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Energiewende: Solarzellen über dem Acker

Fotovoltaikanlagen auf Ackerflächen sind umstritten. Eine Alternative sind Module, die in der Höhe montiert werden und weitere Bewirtschaftung erlauben. Gerade im Zuge des Klimawandels bieten sie einige Vorteile.
Reihen von Solarpaneelen in einigen Metern Höhe über einem Feld mit jungen Bäumen montiert. Die Paneele sind in einem Winkel montiert, um Sonnenlicht optimal einzufangen. Im Hintergrund sind Bäume zu sehen, die den Horizont säumen.
Unter der Agri-PV-Anlage wachsen junge Apfelbäume. Die Module der Anlage werden nach dem Sonnenstand ausgerichtet.

Auf dem Land sind sie immer häufiger zu sehen – und viele Menschen stören sich an ihnen: Metallgerüste mit Solarzellen, die sich hektarweise auf landwirtschaftlichen Flächen erstrecken. Wo zuvor Getreide oder Viehfutter wuchsen, stehen nun lange Reihen von Solarmodulen. Ihr Stromertrag ist mitunter zuverlässiger als das, was der Boden in Zeiten des Klimawandels hergibt. Die Kritik an den so genannten Freiflächen-PV-Anlagen reicht von »verschandelter Landschaft« bis zum weiteren Verlust landwirtschaftlicher Flächen. Dieser beträgt durch verschiedene Umwandlungen in andere Nutzungsarten schon heute insgesamt mehr als 100 Hektar pro Tag.

Eine Lösung könnte die Agri-Fotovoltaik sein, kurz Agri-PV. So bezeichnen Fachleute Solaranlagen, die so mit der Landwirtschaft kombiniert werden, dass man auf Äckern gleichzeitig pflanzliche Produkte sowie grüne Energie gewinnt. Im Detail sehen sie unterschiedlich aus: Vertikale Wände, die mit Zellen belegt sind, sind ebenso möglich wie Solardächer über Apfelplantagen oder schwenkbare Module in mehreren Metern Höhe, unter denen weiter Kartoffeln oder Mais angebaut werden.

Die Agri-PV verspricht Vorteile, vor allem für empfindliches Obst sowie für dürregeplagte Äcker, die im Schatten der Anlagen weniger schnell austrocknen. Dem gegenüber stehen hohe Kosten und teils ein erhöhter Schädlingsbefall. Und es stellt sich die Frage, wie es am besten gelingt, den Lichtbedarf von Land- und Solarwirtschaft so zu vereinen, dass beide gute Erträge bringen.

Es knackt und surrt, die Module werden neu ausgerichtet

Dazu wird an mehreren Orten in Deutschland geforscht, unter anderem in Müncheberg im Osten Brandenburgs. Hier am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) sind die Solarmodule in fast fünf Meter Höhe montiert. Traktoren können unter ihnen hindurchfahren. Die Module selbst werden nach der Sonne ausgerichtet: Alle paar Minuten ist ein metallisches Knacken und Surren von Motoren zu hören, die anderthalb mal zweieinhalb Meter großen Module neigen sich ein paar Grad weiter, um möglichst viel Licht in Strom umzuwandeln.

Unter den Modulen wachsen Luzerne und Gras, die mit ihren Wurzeln den Boden auflockern, ehe Kulturpflanzen wie Leguminosen und Getreide darauf angebaut werden. Auf der Anlage sowie in unterschiedlichen Tiefen im Boden haben die Wissenschaftler zahlreiche Sensoren angebracht. Über deren Messdaten verfolgen sie, wie sich beispielsweise Wind, Licht und Feuchte auf dem Acker durch die Agri-PV-Anlage verändern.

»In einem trockenen Frühjahr wie im Jahr 2025 kann das helfen, die Pflanzen besser über diese kritische Phase zu bringen«Klaus Müller, Experte für multifunktionale Agrarlandschaft

»Gerade hier im niederschlagsarmen Ostdeutschland trägt diese Technologie dazu bei, dem Klimawandel besser zu begegnen«, sagt Klaus Müller vom ZALF. Durch die Module und ihren Schatten werde die Verdunstung um bis zu 40 Prozent verringert. Damit bleibt mehr Wasser im Boden. »In einem trockenen Frühjahr wie im Jahr 2025 kann das helfen, die Pflanzen besser über diese kritische Phase zu bringen.«

Pflanzen nutzen das verfügbare Wasser besser aus

Ähnliches berichtet Andreas Schweiger von der Universität Hohenheim, wo bereits länger an solchen Systemen geforscht wird. »Wir sehen bei allen Pflanzen, dass sie Wasser effizienter nutzen, wenn sie unter Agri-PV-Anlagen wachsen.« Doch nicht nur auf den Wasserhaushalt der Pflanzen wirkt die Verschattung positiv. Es geht auch um das richtige Maß an Licht. »Mehr Licht zu haben, ist nicht zwingend besser«, sagt Schweiger. »Wenn die Pflanzen extrem trockengestresst sind, nützt ihnen das viele Licht nichts, weil sie es nicht nutzen können.«

