Direkt zum Inhalt

Neurodegenerative Erkrankungen: Erhöht Parodontose das Alzheimerrisiko?

Ein gar nicht seltenes Mundbakterium könnte ins Gehirn gelangen und dort Schäden verursachen, vermuten Forscher. Liegt hier eine bisher übersehene Ursache der Alzheimerdemenz?
Rot markierte Gingipain-Enzyme zwischen Alzheimerneuronen

Viele an Alzheimerdemenz erkrankte Menschen haben auch Probleme mit der Zahngesundheit: Sie leiden etwa besonders oft an Parodontitis, wie Mediziner beobachten. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Patienten nicht selten die Dentalhygiene vernachlässigen; womöglich gibt es einen ganz direkten medizinischen Zusammenhang, wie verschiedene Forscher in den letzten Jahren schon mutmaßten. Nun legt ein Wissenschaftlerteam in »Science Advances« weitere Hinweise vor: Seinen Untersuchungen zufolge finden sich im Gehirn Demenzkranker tatsächlich nicht nur häufiger als üblich Spuren der Parodontose-Bakterien. Die Keime sorgen in Mäusen offenbar rasch und unmittelbar für typische neurodegenerative Effekte, wie Tierversuche nahelegen.

Demnach könnte der Parodontitis-Erreger Porphyromonas gingivalis ein bislang vernachlässigter Auslöser von Alzheimersymptomen sein, meint das privatwirtschaftlich finanzierte Team der Firma Cortexyme Inc. aus South San Francisco. Der Psychiater Stephen Dominy, ein Mitbegründer des Unternehmens, forscht seit den 1990er Jahren nach Zusammenhängen zwischen Parodontose-Keimen und verschiedenen anderen Krankheiten. Die Cortexyme-Laborexperimente bestätigten nun zunächst einen zuletzt vermehrt vermuteten Zusammenhang: Im Hirngewebe von verstorbenen und in der Gehirnflüssigkeit lebender Alzheimerpatienten finden sich stets Spuren beziehungsweise DNA-Material von P. gingivalis. Zudem enthalten 90 Prozent der 50 untersuchten Hirnproben die für den Keim typischen Gingipain-Enzyme: Je höher die Konzentration dieser Proteine, desto mehr alzheimertypische Tau-Proteine traten auf. Offenbar korreliert demnach der Befall des Gehirns mit Parodontose-Keimen mit Symptomen der Krankheit.

In Tierversuchen zeigten die Wissenschaftler überdies, dass die Keime tatsächlich neurodegenerative Prozesse anstoßen können: Sie infizierten gesunde Tiere über sechs Wochen hinweg mit Parodontitis-Erregern und wiesen im Mäusehirn anschließend Bakterien, ihre Toxine und eine erhöhte Zahl abgestorbener Neurone mit alzheimertypisch wachsenden Beta-Amyloid-Ablagerungen nach.

P. gingivalis ist bekannt dafür, aus größeren Infektionsherden auch in andere Regionen des Körpers auswandern zu können. Der Keim produziert Gingipaine, um das Immunsystem zu schwächen: Die Enzyme zerstören das körpereigene Zytokin-Alarmsignal und verhindern so die gegen Bakterien gerichteten Entzündungsprozesse. Vielleicht richten sich Gingipaine aber auch gegen andere Proteine, vermuten die Cortexyme-Wissenschaftler: Die Enzyme greifen womöglich im Gehirn Tau-Proteine an und schädigen sie auf eine Weise, die dann die Bildung der alzheimertypischen Tau-Plaques fördert. Die Situation bessert sich dagegen, wenn die Gingipaine abgefangen werden, wie ein weiteres Tierexperiment belegen konnte: Ein in das Gehirn injizierter Gingipain-Blocker sowie Bakterien tötende Antibiotika schützen zuvor infizierte Mäuse vor den negativen Folgen der Parodontitis.

Nun muss geklärt werden, ob ähnliche Prozesse auch beim Menschen ablaufen und ein Gingipain-Blocker möglicherweise als Wirkstoff gegen Alzheimersymptome eingesetzt werden könnte. Hierzu laufen bereits erste klinische Tests mit Freiwilligen. Schon andere Wissenschaftler hatten eine Infektion mit bakteriellen Erregern als möglichen Startschuss für eine Kette von Ereignissen gesehen, die am Ende zur Alzheimerdemenz führen. Eine Hypothese folgt der Idee, dass Alzheimer eine missglückte Reaktion des Hirns auf eingedrungene Erreger ist: Die Neurone bilden die bei der Krankheit auffälligen Beta-Amyloide überhaupt erst, um toxische Substanzen wie beispielsweise Gingipaine abzufangen und zu neutralisieren. Nach dieser Vorstellung wären die Parodontose-Erreger dann zwar an der Entstehung der Krankheit beteiligt – nicht aber direkt eine Ursache. Völlig unklar ist zudem, ob wirklich alle an Parodontitis erkrankten Menschen ein höheres Demenzrisiko tragen, denn sicherlich spielen hier auch weitere Umstände eine Rolle.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.