat eine enorm starke Forschungslandschaft im Bereich Batterien. Mit Fraunhofer, Helmholtz, unseren Universitäten oder dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt gehören wir zur Spitzenklasse.
Welche Rahmenbedingungen braucht Forschung, um wirklich Wirkung zu entfalten?
Planungssicherheit und Flexibilität. Wenn ich heute einen Antrag stelle, bekomme ich vielleicht in ein bis drei Jahren Geld – für eine Laufzeit von drei Jahren, und es gibt nicht genügend Flexibilität. In anderen Worten: Was ich vor drei Jahren beantragt habe, muss ich »durchforschen«, obwohl sich die Forschungswelt weitergedreht hat. Eine industrielle Zellentwicklung dauert mindestens zehn Jahre. Wer sich wirklich mit Zellchemie, Lebensdauer, Sicherheit oder Produktionsverfahren befasst, braucht stabile und schnelle Förderstrukturen und verlässliche Perspektiven. Außerdem brauchen wir mehr Mut zum Hochskalieren, sowohl in der Wissenschaft als auch in der Industrie. Ein gutes Ergebnis im Labormaßstab ist schön. Aber entscheidend ist, was es im industriellen Umfeld leistet.
Wenn wir ins Jahr 2035 blicken, welche Batterien werden unseren Alltag dann in Autos, Häusern oder Netzen dominieren?
Lithium-Ionen-Batterien werden auch 2035 noch die dominierende Technologie sein, und zwar in vielen Varianten. Wir werden unterschiedliche Zellformate sehen, verschiedene Kathoden- und Anodenmaterialien, neue Additive. Das System ist so gut verstanden, dass es sich weiter anpassen und weiterentwickeln lässt. Daneben wird es spezialisierte Systeme geben: Natrium-Ionen für Hochleistungsanwendungen, Festkörperzellen in hochwertigen E-Autos, Redox-Flow für Netzspeicher. Aber es wird keine neue Superbatterie geben, die alle anderen ersetzt. Das ist eine Illusion, die wir seit mehr als 20 Jahren haben.
»Es wird keine neue Superbatterie geben, die alle anderen ersetzt«
Also keine Revolution, sondern ein differenzierter Technologiemix?
Genau. Wir brauchen ein Portfolio. Die Batterie der Zukunft ist keine Einheitslösung, sondern ein Baukasten. Und der muss in Europa entwickelt, produziert und verstanden werden. Sonst bleiben wir abhängig.
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