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Erkältung und Psyche: Fühlt sich an wie eine Depression, ist aber keine

Forschende entschlüsseln, was bei einer Erkältung mit der Psyche passiert. Woher das Leiden kommt und warum manche mehr jammern als andere.
Eine Person liegt in einem Bett mit gemusterter Bettwäsche und hält eine Hand schützend vor das Gesicht, während Sonnenlicht auf sie fällt. Die Szene vermittelt ein Gefühl von Morgenruhe und Geborgenheit.
Eine Erkältung verändert, wie wir die Welt wahrnehmen. Und wie die Welt uns. (Symbolbild)

Eine Erkältung kann eine qualvolle Angelegenheit sein. Nicht nur für den Körper. Auch für die Seele. Wenn sich die Taschentücher türmen und die Bettlaken zerknittern, wenn die Nase zu schwillt, der Hals brennt und der Kopf sogar auf federweichen Kissen sticht, dann stellt sich bei vielen eine gewisse Verzweiflung ein. Man fühlt sich trüb, jämmerlich und furchtbar deprimiert.

Wissenschaftler sagen: Was wir während einer Erkältung erleben, kann tatsächlich einer kleinen Depression ähneln. Fast alle Menschen werden während eines Infekts antriebslos, lustlos, unsozial, bewegen sich langsamer, denken langsamer. Der Kopf fühlt sich an wie in Watte gepackt, der Appetit verklingt. Manche werden außerdem traurig, hoffnungslos, ängstlich oder reizbar – alles Symptome, die man auch in Diagnose-Manualen findet, wenn man »depressive Episode« nachschlägt.

Fachleute haben sogar einen Begriff dafür: »sickness behavior«, Krankheitsverhalten. Nicht nur Menschen zeigen es – auch Tiere. Zumindest werden auch sie lethargisch, wenn ihr Körper einen Infekt bekämpft. Fledermäuse hören auf, das Fell ihrer Artgenossen zu säubern. Hamster verkriechen sich gekrümmt in die Ecken ihrer Nester. Affen werden schläfrig. Fische dümpeln apathisch durch ihre Aquarien. Eidechsen fressen weniger, Spatzen zwitschern seltener. 

Aus Studien weiß man, dass vor allem das Immunsystem für dieses Krankheitsverhalten verantwortlich ist.

Wie das Immunsystem die Stimmung verdirbt

Wenn der Körper einen Infekt bekämpft, in der Regel durch Viren ausgelöst, manchmal auch durch Bakterien, dann schüttet das Immunsystem – das menschliche wie das von Tieren – sogenannte Zytokine aus: Botenstoffe, die Immunzellen aktivieren und lenken, Entzündungen fördern oder hemmen. Die Zytokine steuern die Immunantwort im Körper.

Sie senden dabei auch Signale ans Gehirn. Über den Vagusnerv zum Beispiel. Oder indem sie die Blut-Hirn-Schranke passieren. Das Gehirn scheint dann das Krankheitsverhalten zu dirigieren. Dieser Teil ist vor allem an Tieren erforscht und weniger am Menschen. Mehrere Studien belegen es aber. Und auch Forscherinnen wie Julie Lasselin gehen davon aus, dass es sich bei uns ähnlich verhält. Lasselin ist Psychoneuroimmunologin am Karolinska-Institut in Schweden und erforscht, wie Erkältungen unser Verhalten, Fühlen und Denken prägen. Sie sagt: »Zytokine signalisieren dem Gehirn, dass ein Infekt vorliegt. Das Gehirn richtet daraufhin seine Prioritäten neu aus.« Es wechselt den Kurs: »Alle Motivation zielt plötzlich darauf ab, zu ruhen, Energie zu sparen, sich zu erholen.«

Julie Lasselin

ist Professorin am Karolinska-Institut in Stockholm und Psychoneuroimmunologin. Das bedeutet, dass sie Zusammenhänge zwischen Psyche, Nervensystem und Immunsystem erforscht. Ihre Arbeit widmet sich der Frage, wie Entzündungen Verhalten beeinflussen und warum Menschen sich darin unterscheiden.

So kommt es, dass wir lustlos werden, müde, uns zurückziehen, uns schlechter konzentrieren. So entsteht das, was Forschende Krankheitsverhalten nennen – und das bei Menschen auffällig überlappt mit den Symptomen einer Depression. 

So auffällig, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch untersuchen, ob beides – die depressionsähnliche Erfahrung des Krankseins und echte Depressionen – womöglich dieselbe biologische Ursache haben könnten. Bei Menschen mit Depressionen finden sich zum Beispiel manchmal erhöhte Konzentrationen bestimmter Zytokine im Blut. Umgekehrt wurden Krebs- oder Hepatitis-C-Patienten bei einer Behandlung mit Zytokinen häufiger depressiv. Könnte eine fehlgesteuerte Immunantwort Depressionen auslösen oder mitbedingen, zumindest in manchen Fällen? Hinweise darauf gibt es.

Warum es gut ist, sich während einer Erkältung mies zu fühlen

Julie Lasselin betont außerdem, dass trotz aller Überschneidungen eine Depression und Krankheitsverhalten nicht dasselbe sind. Eine Depression fühlt sich deutlich existenzieller an. Und: »Eine Depression hat langfristig keinen Nutzen. Sie macht Menschen so unflexibel, dass sie die Ursachen der Depression gar nicht lösen können.« Bei einer Erkältung oder Grippe hingegen sei es durchaus sinnvoll, sich kraftlos, lustlos und freudlos zu fühlen.

