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News: Enttarnte Nachwuchsheiler

Immunsystem und embryonale Stammzellen sollen zukünftig einmal Hand in Hand eine ganze Reihe gefährlicher Krankheiten bekämpfen. Die Körperabwehr erkennt dabei, so vermutete man bislang, in den Stammzellen selbst keine Gefahr - offenbar eine trügerische Hoffnung.
Von den wahrscheinlich vielfältigsten Molekülen unseres Körpers, den so genannten MHC-Molekülen, existieren fast so viele Varianten wie Menschen auf unserem Planeten. Diese komplex aufgebauten Zucker-Eiweiß-Verbindungen helfen dem menschlichen Immunsystem dabei, körpereigene Zellen von fremden, womöglich gesundheitsschädigenden Eindringlingen zu unterscheiden.

MHC-Moleküle werden daher in jedem Körper einzigartig gestaltet und so zu einem individuellen biochemischen Fingerabdruck. Er dient allen Körperzellen als Ausweis-Etikett: Trägt ein unserer körpereigenen Immunpatrouille verdächtiges Objekt nicht diese körpertypische MHC-Erkennungsmarke auf der Außenseite der Zellhülle, so wird es ohne viel Federlesens attackiert und zerstört. Sichtbares Präsentieren der MHC-Glykoproteine verhindern dagegen solch blindwütige Angriffe auf körpereigene Strukturen.

Was im Körper für Ruhe und Ordnung sorgt, schafft aber gleichzeitig ein medizinisches Problem für bei Transplantationen: Den Zellen der eingepflanzten Herzen, Lebern und Nieren fehlt das passende körpereigene Markermolekül nämlich. Um eingesetzte Fremdorgane nicht sofort wütenden Angriffen des Immunsystems auszusetzen, muss dieses zunächst einmal stark eingedämmt werden. Anderen Krankheitserregern sind dann aber, vorbei an den geschwächten Gesundheitswächtern, Tür und Tor geöffnet – mit ein Grund für die große Gefahr von Sekundärinfektionen noch Wochen nach einer eigentlich erfolgreichen Transplantation.

Dieses Problem könnte, so hoffen Forscher weltweit, mit der neuen medizinischen Wunderwaffe der Stammzellen überwunden werden. Adulte Stammzellen beispielsweise, gewonnen aus den Patienten selbst, tragen bereits den körpereigenen MHC-Ausweis – könnte man sie gewinnen, vermehren und zur Bildung gesunden Gewebes bewegen, so wären sie danach auch ohne Furcht vor Immunattacken reimplantierbar. Ein eleganter Weg, um von der Parkinson-Krankheit bis zu Diabetes eine ganze Reihe von Erkrankungen zu bekämpfen – doch das ist noch Zukunftsmusik. Denn die damit verbundenen technischen und biologischen Probleme zu lösen, liegt noch in weiter Ferne.

Embryonale Stammzellen können dagegen bereits heute aus Zellkulturen zumindest gewonnen werden. Eine frühere medizinische Studie wies darauf hin, dass sie offenbar gar keine MHC-Moleküle ausbilden. Vielleicht, so hofften die Mediziner nun, weil die embryonalen Zellen noch zu jung sind, um unter die gesundheitspolitische Ausweispflicht des Körpers zu fallen? Solcherart immunologisch privilegierte Stammzellen würden zukünftige Transplantationen natürlich stark erleichtern.

Genaueres darüber wollten Forscher um Nissim Benvenisty der Hebrew University in Jerusalem erfahren. Sie setzten einen leicht nachweisbaren fluoreszierenden Antikörper, der an MHC-Moleküle bindet, auf embryonale Stammzellen unterschiedlichen Alters an. Ihre Ergebnisse zeigen, dass schon an den jüngsten undifferenzierten Stammzellen Antikörper zwar schwach, aber regelmäßig banden – offenbar bilden also, entgegen der bisherigen Vermutung, embryonale Stammzellen doch schon recht früh einige MHC-Moleküle aus. Ältere Stammzellen, die bereits typische Eigenschaften bestimmter Gewebezellen ausgebildet hatten, präsentierten ihre MHC-Moleküle sogar noch viel deutlicher – fast ebenso stark wie parallel dazu getestete Kontrollzellen.

Die Vorstellung, man könne mit immunologisch privilegierten embryonalen Stammzellen dem Immunsystem ein Schnippchen schlagen, müsse wohl zu Grabe getragen werden, sagte nach diesen Ergebnissen Hugh Auchincloss von der Harvard Medical School. Andere Wissenschaftler sehen nicht ganz so schwarz: Immerhin würden die embryonalen Stammzellen nur vergleichsweise wenige MHC-Moleküle ausbilden und daher auch weniger Angriffsflächen bieten als die derzeitig bei Transplantationen eingesetzten Fremdorgane. Allzu hochfliegende Erwartungen sind jedoch vorerst von der Realität überholt worden.

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