Angesichts veränderter Niederschlagsmuster – mehr Starkregen und längere Dürren – sieht der Wissenschaftler in Agri-PV eine denkbare Lösung. »Wir laufen in Bedingungen hinein, wo wir in weiten Teilen Deutschlands eine Wasserknappheit haben, so dass wir um eine Art des geschützten Anbaus nicht herumkommen.«

Dennoch dreht sich in der Agri-PV-Wissenschaft vieles um die Licht-Frage. Denn grundsätzlich brauchen sowohl die Pflanzen als auch die Solarmodule die Strahlung. Da sich Letztere, wie beispielsweise am ZALF, oftmals bewegen lassen, gilt es, das Optimum für die land- und energiewirtschaftliche Ausbeute zu finden.

10 bis 15 Prozent der Ackerfläche gehen verloren

Zwar gibt es zahlreiche Daten, welche Kulturpflanze wie viel Licht benötigt und vor allem wann. Doch das Zusammenspiel mit der Agri-PV ist komplex, weil die Anlagen auch Feuchtigkeit und Verdunstung beeinflussen sowie vor Wind schützen. Wann also sollen die Module im Sinne der Pflanzen und wann im Sinne des Stromerzeugers ausgerichtet sein? Belastbare Empfehlungen dazu wollen Fachleute mit Hilfe der Daten aus der Forschung in Müncheberg, Hohenheim und von weiteren Standorten geben.

Klar ist: Sowohl Landwirte als auch Energieerzeuger wollen Geld verdienen, und beide sind mit hohen Kosten konfrontiert. »Die Landwirte müssen auf 10 bis 15 Prozent der Ackerfläche verzichten, die für die Ständeranlagen benötigt werden«, sagt ZALF-Forscher Müller. Die Solarbetreiber wiederum müssen je nach Anlagengröße einige Millionen Euro investieren, um so genannte hochaufgeständerte PV-Anlagen zu errichten. »Über alles gerechnet ergeben sich Kosten von sechs bis zwölf Cent pro erzeugter Kilowattstunde. Die müssen dann auch wieder verdient werden.« Bei einer Freiflächen-PV am Boden sind die Kosten halb so hoch.

»Es ist entscheidend, Betroffene frühzeitig in die Planung einzubinden«Felix Zoll, Agrarökonom

Für die teurere Agri-PV spricht allerdings, dass die landwirtschaftliche Fläche weitgehend erhalten bleibt und dabei besser geschützt ist. Entsprechend hoch ist die Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber solchen Anlagen. Das hat Müllers Kollege Felix Zoll herausgefunden. »Bei Befragungen von 1000 Personen in der Region Berlin-Brandenburg zeigten rund drei Viertel eine positive Haltung«, berichtet er von einer noch unveröffentlichten Studie. »Sie sehen darin einen Beitrag zur Energiewende und dass Flächenkonflikte vermieden werden.«

Italien und Frankreich sind Vorreiter

Kritiker befürchteten jedoch, dass das Landschaftsbild und somit auch Tourismus und Erholung beeinträchtigt werden. »Daher ist es entscheidend, Betroffene frühzeitig in die Planung einzubinden«, sagt Zoll. Wenn möglich, sollten sie zudem am Geschäftsertrag beteiligt werden, etwa durch Anteile in einer Energiegenossenschaft.

Dies gilt ebenso für die Landwirte selbst, da sie gerade bei großen Anlagen, die sich über mehrere Hektar erstrecken, die Investitionen oft nicht allein leisten können und auf spezialisierte Unternehmen angewiesen sind, ergänzt Müller. Große Anlagen versprechen im Gegenzug schneller Gewinn zu erzielen, weil der Aufwand pro installierter Kilowattstunde geringer ausfällt: von der Planung über Genehmigungen bis zum Netzanschluss.

Für Müller steht außer Frage, dass künftig vermehrt Agri-PV-Anlagen errichtet werden. In Italien oder Frankreich ist das heute schon der Fall. Die Bundesregierung will allein dieses Jahr 18 Gigawatt an Solarleistung zusätzlich aufbauen, ab 2026 sogar 22 Gigawatt jährlich, sagt der Forscher. Rund die Hälfte davon entfalle auf Dachflächen, der Rest werde Fotovoltaik auf freier Fläche sein. »Das sind etwa 11 000 Hektar pro Jahr«, rechnet er vor. »Es wäre klug, diese Ziele mit nachhaltiger Landwirtschaft und Akzeptanz in der Bevölkerung in Einklang zu bringen.«

Tiere gewöhnen sich schnell an solche Anlagen

Jüngere Menschen stünden neuen Technologien offener gegenüber als ältere, so Müller weiter. »Das haben wir etwa bei Windkraftanlagen gelernt.« Solche Gewöhnungseffekte erwartet er gleichermaßen bei der Agri-PV. Immerhin sind einer aktuellen Analyse des Öko-Instituts zufolge 4,3 Millionen Hektar in Deutschland dafür geeignet.

