Erdbeben: Untergang des Atlantiks könnte historische Katastrophe erklären

Der Atlantik ist dem Untergang geweiht. Derzeit wird er zwar immer noch breiter, doch Fachleute rechnen damit, dass er bald schon wieder schrumpft. Wie dieser Prozess allerdings beginnt, ist bis heute ein Rätsel. Den ersten Schritt dabei haben Fachleute nun anscheinend vor Portugal beobachtet – und dabei möglicherweise auch das Rätsel um das verheerende Erdbeben von Lissabon im Jahr 1755 gelöst. Wie jetzt ein Team um João C. Duarte von der Universität Lissabon in Portugal berichtet, könnte ein unerwarteter Prozess dort eine Subduktionszone entstehen lassen: einen Bereich, in dem der Meeresboden vom darunterliegenden Erdmantel »gefressen« wird. Laut der in der Fachzeitschrift »Nature Geoscience« erschienenen Veröffentlichung ist dort der untere Teil des Meeresbodens abgerissen und sinkt nun in die Tiefe. Dieser Prozess könnte nicht nur die schweren Erdbeben in der Region erklären, sondern nach und nach das gesamte Meeresbecken in die Tiefe reißen.
Das Werden und Vergehen von Ozeanen ist einer der größten Zyklen der Erde. Ein Kontinent reißt auseinander, ein neuer Mittelozeanischer Rücken erzeugt neuen Meeresboden zwischen den Bruchstücken. Doch dann kehrt sich der Prozess um. An den Rändern des jetzt tausende Kilometer großen Meers bricht der Meeresboden vom Kontinent ab und beginnt in den Erdmantel abzutauchen. Das Meeresbecken schrumpft, die Kontinente stoßen schließlich in einer gewaltigen Kollision zusammen und türmen kilometerhohe Gebirge auf. Doch wie und warum der Meeresboden letztlich abbricht, weiß niemand. Die Daten der Arbeitsgruppe um Duarte legen aber nahe, dass wir den Prozess vor Portugal in Echtzeit beobachten – und dass er eine der folgenschwersten Katastrophen der Geschichte verursachte.
Das Erdbeben von 1755 und der dadurch erzeugte Tsunami, die 1755 Lissabon zerstörten, gelten als Wendepunkt der europäischen Geistesgeschichte, doch die Ursache ist bis heute umstritten. Das Problem: Derart starke Erdbeben entstehen bloß an Subduktionszonen – und die gibt es vor Portugal nicht. Stattdessen schiebt die Afrikanische Platte, die von Süden her mit Europa zusammenstößt, das Gestein zusammen und türmt es an zwei parallelen Bruchzonen zu Tiefseeplateaus auf. Tatsächlich jedoch ist es laut den Fachleuten um Duarte das als langweilig geltende, bisher wenig beachtete Tal zwischen ihnen, in dem die entscheidenden Prozesse ablaufen. Unter diesem nämlich fanden sie etwas Merkwürdiges.
Aufgezeichnete Erdbebenwellen deuten darauf hin, dass hier der Erdmantel in der Tiefe kälter und dichter ist als in der Umgebung. Die Arbeitsgruppe interpretiert das als Hinweis darauf, dass die Erdplatte hier tiefer hinabreicht. Allerdings nicht als schräg abtauchende Einheit wie in einer Subduktionszone, sondern als absinkender Block, im Norden und Süden begrenzt von den beiden Bruchzonen. Da man an der Oberfläche keine Anzeichen dafür sieht, vermutet das Team, dass die Unterseite der Erdplatte entlang einer Schwächezone von der oberen Kruste abgerissen ist und nun vom Druck der Afrikanischen Platte nach unten aus der Lücke gepresst wird.
Computersimulationen bestätigen, dass der Prozess plausibel ist. Der Sog des sinkenden Blocks erzeugt das langweilig wirkende, schlammgefüllte Tal am Meeresboden. Die Kräfte, die den Block nach unten zwingen, können dort laut den Rechnungen jedoch Erdbeben bis zur Magnitude von 8,6 auslösen – genug, um die Katastrophe von Lissabon zu erklären. In Zukunft, erklären die Fachleute, könnte sich aus dem absinkenden Block eine echte Subduktionszone entwickeln, an der ozeanische Erdkruste unter den Kontinent abtaucht. Diese dürfte sich nach Nordwesten ausweiten und schließlich Europa und Amerika wieder aufeinander zuwandern lassen.
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