Direkt zum Inhalt

Erkältungszeit: Ich, der Infektionsherd

Schon wieder krank, schon wieder Antibiotika? Wann die Mittel wirklich helfen und welche Folgen häufige Antibiotikagaben auf Immunsystem und Mikrobiom haben. Von einem, der dauernd krank ist.
Ein Mann im Bademantel sitzt zusammengesunken an einem Tisch, auf dem zahlreiche Medikamente liegen.
Manche Menschen erkranken mehrfach im Jahr an Erkältungen oder Grippe und greifen oft zu Medikamenten – manchmal auch Antibiotika. Sie fragen sich: Warum erwischt es mich ständig? (Symbolbild)

Plötzlich spüre ich, dass es bergab geht. Meine Erkältung war schon überstanden, am Vortag hatte ich mich noch gut gefühlt. Doch nun überkommt mich eine bleierne Schwere im ganzen Körper, mein Taschentuch zeigt zähes, gelbes Sekret. Ich gehe zum Arzt, erahne aber bereits die Diagnose: bakterielle Superinfektion. Klingt lustiger, als sie ist. »Ich schreibe Ihnen ein Antibiotikum auf«, sagt mein Arzt. »Wenn es Ihnen in zwei Tagen nicht besser geht oder gar schlimmer wird – nehmen Sie es.«

Ich möchte die Tabletten nicht leichtfertig einnehmen. Schließlich weiß ich: Antibiotika helfen nicht gegen normale Erkältungen, Hals- oder Nebenhöhlenentzündungen, da diese von Viren verursacht werden. Die Einnahme ist nur sinnvoll, wenn Bakterien die durch Viren geschädigte Schleimhautbarriere durchbrechen und sich vermehren. Ärztinnen und Ärzte sind mittlerweile zunehmend darauf sensibilisiert, nicht für jeden Infekt routinemäßig ein Antibiotikum zu verschreiben. Doch wie erkennt man den Bedarf?

In den Leitlinien der Europäischen Rhinologen sind klare Kriterien für eine postvirale, womöglich bakterielle Nasennebenhöhlenentzündung definiert. Drei von fünf typischen Symptomen müssen fünf Tage nach Beginn der Beschwerden noch bestehen: eine Körpertemperatur von mehr als 38 Grad Celsius, eine plötzliche Verschlechterung des körperlichen Zustands, starke einseitige Schmerzen im Bereich der Nasennebenhöhlen, verfärbter Auswurf oder ein erhöhter Wert des Entzündungsmarkers namens C-reaktives-Protein (CRP). Das Molekül wird bei Entzündungen gebildet und bindet hauptsächlich an Bestandteile von Zellmembranen – sowohl von Bakterien als auch körpereigenen Zellen. Bei meinem Arzt klingt die Unterscheidung zwischen viralem oder bakteriellem Infekt einfach: »Unter zwei Milligramm pro Liter liegt keine Entzündung vor. Zwischen zwei und fünf ist diese verursacht durch ein Virus. Werte oberhalb deuten auf einen bakteriellen Erreger hin.« Und dann seien Antibiotika angeraten.

Mein CRP-Wert liegt bei 5,6. Klinische Infektiologen würden da wohl nicht mal an Antibiotika denken. Denn wenn sie jemanden behandeln, messen sie oft den 20-fachen Wert. Dann kann es um Leben und Tod gehen. Bei mir nur darum, im Arbeits- und Familienleben wieder zu funktionieren.

»Je öfter ich dasselbe Antibiotikum einnehme, desto größer die Gefahr resistenter Keime«Hinrich Schulenburg, Evolutionsbiologe

Sind häufige Antibiotikaeinnahmen riskant?

Im vergangenen Winter hatte ich bereits vier bakterielle Superinfektionen – jedes Mal nahm ich das gleiche Antibiotikum ein. Dieses wiederkehrende Muster wirft bei mir Fragen auf: Könnten resistente Erreger sich nun freuen, wenn ich ihre Konkurrenz erneut mit genau diesem Antibiotikum ausschalte?

Ich frage Hinrich Schulenburg, der an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel erforscht, wie Bakterien Resistenzen entwickeln. »Je öfter ich dasselbe Antibiotikum einnehme, desto größer die Gefahr resistenter Keime«, sagt der Evolutionsbiologe. »Und nicht nur die Krankheitskeime werden resistent, sondern auch andere Bakterien unseres Körpers. Sie können wiederum die Resistenzgene an neue Erreger weitergeben.« Die Alternative, das Antibiotikum zwischen den Infekten zu wechseln, ist allerdings auch nicht besser. »Dann können sich multiresistente Erreger entwickeln«, sagt Schulenburg.

