Epidemiologie: Wurmkur hilft Einzelnen und bedroht viele
Eine Krankheit zu heilen, ist gut, gleich zwei auf einmal, noch besser. Genau das gelingt Tierärzten und Humanmedizinern bereits, wenn sie mit Bakterien oder Viren infizierte und gleichzeitig von Wurmparasiten befallene Patienten behandeln. Denn oft reicht hier eine erfolgreiche Wurmkur, die den Körper vom Schmarotzer befreit: Dadurch werden Abwehrkräfte des Körpers freigesetzt, die die übrigen Infektionen selbstständig bekämpfen und den Körper gesunder machen. Weil das im Labor mit Versuchstieren und bei einzelnen Kranken schon gut klappt, möchten Mediziner den Kampf gegen Würmer auch systematisch in den stark betroffenen Gegenden der Welt aufnehmen, in denen Patienten außer an den weit verbreiteten Allerweltswurmparasiten auch an Tuberkulose oder dem HI-Virus leiden. Dabei leitet sie die Hoffnung, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können. Ein neuer Feldversuch zeigt nun, dass dies zwar funktionieren könnte – womöglich aber gefährliche Konsequenzen mit sich bringt.
Diesen Verdacht äußern Vanessa Ezenwa und Anna Jolles nach einem Langzeitexperiment, das sie mit 216 Afrikanischen Büffeln (Syncerus caffer) über vier Jahre hinweg im Krüger-Nationalpark durchexerziert haben [1]. In freier Wildbahn leiden auch stabile Populationen unter Allerweltserkrankungen – etwa dem insgesamt eher harmlosen Befall mit Darmwürmern –, aber auch nicht selten an Bakterieninfektionen wie der Rindertuberkulose. Diese in Kontinentaleuropa früher häufige und hier mittlerweile fast ausgerottete Krankheit kann als Zoonose auch auf den Menschen überspringen. Rinder werden je nach Stärke des Befalls mehr oder weniger stark geschwächt oder leben deutlich kürzer.
Würmer dämpfen Immunsystem und helfen Bakterien
Bekannt war längst ein Zusammenspiel der beiden Krankheitserreger im Tier: Eine Infektion mit Wurmparasiten verändert das Immunsystem und schwächt es derart, dass die Abwehrkräfte auch die Tuberkulosebakterien nicht mehr effektiv bekämpfen können. Das hängt damit zusammen, dass die häufigsten Fadenwürmer – meist der Gattung Strongyloides – T-Abwehrzellen vom Typ TH-1 unterdrücken können, um sich selbst vor dem Zugriff des Immunsystems zu schützen. Die Abwehrreaktion gegen andere Erreger wird so mitgeschwächt, vor allem, weil nun weniger Interferon-Gamma ausgeschüttet wird. Gerade dieses Zytokin IFN-Gamma spielt aber eine zentrale Rolle bei der Abwehr von Bakterien wie dem Tuberkuloseerrreger von Mäusen, Menschen und Rindern.
Die Forscherinnen wollten daher im Experiment testen, ob es auch den Tuberkulosebakterien in den Büffeln an den Kragen geht, wenn man ihre Wurmparasiten bekämpft. Sie behandelten deshalb die eine Hälfte der Population regelmäßig mit Wurmmitteln, ließen die andere Hälfte zur Kontrolle unbehandelt und beobachteten, wie sich dies auf die Tuberkuloseinfektionen, das Infektionsrisiko in der Herde und die Lebensdauer der Tiere auswirkte. Das Ergebnis war erfreulich eindeutig: Mit Medikamenten entwurmte Tiere lebten im Durchschnitt eindeutig länger als unbehandelte. Ein einzelnes Rind profitiert demnach von der Wurmkur.
Kollateralschaden durch Heilung?
Problematisch ist allerdings, dass das Infektionsrisiko mit Tuberkulose nicht gleichzeitig sinkt: Die Tiere können ohne Würmer eine solche Infektionen zwar besser verkraften, stecken sich und ihre Herdennachbarn aber weiter an. Und dies über einen längeren Zeitraum hinweg, weil sie ja länger leben – was zu dem unerfreulichen Resultat führt, dass die Wurmkur zwar einzelnen Rindern hilft, gleichzeitig aber die Verbreitung der Tuberkulose in den Rinderherden sogar fördert.
Wird daran nicht gedacht, dürfte der Effekt auch Konsequenzen für die Humanmedizin haben, so Ezenwa und Jolles besorgt. Zum einen kann die Tuberkulose von der Herde auf die Hirten übergehen. Vor allem aber werden heute testweise auch schon viele Menschen – etwa in Afrika – in groß angelegten Antihelminthose-Programmen behandelt [2]. Dabei sind erfreuliche Erfolge zu verzeichnen: Den Behandelten geht es besser, und sie leben länger. Bisher hat aber niemand damit gerechnet, dass sie gerade deshalb nun unbedingt auch gegen bakterielle Erkrankungen behandelt werden müssen, weil sonst das Ansteckungsrisiko in den Dörfern und Familien mittelfristig steigt.
Die Entwurmung muss also von weiteren Maßnahmen flankiert werden. Wichtig sei dies auch bei den Programmen, bei denen die Bekämpfung von Helminthosen dem Immunsystem von Aidspatienten helfen soll – hier ist anschließend dringend geboten, durch Aufklärung, Sozialarbeit, Kondomverteilung und weitere Maßnahmen einem womöglich steigenden Risiko von HIV-Infektionen entgegenzutreten. Der Zusammenhang von kurzfristigem, sehr wünschenswertem Nutzen für den Einzelnen und den möglichen langfristigen Kollateralschäden für die Gemeinschaft sei jedenfalls bisher zu wenig bedacht worden, warnen die Forscherinnen.
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