Ein Körper, der gegen einen Infekt kämpft, braucht viel Energie. Immunzellen produzieren, Fieber einleiten: All das kostet Kraft. Allein die Körpertemperatur um ein Grad zu erhöhen, verbraucht mindestens zehn Prozent mehr Kalorien. Wer sich nicht bewegt, nicht verdaut, nicht nachdenkt, wer im Idealfall einfach schläft, spart sie ein. »Dass wir krank so leiden, ist ein Schutzmechanismus des Immunsystems«, sagt Julie Lasselin. Die Lethargie bewahrt uns davor, Energie zu verschwenden.

Auch dass wir uns ängstlich, unglücklich und unsozial fühlen, erfülle einen Zweck: Wir meiden andere Menschen – die uns im Zweifel nur Energie rauben und uns obendrein noch kränker machen könnten. Studien zeigen, dass wir soziale Situationen während eines Infekts ganz anders bewerten. Wir befinden uns gewissermaßen in einem Zwiespalt: Einerseits sehnen wir uns nach Zuwendung, andererseits wollen wir allein sein und wittern überall Gefahr. Kranke Menschen halten gesunde Menschen zum Beispiel häufig fälschlicherweise für krank. Fremde wirken auf sie generell eher bedrohlich. Und auch einen schiefen Blick oder fiesen Kommentar verkraften kranke Menschen noch schlechter als gesunde. »Kranksein bedeutet, die Aufmerksamkeit nur auf sich zu lenken«, sagt Julie Lasselin: »Wer könnte mir schaden? Wer ist gerade unwichtig? Und wer kann mir helfen?«

Und nicht nur der Kranke reagiert sensibler auf seine Mitmenschen – auch die Mitmenschen auf den Kranken. Wer krank ist, wird gemieden. Allein der Anblick eines erkälteten Menschen versetzt den Körper offenbar in Alarm: In Experimenten reichte es, dass Menschen Videos von schniefenden, sich schnäuzenden Menschen betrachteten oder Avatare mit Windpocken oder Scharlach – und schon brachte sich ihr Immunsystem in Stellung: Die Immunzellen reagierten, als würden sie einen realen Erreger bekämpfen. Generell sind Menschen, sogar Kinder, erstaunlich gut darin, zu erkennen, ob jemand einen Infekt in sich trägt. Nicht nur an triefenden Nasen oder bellendem Husten, sondern auch an subtileren Zeichen. Etwa am Duft, am steifen Gang oder an fahler Haut. Menschen, die man für krank hält, mag man weniger und misstraut ihnen eher. Man hält sich von ihnen fern.

Sich während einer Erkältung abgekapselt zu fühlen, ist also gewissermaßen auch ein Produkt des Immunsystems: des eigenen und des der anderen.

Wer besonders unter dem Kranksein leidet

Gleichzeitig kann das Immunsystem nicht alles erklären. Wie wir uns während eines Infekts fühlen, hängt auch von anderen Faktoren ab. Schließlich erlebt jeder Mensch das Kranksein anders – diese Erfahrung machen nicht nur Freunde, Paare oder Familien, sie ist auch belegt. »Menschen reagieren sehr unterschiedlich – selbst wenn ihre Immunantwort, gemessen zum Beispiel am Zytokin-Level, gleich ausfällt«, sagt Julie Lasselin. Manche harren im Halbschlaf im Bett aus, andere wandeln beunruhigt durch die Wohnung. Vor allem eine gedrückte oder ängstliche Stimmung verspüren nicht alle Menschen und wenn, dann nicht gleich stark, sagt Lasselin.

Welche Faktoren das beeinflussen könnten, das erforscht sie gerade. Es gebe Hinweise, dass Einstellungen und Grundstimmung eine Rolle spielen. Menschen, die grundsätzlich ängstlich oder pessimistisch sind oder gerade eine schwere Zeit durchmachen, leiden Studien zufolge stärker unter einer Erkältung. Ebenso Menschen, denen es schwerfällt, Fieber, Halskratzen oder Husten zu akzeptieren. Auch einsame Menschen wirft eine Erkältung wohl mehr aus der Bahn – vielleicht, weil sie geschwächt noch deutlicher spüren, wie sie allein sind. Hinweise für eine Männergrippe gibt es übrigens nicht, Männer scheinen ihr Leiden bloß anders auszudrücken als Frauen: Sie seufzen mehr oder atmen schwerer.

Julie Lasselin sagt, seitdem sie in diesem Feld forsche, ginge sie anders mit Infekten um: »Wenn ich krank werde und mich elend fühle, denke ich: Super, mein Immunsystem arbeitet. Nun muss ich ihm helfen, den Erreger zu bekämpfen.« Das sei auch das Einzige, was sie empfehlen könne: sich nicht gegen das Leiden zu sträuben, sondern es hinzunehmen, zu ruhen und zu warten, dass es vorübergeht.

Wer sich also gerade schniefend und hustend im Bett windet, kraftlos, mickrig und jämmerlich, der sei erinnert: Es läuft alles so, wie es laufen sollte.

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