Könnte ich also ein Bioreaktor für resistente Keime sein, am Ende gar gefährlich für meine Liebsten? »Wenn Sie viele Antibiotikabehandlungen hatten, steigt die Wahrscheinlichkeit, andere Menschen mit resistenten Keimen anzustecken«, erklärt Schulenburg. Daher sei die Leitlinie wichtig, Antibiotika nur einzunehmen, wenn es absolut notwendig ist.

Schließlich entscheide ich mich gegen das Antibiotikum und warte das Wochenende ab. Ich schleppe mich durch die Tage, dann am Montag zum Arzt. Entsprechend liegt der CRP-Wert jetzt bei 20,8 – viermal so hoch wie vor vier Tagen. »Nehmen Sie das Antibiotikum.« Der Arzt nickt mir wohlwollend zu.

Doch ich bleibe skeptisch. Kann es sein, dass mein Immunsystem durch die häufige Einnahme von Antibiotika verlernt hat, selbst mit den Bakterien fertigzuwerden? Das hört man öfter, ich insbesondere von meiner Mutter. Sie ist der Meinung, ich schluckte Antibiotika wie andere Leute Nahrungsergänzungsmittel.

»Ich denke nicht, dass Antibiotika das Immunsystem schwächen«Adrian Egli, Mikrobiologe

Wie Antibiotika das Mikrobiom beeinflussen

»Es gibt meiner Kenntnis nach keinen direkten immunsupprimierenden Effekt«, sagt Adrian Egli, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie der Universität Zürich. »Ich denke nicht, dass Antibiotika das Immunsystem schwächen.« Die Mittel verschaffen dem Immunsystem vielmehr Zeit, sich gegen die Erreger durchzusetzen. Sie verringern die Zahl der Mikroben, bis genügend Antikörper und Immunzellen da sind. Und auch wenn einige Bakterien absterben, werde das Immunsystem weiterhin stimuliert. »Die Immunkaskade ist ja längst angelaufen, wenn ich das Antibiotikum einnehme.«

Allerdings können sich Antibiotika indirekt negativ auf die Bakterienabwehr auswirken – indem sie das Mikrobiom schädigen. »Bakterien im Darm trainieren fortlaufend unser Immunsystem«, sagt Mathias Pletz, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena. Studien zeigen, dass ein intaktes, diverses Mikrobiom die Reifung und Aktivierung von Immunzellen wie Makrophagen, dendritischen Zellen und T-Zellen fördert und Entzündungen entgegenwirkt. Hingegen sind Mäuse, deren Mikrobiom durch Antibiotika zerstört wurde, empfindlicher für Atemwegserreger, erklärt er. Diese Erkenntnis geht jedoch auf wenige Versuche mit Mäusen zurück. Und hier wurde das Mikrobiom komplett beseitigt. »Wenn die Diversität im Darm dramatisch abnimmt, geht die Zahl der neutrophilen Zellen – quasi die erste Linie der Immunabwehr – auch dramatisch zurück«, sagt Emma Slack von der ETH Zürich. »Aber wenn man durch eine Antibiotikabehandlung einige Bakterienarten im Darm verliert, kommt man noch nicht in diesen gefährlichen Bereich.« Deshalb sieht die Expertin für Schleimhautimmunologie und Mikrobiomforschung keinen Zusammenhang zwischen vorheriger Antibiotikaeinnahme und wiederkehrenden Nasennebenhöhlenentzündungen. Das Mikrobiom erhole sich nach ein bis zwei Wochen normalerweise und sei dann wieder auf dem Stand wie vor der Antibiotikabehandlung.

Emma Slack sieht eine andere Ursache für meine wiederkehrenden Infekte: meine Kinder, die kleinen Seuchenvögel. Acht bis zwölf Infektionen bringen kleine Kinder pro Jahr nach Hause. »Sie scheiden Influenzaviren in viel höheren Konzentrationen aus als Erwachsene und auch über einen viel längeren Zeitraum, sogar wenn sie längst wieder fit sind«, sagt Mathias Pletz. »Bei engem Kontakt steckt man sich leicht an.« Und ja, klar, den habe ich. Zwar wasche ich mir jedes Mal die Hände, wenn ich ihnen die Nase geputzt habe, aber natürlich küsse und drücke ich sie, werde auch ständig angeniest und angehustet. Kein Wunder, dass ich andauernd krank bin.

Kinder schleppen sogar dann jede Menge Erreger ein, wenn sie keine Symptome zeigen. Vor allem Viren übertragen sie auf ihre Eltern. Sobald der Körper dann mit einer Virusinfektion beschäftigt ist, wird er auch anfälliger für Bakterien – weil seine Ressourcen für die Virusabwehr gebunden sind, erklärt Emma Slack. Zudem bringen Kinder häufig Bakterien mit, die vom Immunsystem schlecht zu bekämpfen sind. »Kinder tragen sehr oft Streptokokken in ihren Atemwegen«, sagt sie. Diese können Antikörper abbauen und so dem Immunsystem zeitweise entkommen. Und sie werden zunehmend resistent gegen Antibiotika.

