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News: Erdbeben erschüttern das Strukturmodell der Erde

Die dünne Erdkruste allein könnte womöglich den einzigen Halt für die höchsten Berge unserer Welt darstellen. Eine Analyse der Form seismischer Wellen verschiedener Erdbeben stellt das bisherige Modell der Erdstruktur in Frage. Der neuen Studie zufolge soll die äußerste Schicht des Erdmantels zu schwach sein, um Stützfunktion zu übernehmen.
Die direkte Erforschung der unter der Oberfläche liegenden Gesteine bleibt den Geologen verwehrt. Aber über Erdbebenwellen, die nur in mächtigen, brüchigen Gesteinen auftreten, können sie die Eigenschaften der tiefer liegenden Schichten ermitteln. Frühere Studien ließen vermuten, dass die tektonischen Platten – beziehungsweise die Lithosphäre – aus der Erdkruste und der obersten Schicht des oberen Mantels bestehe, die auf der zähflüssigen Asthenosphäre – dem restlichen Mantel – "schwimmen". Diese beiden Lagen, nahm man an, seien nur von einer dünnen, erdbebenfreien Schicht, der so genannten Moho-Diskontinuität, voneinander getrennt.

Der Geophysiker Keith Priestley von der University of Cambridge entwirft allerdings ein ganz anderes Bild der Erde. Er analysierte die Form der seismischen Wellen – eine Methode, die eine genauere Ermittlung der Tiefe der Erdbeben erlaubt als das traditionelle Verfahren. Bisher maßen Geologen die unterschiedlichen Laufzeiten, mit der sich die seismischen Wellen durch das Gestein fortpflanzen.

Er stellte fest, dass viele Erdbeben, deren Ursprung man bisher im oberen Mantel vermutete – etwa 40 bis 45 Kilometer unter der Erdoberfläche –, vielmehr in der oberen Kruste begannen, also nur etwa 15 Kilometer tief. Priestley fand auch einige tiefere Beben, aber diese traten nur in Gebieten auf, in denen die Kruste auch dicker als die üblichen 35 Kilometer war. Ein bestimmtes Erdbeben in Pakistan zum Beispiel begann nicht in der bisher angenommenen Tiefe von 90 Kilometern, sondern nur 40 Kilometer unter der Erdoberfläche, in einer Region, in der die Kruste eine Dicke von 45 Kilometern hat, berichtet der Geophysiker.

Diese Tiefenmessungen zeichnen ein neues Bild der Erdstruktur erklärte Priestley am 12. April 2000 der Seismological Society of America in San Diego, Kalifornien. Wenn im oberen Mantel keine Beben auftreten, muss diese Erdschicht sehr viel dünner sein als bisher angenommen. Damit könne sie auch nicht dazu beitragen, die aufliegenden Gesteinsmasen zu stützen.

Der Geophysiker sieht in seinen Ergebnissen auch eine Erklärung dafür, dass sich Berge dort befinden, wo sie sich befinden. In der Himalayaregion in Nordindien treten Erdbeben in Tiefen von 40 Kilometern auf, was zeigt, dass eine dicke, starke Kruste die bis zu fünf Kilometer hohen Berge trägt. In der iranischen Hochebene dagegen, in der Erhebungen nur eine Höhe von zwei Kilometern erreichen, stoppen Beben etwa 15 bis 20 Kilometer unter der Erde. In diesem Gebiet ist die Kruste also vermutlich schwächer und dünner als in Gebirgsregionen.

Geologen, die in jahrelanger Arbeit verschiedene Modelle der Erdstruktur entwickelten, sind nicht überzeugt. "Ich glaube nicht, dass das letzte Wort schon gesprochen ist", sagt Wang-Ping Chen von der University of Illinois in Urbana-Champaign. Seiner Meinung nach habe sich Priestley zu sehr auf bestimmte Regionen beschränkt und die Gebiete ignoriert, in denen Beben vermutlich in der obersten Mantelschicht auftraten. "Es ist keine globale, erschöpfende Studie."

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