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News: Entkrampfende Verhaltenstherapie

Wenn chronische Krämpfe die Hände sensibler Pianisten, Autoren und Programmierer plagen, droht Berufsunfähigkeit. Gezielte Verhaltenstherapien dienen da erfolgreich der Auflockerung - und ändern zugleich einiges im Kopf.
Dystonie
Wenn ein Klavierspieler übt, wieder und wieder endlos gleichförmige Fingerübungen, dann überreizt er damit auf Dauer nicht nur Nachbarn und Mitbewohner: Nach einiger Zeit kann das intensive Training filigran-stereotyper Fingerarbeit buchstäblich auch den Nerven des Pianisten selbst zuviel werden. Die über lange Zeit eintönig beanspruchten Neuronen und Muskeln der Musikerhand spielen dann nicht mehr mit und verkrampfen, im schlimmsten Falle dauerhaft und chronisch. Ein derartiger "Musikerkrampf", medizinisch eine fokale Handdystonie, beendet nicht nur musikalische Karrieren – prominentes Opfer war beispielsweise der Komponist Robert Schumann. Dystonien können auch Personen berufsunfähig machen, die mit intensiv betriebener Fingerfertigkeit anderweitig Geld und Anerkennung verdienen, Typisten etwa oder Programmierer.

Fokale Dystonien sind Koordinationsstörungen, die oft plötzlich in Muskelgruppen auftreten, welche über Jahre hinweg stark durch komplexe Bewegungsabläufe beansprucht wurden. Abhilfe konnte Betroffenen lange Zeit kaum etwas bieten. Schumann hatte im 19. Jahrhundert zunehmend verzweifelt versucht, seinen dystonisch verkrampften rechten Ringfinger schlichtweg mit Hilfe einer Schiene zu immobilisieren und somit auszuschalten, um mit den anderen Fingern weiterspielen zu können.

Seiner Fingerfertigkeit dürfte er damit, nach modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen, keinen Gefallen getan haben. Heutzutage erzielen Wissenschaftler mit einem verhaltenstherapeutischen Ansatz Behandlungserfolge, welcher der Methode Schumanns völlig entgegen gesetzt ist: Sie suchen Dystonien zu kurieren, indem sie die einem verkrampfen Finger benachbarten Finger immobilisieren – um dann den unwilligen Arbeitsverweigerer der Hand einzeln und gezielt zu trainieren.

Der Erfolg dieser so genannten Sensory-Motor-Returning-Therapie (SMR) ist nicht nur am wieder zunehmend flüssig-entkrampften Spiel behandelter Musiker zu erkennen: Ein Team um Victor Candia von der Universität Konstanz und William Ray von der Pennsylvania State University machte nun auch sichtbar, was fokale Handdystonien im Gehirn verändern – und wie diese krankhafte Veränderung im Laufe einer erfolgreichen Behandlung wieder ins Lot gebracht wird.

Mit Hilfe eines Magnetenzephalografen (MEG) analysierten sie die Gehirnbereiche, die durch die Stimulation einzelner Finger aktiviert werden. Jeder sensorische Nerv der Hand findet, wie die aller Sensoren der gesamten Hautoberfläche, eine räumlich repräsentative Entsprechung in einem für ihn charakteristischen Bereich der Großhirnrinde – sein somatosensorisches Abbild. Die neuronale Karte aller Oberflächensensoren im Gehirn bezeichnet man als Homunkulus: Tatsächlich sind darin benachbarte Körperflächen auch in benachbarten Gehirnarealen neuronal repräsentiert. Reizt man also einzelne Finger, so werden auch einzelne, benachbarte Regionen im Homunkulus aktiv.

Anders sieht dagegen die somatosensorische Karte bei Patienten mit fokaler Handdystonie aus, wie den von Candia und seinen Kollegen untersuchten zehn freiwilligen Probanten – allesamt betroffene Berufsmusiker. Stimuliert man bei ihnen einzelne Finger der verkrampften Hand, so erfolgt nicht die übliche, jeweils charakteristische Reaktion einzelner, für den jeweiligen Finger zuständiger Gehirnareale. Vielmehr feuerten die Neurone benachbarter somatosensorischen Finger-Abbilder der Großhirnrinde gemeinsam – ganz analog zu den Bewegungen der tatsächlichen Finger, die auch nur noch gemeinsam zusammenkrampfen, nicht länger aber eigenständig präzise Bewegungen durchführen können.

Ebenso analog ändert sich im Laufe einer achttägigen SMR-Vehaltenstherapie mit täglich etwa zweieinhalbstündigen Übungssitzungen nicht nur der Verkrampfungszustand der Musikerfinger. Auch das im MEG ermittelte somatosensorische Abbild näherte sich zusehens dem gesunden Durchschnittszustandes – der spiegelbildlichen Entsprechung der zweiten, unverkrampften Patienten-Hand, die vergleichsweise als Kontrolle analysiert wurde.

Ganz offenbar formten sich unter dem Einfluss der Verhaltenstherapie also die neuronalen Verknüpfungen im zuvor betroffenen Bereich der Großhirnrinde um, so die Wissenschaftler – zumindest in deren somatosensorischen Arealen, auf den ja allein die aus der Körperperipherie einlaufenden Informationen Einfluss nehmen. Einblicke in den motorischen Bereich der Großhirnrinde, von dem die Bewegungsbefehle des Gehirn zu den Fingerspitzen gesendet werden, sind allerdings viel schwieriger zu erhalten. In welchem Zusammenhang krankhaft veränderte somatosensorische Strukturen und die motoneurotisch kontrollierten Bewegungsfähigkeiten eigentlich stehen, bleibt weiter ungeklärt – auch bei fokaler Handdystonie. Solange die Verhaltenstherapie allerdings dauerhaft anschlägt, dürfte dies den Patienten relativ egal sein.

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