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Quantenelektronik: Entscheidender Dreh?

Strom an oder Strom aus - mit diesen beiden Zuständen erzeugen aktuelle Computermodelle ganze (virtuelle) Welten. Die Elektronik der Zukunft soll vielfältiger sein und auch das Drehmoment der Elektronen, ihren Spin, berücksichtigen. Aber dafür muss man die Teilchen erst einmal nach ihren Spinzuständen unterscheiden können.
In der Schule sieht es noch so einfach und im wörtlichen Sinne "einleuchtend" aus: Zwei Drähte, ein Lämpchen, eine Batterie – alles miteinander verbunden, und schon ging uns Pennälern ein Licht auf. Wenn Strom störungsfrei zwischen Plus und Minus fließen kann, bringt er das Glühdrähtchen zum Strahlen. Und Strom – das war dann die nächste Stufe der Erkenntnis – ist nichts weiter als ein Haufen Elektronen, die allesamt negativ elektrisch geladen sind.

Glücklich, wem dieses Wissen reicht und sich seitdem nicht weiter wundert, wenn beim Druck auf den Lichtschalter tatsächlich der Deckenfluter angenehmes Leselicht spendet. Selbst schuld, wer neugierig noch tiefer bohrt und mehr erfahren möchte über Stromfluss und diese dubiosen Elektronen. Denn von nun ab wird es nur noch komplizierter, diverser, verworrener. Aber der unstete Geist hat es ja nicht anders gewollt.

So erfährt er, dass fließender Strom in einem Magnetfeld nicht nur Licht macht, sondern auch eine Kraft erfährt. Was bedeutet, dass die wandernden Elektronen im Leiter mit sanfter Gewalt vom geraden Weg abgebracht werden. Statt stur voran geht es im Draht auch zur Seite. Weil aber alle Elektronen gleich negativ geladen sind, biegen auch alle zur selben Seite ab, wo es darum ein wenig überbevölkert ist, während gegenüber gähnende Leere herrscht. Zu viele Elektronen hier, zu wenige dort – das ergibt eine Spannung, die nach ihrem Entdecker Edwin Hall als Hall-Spannung bezeichnet wird. Sie ist nicht allzu groß und liegt senkrecht zur Stromrichtung und zum Magnetfeld, aber sie ist eindeutig vorhanden und sogar relativ leicht experimentell zu messen.

Das mag noch nicht so richtig kompliziert erscheinen. Doch wir stehen ja noch am Anfang. Als nächstes sind die Elektronen dran, von denen die Quantenphysik zu berichten weiß, dass sie nicht nur elektrisch geladen sind, sondern obendrein über einen Drehimpuls verfügen, auch Spin genannt. Anschaulich gesprochen ist so ein Spin ganz ähnlich wie die Rotation eines Globus in seiner Halterung: Entweder eiert er korrekterweise von West nach Ost oder er dreht sich von Ost nach West um seine Achse. Sehen wir einmal davon ab, dass so ein Elektron zweimal um 360 Grad rotieren muss, um wieder den Ausgangszustand erreicht zu haben (da geht es schon los mit der Verwirrung), trifft diese Analogie ganz gut. Der Spin eines Elektrons zeigt jedenfalls nach oben oder nach unten.

Werfen wir nun diese beiden harmlosen Zusatzkenntnisse zusammen, dann ergeben Hall-Effekt und Elektronenspin etwas Neues, mit dem selbst gestandene Physiker derzeit ihre Probleme haben: den Spin-Hall-Effekt. Denn seit einigen Jahrzehnten weiß man – theoretisch –, dass wandernde Elektronen auch durch ihre Spin-Eigenschaft abgelenkt werden. Warum dies geschieht, kann allerdings niemand so ganz genau sagen. Die Ideen reichen von Streuungen an Störstellen im Leiter bis hin zu Das-ist-so-eine-interne-Sache-der-Elektronen.

Wer an dieser Stelle nicht achselzuckend zurück zu Batterie und Lämpchen kehrt, der fährt im Labor schwere Versuchsaufbauten auf, um erstens zu ergründen, ob es diesen Spin-Hall-Effekt auch in der experimentellen Realität gibt, und zweitens herauszufinden, wie, warum und überhaupt. So auch Sergio Valenzuela und Mike Tinkham von der Harvard-Universität. Vor ihnen hatten zwar bereits zwei andere Gruppen die prognostizierte Ungleichverteilung mit optischen Methoden nachgewiesen, doch Valenzuela und Tinkham wollten die Elektronen auf standesgemäße Art erfassen – eben elektronisch.

Zu diesem Zweck bastelten sie eine Nanoapparatur, die nur unter dem Rasterkraftmikroskop richtig zu erkennen ist. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um ein Kreuz aus Aluminium, das in Spezialistenkreisen als Hall-Kreuz bekannt ist. Fließt darin ein Strom von oben nach unten, lässt sich an den Seitenarmen keine Spannung feststellen, da die Elektronenspins im Mittel ebenso oft nach oben wie nach unten weisen. Es galt folglich, dieses Spin-Gleichgewicht zu stören – was sich besonders gut mit Elektronen aus einem Eisen ähnlichen Material bewerkstelligen lässt, denn in derartigen Stoffen kommen von Natur aus mehr Elektronen mit einer Spinrichtung vor. Also setzten die Forscher eine entsprechende Elektrode quer über den oberen Balken des Hall-Kreuzes und ließen Spin-polarisierte Elektronen über eine Barriere in das Kreuz tunneln. Siehe da: Die Asymmetrie der Spins bewirkte die erwartete Elektronenwanderung und die erhoffte Spin-Hall-Spannung.

Der gemessene Wert von zehn Milliardstel Volt, den Valenzuela und Tinkham erhalten haben, ist zwar ziemlich klein, aber ausreichend, um ihn in weiteren Versuchen als Indikator für den Spin-Hall-Effekt zu nutzen. Für die nahe Zukunft bedeutet dies, dass Physiker mit der entsprechenden Ausrüstung endlich den Geheimnissen der seltsamen Elektronen noch tiefer auf den Grund gehen können. Und am Horizont winkt die verheißungsvolle Utopie der Spintronik, in welcher Informationen für neue Computer nicht mehr als banales An und Aus repräsentiert sind, sondern in den Spin-Eigenschaften stecken. So kann es kommen, wenn man ganz harmlos mit Drähten, Batterie und Lämpchen startet und danach noch immer neugierig ist.

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