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Axionen: Entströmt der Sonne Dunkle Materie?

Zwölf Jahre Messdaten und ein ganz großes Rätsel: Sind den Forschern womöglich wirklich Dunkle-Materie-Teilchen ins Netz gegangen? Es wäre das allererste Mal.
Sonne

Physiker haben womöglich zum ersten Mal einen direkten Hinweis auf Dunkle Materie gefunden. Das zumindest legt jetzt eine Gruppe von Physikern nahe: Die Wissenschaftler wollen in den Beobachtungsdaten eines Sonnenteleskops eine merkwürdige Auffälligkeit gefunden haben, die möglicherweise direkt auf Dunkle Materie zurückgeht.

Dem rätselhaften Signal auf die Spur kamen sie in den zwölf Jahre umfassenden Messungen eines Röntgenteleskops der ESA. Dessen Daten offenbaren Variationen, wie sie auftreten müssten, wenn so genannte Axionen mit dem Erdmagnetfeld interagieren würden. Diese hypothetischen Teilchen könnten einen wesentlichen Bestandteil der Dunklen Materie ausmachen.

Unter Dunkler Materie verstehen Physiker eine Substanz, die rund 85 Prozent der gesamten Materie im Universum ausmacht, aber lediglich durch ihre Gravitationswirkung auf Sterne und Galaxien erkennbar ist. Bislang sind alle Versuche, sie direkt nachzuweisen, gescheitert.

Physikern könnte ein erstaunlicher Fang gelungen sein

Nun jedoch könnte den Astronomen ein phänomenaler Fang gelungen sein. Der Leiter der Arbeitsgruppe, George Fraser, verstarb nur zwei Tage, nachdem er und seine Koautoren die Studie zur Veröffentlichung eingereicht hatten. Sie sei sein "überaus faszinierender Abgesang", schrieb Andy Lawrence vom Institute for Astronomy in Edinburgh in seinem Blog "e-Astronomer".

Zwischenzeitlich wurde das Paper bei den "Monthly Notices of the Royal Astronomical Society" angenommen – es erscheint am 20. Oktober. Aber Grund, die Korken knallen zu lassen, gibt es für die verbliebenen Autoren erst einmal nicht. "Wir haben ein ungewöhnliches Resultat gefunden, das wir mit keiner konventionellen Methode erklären können – mit der Axionen-Theorie aber schon", sagt Koautor Andy Read aus Leicester. "Aber es ist und bleibt eine Hypothese", fügt er hinzu. Und die Erfahrung zeige, dass die meisten auf Dauer keinen Bestand hätten.

Axionen wurden ursprünglich in einem ganz anderen Zweig der Physik ins Spiel gebracht. Sie stammen aus der Theorie der starken Kernkraft, einer der vier Grundkräfte in der Natur. Laut diesen Überlegungen müssten im Innern der Sonne sehr leichte, ungeladene Teilchen entstehen, die kaum mit gewöhnlicher Materie in Wechselwirkung treten. Das würde ihnen erlauben, durch eine tausende Kilometer dicke Schicht solaren Plasmas hindurchzurasen und in den Weltraum zu entweichen.

Allerdings, so sagt es die Theorie voraus, sollten die Axionen mit magnetischen Feldern wie dem Erdmagnetfeld interagieren und sich dabei in Röntgenphotonen umwandeln. Und genau diese Teilchen wollen die Wissenschaftler nun entdeckt haben.

Dunkle Materie aus der Sonne | Axionen (blau) aus der Sonne könnten sich im Erdmagnetfeld (rot) in Röntgenphotonen (orange) verwandeln. Um in den Detektorbereich von XMM-Newton zu geraten, müssten diese Teilchen allerdings zunächst noch gestreut werden.

Sie berücksichtigten dazu die Messdaten des europäischen Weltraumteleskops Multi Mirror Mission (XMM-Newton). Wenn die Sonde auf der sonnenzugewandten Seite der Erde das starke Erdmagnetfeld durchflog, registrierte sie ein leicht verstärktes Röntgensignal verglichen mit der sonnenabgewandten Seite. Eigentlich müssten die Daten jedoch von der Position unabhängig sein, sofern man alle bekannten Störquellen herausgerechnet hat, erläutert Read.

Alle Alternativerklärungen ausgeschlossen?

In ihrem 67 Seiten langen Paper hätten sie nach bestem Wissen und Gewissen alle alltäglicheren Erklärungen ausgeschlossen, sagt Read; so etwa eine mögliche Wechselwirkungen zwischen dem Sonnenwind und dem Erdmagnetfeld. Erst dann hätten sie die Axionen ins Spiel gebracht.

Ein Problem dabei ist allerdings, dass XMM-Newton die Röntgenphotonen aufgefangen hat, obwohl die Sonde nicht direkt auf unser Zentralgestirn ausgerichtet ist, sondern im rechten Winkel dazu. Eigentlich wäre zu erwarten, dass die Photonen nach ihrer Umwandlung aus Axionen deren Flugrichtung beibehalten und insofern nur beim direkten Blick in die Sonne aufscheinen. Den Autoren zufolge könnte es jedoch sein, dass die Röntgenphotonen gestreut werden und dadurch auf den Detektor gelangen.

Die Forschergruppe hat außerdem bereits Anhaltspunkte für ein ähnliches Muster in den Daten des Röntgenweltraumteleskops Chandra der NASA ausfindig gemacht. Zur formellen Bestätigung dieses Befunds ist jedoch eine umfassendere Auswertung vonnöten, die vermutlich einige Jahre in Anspruch nehmen wird.

So schließt sich auch keineswegs jeder Experte ihrer Interpretation an. Der Astronom Peter Coles von der University of Sussex attestiert der Studie in seinem Blog "In the Dark" einen Mangel an Überzeugungskraft. "Es ist ein faszinierendes Ergebnis. Aber ich würde mein Geld trotzdem nicht darauf verwetten – eher auf irgendeinen obskuren Plasmaphysikeffekt als auf etwas derart Fundamentales", schreibt Coles.

Axionen kollidieren mit astronomischen Beobachtungen

Auch Igor Garcia Irastorza, der für das CERN Axion Solar Telescope (CAST) in Genf arbeitet, hält das Röntgensignal für bemerkenswert. Er weist jedoch darauf hin, dass die Art Axion, die sich aus den Messdaten ergibt, mit anderen astronomischen Beobachtungen kollidieren würde. Auch müssten die Eigenschaften des Teilchens anders sein als von den Theorien der vergangenen Jahrzehnte vorausgesagt.

Unterstützung könnten die Ergebnisse der Forscher aus Leicester von Axion-Experimenten erhalten, die mit völlig anderen Methoden nach den Teilchen suchen, als es die Teleskope tun, sagt Konstantin Zioutas, der Leiter des CAST-Experiments.

Mike Watson, der als Astronom ebenfalls an der University of Leicester arbeitet, aber nicht an der aktuellen Untersuchung beteiligt war, beschreibt den verstorbenen Fraser als "Ausnahmewissenschaftler", er sei der führende Kopf hinter der Studie gewesen. "Die Interpretation hat einen großen Reiz. Aus menschlicher Sicht würden wir uns alle freuen, wenn sie sich als wahr herausstellen würde, das wäre eine großartige Würdigung für George. Aber leider kommt es ja in der Wissenschaft auf so etwas nicht an."

Dieser Beitrag erschien unter dem Titel "Physicists see potential dark matter from the Sun" in "Nature".

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