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Ephesos: Die Suche nach Kleopatras Schwester beginnt von vorn

Im Jahr 41 v. Chr. ließ Kleopatra ihre Schwester ermorden. Archäologen vermuteten das Grab von Arsinoë IV. lange in Ephesos. Nun zeigen neue Daten des Skeletts: Die Tote war männlich.
Der Schädel aus dem Oktogon wird im Wiener Mikro-CT-Labor gescannt.
Ein Wiener Forschungsteam machte CT-Aufnahmen von dem Schädel aus einem Grabbau in Ephesos (Türkei).

Die ägyptische Königin Kleopatra war vermutlich kein Familienmensch. Jedenfalls berichten antike Quellen, dass die Geliebte von Julius Cäsar und Mark Anton die eigenen Geschwister aus dem Weg räumen ließ. So auch 41 v. Chr. ihre Schwester Arsinoë IV., als diese im Artemis-Tempel von Ephesos Zuflucht gesucht hatte. Nicht überliefert ist, wo die junge Frau aus dem ptolemäischen Königshaus bestattet wurde. Archäologen überlegen aber seit Längerem, ob sie in einem prunkvollen achteckigen Bau inmitten der antiken Stadt Ephesos (heute Türkei) beigesetzt wurde. In der Grabkammer dieses so genannten Oktogons fanden Archäologen 1929 Überreste eines Skeletts, das Anthropologen über Jahrzehnte als Gebeine eines Jugendlichen identifizierten – und den Schädel als den einer jungen Frau. Waren dies die Knochen von Arsinoë IV. und das Oktogon ihr Grab? Auch »Spektrum.de« berichtete ausführlich über diese These, die der Archäologe Peter Scherrer von der Universität Graz und der Forensiker Ernst Rudolf in einer Buchpublikation 2024 wieder wahrscheinlich gemacht haben.

Doch Fachleute um den Anthropologen Gerhard Weber von der Universität Wien haben jetzt eine forensische Analyse vorgelegt und damit die These über die in Ephesos beigesetzte Ptolemäerprinzessin vorerst widerlegt: Die Überreste stammten demnach von einem Jungen im Alter zwischen 11 und 14 Jahren, berichtet das Forschungsteam am 10. Januar 2025 im Fachblatt »Scientific Reports«. Der Schädel zeige zudem Deformationen, die aus einer vielleicht genetisch bedingten Erkrankung resultierten. Auch würde das Erbgut des Jungen auf eine Herkunft aus Italien oder Sardinien hindeuten.

Für ihre Untersuchung haben Weber und sein Team den Schädel im CT gescannt sowie Knochenproben ausgewertet. Eine Radiokarbondatierung ergab, dass der Schädel wahrscheinlich aus der Zeit von zirka 205 bis 36 v. Chr. stammt. Dieses Ergebnis entspricht auch dem Alter des Oktogons: Archäologen verlegen die Machart der Architektur und des Bauschmucks in eine Zeit um 30 v. Chr. oder etwas später.

Stadtmitte | Das Oktogon liegt direkt an der Kuretenstraße in Ephesos, im Zentrum der antiken Stadt. Die Überreste fanden sich unterhalb der Hanghäuser (überdachter Bereich). Im Bild wird das Oktogon teilweise von einem Baum (Mitte) verdeckt.

Gemäß den Wiener Genetikern gehören Schädel und Körperknochen zur selben Person. Ihre Erbgutanalyse lieferte allerdings auch eine »große Überraschung«, so Weber. »Schädel und Oberschenkelknochen zeigten beide ganz eindeutig in wiederholten Versuchen das Vorliegen eines Y-Chromosoms – also eines Mannes«, sagt der Anthropologe laut einer Pressemitteilung. Damit können die Gebeine nicht mehr als Überreste von Arsinoë IV. gedeutet werden.

Vielmehr entspreche der Schädel mit zwei erhaltenen Zähnen dem Entwicklungsstadium eines Jungen in der Pubertät. Auffällig sei, dass der Schädel stark asymmetrisch geformt ist. Dadurch konnte der Junge nicht gleichmäßig kauen. Die Ursache für die Wachstumsanomalie sei aber noch ungeklärt. Möglicherweise geht sie auf eine Störung der Schilddrüsenfunktion oder eine Rachitis zurück. Ebenso könnte es sich um die Folge einer Erbkrankheit wie das Treacher-Collins-Syndrom handeln.

Wer lag im Oktogon von Ephesos?

Österreichische Forscher um den Archäologen Josef Keil entdeckten 1929 die Skelettreste in einem Sarkophag, der sich im Unterbau des Oktogons befindet. Keil notierte damals in seinen Aufzeichnungen, die Gebeine könnten zu einem Jugendlichen gehören, einem nicht ganz erwachsenen Mann. Anschließend nahm er den Schädel mit, ließ die übrigen Knochen aber an Ort und Stelle zurück. Keils Kollegen in Deutschland beurteilten den Schädel dann anders: Sie hielten ihn für die Überreste einer jugendlichen Frau.

Lange galt der Schädel als verschollen, bis ihn Peter Scherrer und Ernst Rudolf 2022 in einer Sammlung der Universität Wien wieder aufspürten.

Die Reste des Oktogons von Ephesos liegen im Zentrum der antiken Stadt. Seine Lage und der besondere Bauschmuck legen nahe, dass es sich bei der darin bestatteten Person um eine bedeutende Persönlichkeit gehandelt haben muss. Allerdings fehlt an dem Gebäude eine Inschrift, die über den einstigen Eigentümer Auskunft geben könnte. Nun scheint klar zu sein, dass ein römischer Junge mit Wurzeln in Italien oder Sardinien darin bestattet lag. Mit Hilfe von historischen Studien lässt sich die Identität des Kindes vielleicht aufdecken. Die ägyptische Prinzessin Arsinoë IV. war es wohl nicht. Der Verbleib ihrer Überreste wird Fachleute nun erneut beschäftigen.

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  • Quellen

Rudolf, E., Scherrer, P.: The Octagon of Arsinoe IV in Ephesos. Nünnerich-Asmus Verlag & Media, 2024

Weber, G.W. et al.: The cranium from the Octagon in Ephesos. Scientific Reports 15, 2025

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