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Tiefe Biosphäre: Erdbeben ernähren unterirdische Lebensformen

Noch kilometertief im Gestein leben Bakterien in Gesteinsklüften. Doch woher kommt ihre Nahrung? Eine überraschende Energiequelle könnte das Rätsel um ihre Lebensweise lösen.
Ein langer, natürlicher Höhlentunnel mit unebenen, felsigen Wänden und einer steinigen, sandbedeckten Bodenfläche. Der Tunnel verjüngt sich in der Ferne und ist von weichem Licht erleuchtet, das die Textur der Felsen hervorhebt. Die Wände zeigen grünliche und bräunliche Farbtöne, die auf mineralische Ablagerungen hinweisen.
Selbst in den tiefsten Bergwerken stößt man noch auf Leben im Gestein. Woher die Organismen dort Nahrung und Energie beziehen, ist bis heute weitgehend unklar.

Das Leben hat nicht nur die gesamte Erdoberfläche überwuchert, sondern sich sogar in den Wurzeln der Gebirge eingenistet. Bakterien und Archaeen findet man noch viele Kilometer tief im Gestein – bloß wovon ernähren sich diese Organismen? Eine überraschende Antwort schlägt nun ein Team um Xiao Wu vom Institut für Geochemie im chinesischen Guangzhou vor. Die Mikroben der Tiefe könnten von Erdbeben leben, berichtet die Arbeitsgruppe in der Fachzeitschrift »Science Advances«. Demnach produziert das aufbrechende Gestein freie Radikale, die ihrerseits Wasser spalten. Dabei entsteht zum einen Wasserstoff und zum anderen werden Sauerstoffradikale freigesetzt, die ihrerseits Stoffe wie Nitrat, oxidiertes Eisen oder gar Sauerstoff herstellen. Mit diesen könnten dann Mikroben ihren Stoffwechsel betreiben.

Bereits seit einiger Zeit spekulieren Fachleute darüber, wovon sich die Mikroben des tiefen Untergrunds ernähren. Alle Lebewesen gewinnen Energie dadurch, dass sie Elektronen aus energiereichen Chemikalien auf Moleküle übertragen, die leicht Elektronen aufnehmen. Die Energiedifferenz zwischen diesen Stoffen nutzen sie, um den Energieträger Adenosintriphosphat, kurz ATP, zu erzeugen, der nahezu alle Zellprozesse antreibt. Wir Menschen transferieren zum Beispiel Elektronen aus Zucker auf Sauerstoff. Beides gibt es aber kilometertief im Felsuntergrund nicht. Mit Wasserstoff liegt dort zwar ein reichlich vorhandenes Molekül vor, das Elektronen liefert - doch kaum welche, die diese dann aufnehmen. Einziger Kandidat schien bisher Kohlendioxid zu sein, aus dem bei der Reaktion mit Wasserstoff Methan entsteht.

Neuere Studien deuten allerdings darauf hin, dass die tiefe Biosphäre noch diverse andere Energiequellen hat als nur diese eine Reaktion. Forscher identifizierten Organismen, die oxidiertes Eisen, Nitrat oder Sulfat als Abnehmer für die Elektronen des Wasserstoffs nutzen - Stoffe, die dort unten eigentlich nicht entstehen sollten. Des Rätsels Lösung, berichtet nun die Arbeitsgruppe um Wu, basiert auf zwei Faktoren, die in der tiefen Erdkruste häufig sind: Eisen und Erdbeben. Wenn bei einem Erdbeben Minerale zerbrechen, reißen auch chemische Bindungen auf. Das Team zeigte anhand von frisch gebrochenem Quarz, was die dabei entstehenden freien Radikale mit Wasser machen: Auf der frischen Bruchstelle bildeten sich Sauerstoff- und Wasserstoffradikale, die leicht mit anderen Molekülen reagieren, sowie Wasserstoffperoxid.

Diese erzeugen dann oxidiertes Eisen und andere elektronenhungrige Stoffe für den Stoffwechsel. Bei einer Überschlagsrechnung kommen die Fachleute zu dem Ergebnis, dass in einer einzelnen Verwerfung solche Erdbebennahrung bis zu hunderttausendfach mehr Wasserstoff liefern könnte als radioaktive Strahlung und chemische Reaktionen im Gestein zusammengenommen - die bisher wichtigsten bekannten Quellen. Das lege nahe, dass Erdbeben nicht nur auf der Erde genug Energie für tiefe Ökosysteme liefern könnten, sondern auch auf fernen Exoplaneten.

  • Quellen
Wu, X. et al., Science Advances 10.1126/sciadv.adx5372, 2025

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