Und gewöhnen werden sich nicht nur die Menschen. Feldlerchen beispielsweise galten lange als Vögel, die große Freiflächen brauchen. »Doch selbst in eng bestückten PV-Anlagen sehen wir sie häufiger, und sie brüten dort erfolgreicher als draußen«, sagt der Wissenschaftler. »Die Tiere passen sich also schneller an als die Menschen.« Die ungenutzten Streifen unter den Ständern, die übrigens ohne Beton und nur mit meterlangen Erdankern befestigt werden, versprechen der Biodiversität aufzuhelfen.

»Man muss aufpassen, dass sich dort keine unerwünschten Organismen ansiedeln, was dann zu einem höheren Pestizideinsatz führt«Andreas Schweiger, Fachmann für Ökosystemdynamik

Der Hohenheimer Forscher Andreas Schweiger warnt jedoch vor falschen Schlüssen. »Man muss aufpassen, dass sich dort keine unerwünschten Organismen ansiedeln, was dann zu einem höheren Pestizideinsatz führt.« So berichten Landwirte beispielsweise von Mäusen, die sich dank fehlender Raubvögel stark vermehren, sowie von Unkraut, das von den Streifen der Ständer in die Kulturen hineinwächst. Eine zusätzliche Mahd könnte hier Abhilfe schaffen, sagt Schweiger.

So kommen große Landmaschinen sicher durch den Solarpark 

In solchen Fällen werden die Solarzellen in eine sichere Parkposition gefahren, damit die Maschinen sie nicht beschädigen. Auch die Angst, dass die GPS-Steuerung moderner Fahrzeuge zwischen den großen Stahlstrukturen nicht mehr funktioniert, scheint unbegründet. Bei Tests in Müncheberg hat sie verschiedene Traktoren problemlos geführt.

Im Obstbau werden Agri-PV-Anlagen ebenfalls eingesetzt und können beispielsweise Äpfel vor zu starker Sonneneinstrahlung und Hagel schützen. Das zeigt ein Projekt des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE auf einem Biobetrieb im Norden von Rheinland-Pfalz. Dort haben die Forscher die üblichen Folien und Hagelschutznetze durch Solarmodule ersetzt. Sie erwiesen sich als geeignet, wie Projektleiter Andreas Steinhüser berichtet. Verglichen mit den Kunststoffen wurde die Agri-PV-Anlage als optisch ansprechender wahrgenommen, wie eine noch nicht veröffentlichte Umfrage vor Ort zeigt. Ein weiterer Vorteil: Da die Bäumchen unter dem Dach trocken stehen, gibt es weniger Pilzbefall als bei ungeschützten Kulturen.

Engpässe: Transformatoren und Behörden

An dem Forschungsvorhaben zeigten sich allerdings auch einige Schwierigkeiten, mit denen Interessenten rechnen müssen. Dazu gehört der Anschluss ans Stromnetz, für den ein Transformator erforderlich ist. »Die Anlage war 2021 fertig gestellt«, berichtet Steinhüser. »Kurz darauf gab es die Flut im Ahrtal, die viele Trafostationen zerstört hat.« Diese zu ersetzen hatte Vorrang, die Lieferung für das Projekt APV-Obstbau verzögerte sich erheblich. Erst seit Frühjahr 2025 kann die Anlage Strom einspeisen und selbst nutzen, um die Module per Motorsteuerung auszurichten. Das ist kein Einzelfall, die Energiewirtschaft klagt aktuell über einen Engpass an Transformatoren.

Auch die Genehmigung war aufwändig, erzählt Steinhüser. »Als Forschungsprojekt haben wir eine temporäre Baugenehmigung erhalten, die nun in eine dauerhafte umgewandelt werden soll.« Wieder sind umfangreiche Dokumente erforderlich – und die Behörden zögern aus Furcht, Präzedenzfälle zu schaffen. Eine Klage, die auch von anderen Akteuren zu hören ist.

Steinhüser denkt bereits weiter. »Wir haben an den acht untersuchten Apfelsorten gesehen, welche gut unter Agri-PV-Anlagen wachsen«, sagt er. »Für Kirschen oder Pfirsiche können wir aber noch keine Aussage treffen.« Umso wichtiger sei es nun, viele Versuche zu machen, um den Bauern verlässliche Antworten zu geben, welche Form der Agri-PV für welche Kulturen, Böden und klimatischen Bedingungen geeignet ist.

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  • Quellen
Manuel Köhler und Marion Wingenbach, Öko-Institut: Potenzialflächen für Agri-Photovoltaik, 2024

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