Die stille Pandemie

Antibiotikaresistenzen sind laut WHO eines der größten Gesundheitsprobleme auf dem Globus. Experten nutzen dabei oft den Ausdruck »stille Pandemie«, denn solche Resistenzen entwickeln sich im Verborgenen: Patienten bemerken sie meist erst, wenn herkömmliche Antibiotika nicht mehr wirken und Infektionen schwer behandelbar werden. Eines der ältesten und am besten erforschten Antibiotika ist Penizillin. Das Uraltantibiotikum sollte bevorzugt eingesetzt werden, um das Aufkommen von Resistenzen gegenüber neueren Antibiotika zu verhindern. Mein Arzt hat mir jedoch Cefpodoxim verschrieben, bei dem noch keinerlei Resistenzen bekannt sind. Es wirkt gegen eine ganze Reihe an Keimen, die man von Kindern häufig abbekommt.

Ich drehe den glänzenden Alublister in den Händen, drücke die große Tablette mit einem Knacken heraus und würge siehe runter. Ich habe es ohne Antibiotikum versucht, aber es geht nicht. Man kann es auch anders sehen: Ich habe mich umsonst mehrere Tage gequält. Hätte ich den Stoff sofort genommen, wäre ich vermutlich längst wieder fit. Jetzt hoffe ich, dass es das Antibiotikum wieder einmal richtet.

Ganz so dramatisch, wie ich mir meine Resistenzlage ausmale, ist sie vielleicht doch nicht. »Viele Antibiotika sind natürliche Substanzen oder leiten sich von solchen ab«, sagt Hinrich Schulenburg. »Sie gehören also zu den mikrobiellen Gemeinschaften – und damit sind Resistenzen schon immer Teil der Natur.« Zudem erwerben Patienten multiresistente Keime vor allem im Krankenhaus. Auch verschiedene schwere Erkrankungen, etwa der Lunge oder der Leber, erhöhen das Risiko.

Es ist durchaus denkbar, dass ein Typ wie ich mit so vielen Antibiotikabehandlungen eher mit resistenten Bakterien zu kämpfen hätte, wenn er mit einer schweren Erkrankung im Krankenhaus liegt. »Die Gefahr besteht, aber das muss natürlich nicht passieren«, sagt Hinrich Schulenberg. »Sogar wenn resistente Bakterien entstehen, kann nach Gebrauch eines Antibiotikums deren Anzahl wieder massiv zurückgehen, denn dann geht ihr Überlebensvorteil gegenüber anderen Keimen wieder verloren.« Mehrere Studien zeigten zuletzt: Auch wenn sich resistente Keime unter Antibiotikabehandlung stark vermehren, gewinnen danach wieder nicht resistente Artgenossen die Oberhand.

In den vergangenen Jahren ist der Antibiotikaverbrauch zurückgegangen. Vor allem, da sich die Verschreibungsdauer verändert hat. Hieß es früher, man solle den Inhalt einer Packung komplett einnehmen, um Erkrankungen wirkungsvoll zu bekämpfen und Resistenzen zu vermeiden, lautet heute das Motto: Je kürzer, desto geringer sei die Gefahr für Resistenzen. Bei der Sinusitis nehme ich das Antibiotikum heute fünf statt früher zehn Tage lang. Vielleicht reichen in Zukunft noch weniger Tabletten. »Bei Kindern hat man schon gezeigt, dass eine Lungenentzündung mit drei Tagen Antibiotikatherapie genauso gut zu behandeln ist wie mit fünf«, sagt Mathias Pletz.

Auch mir geht es nach zwei Tagen Antibiotikum deutlich besser. Dennoch verkürze ich die Therapie nicht: Für bakterielle Nasennebenhöhlenentzündungen gibt es noch keine entsprechenden Studien. Aber ich werde die Studienlage beobachten – und alles tun, um die nächste Infektion zu verhindern.

»Je älter man ist, desto wichtiger wird es, sich gegen Atemwegserreger zu schützen, vor allem durch Impfungen«Darragh Duffy, Immunologe

Infektionen vorbeugen

Entscheidend sind dafür die Virusinfekte, mit denen alles anfängt, erklärt mir Darragh Duffy vom Institut Pasteur in Paris, der dort individuelle Immunantworten auf Atemwegserreger untersucht. »Sie bringen das Immunsystem aus der Balance. Je älter man ist, desto wichtiger wird es, sich gegen Atemwegserreger zu schützen, vor allem durch Impfungen.«

Während der Pandemie war ich immer vorne dabei, doch es stimmt, zuletzt habe ich das Impfen vernachlässigt. Letzten Winter wollte ich mich gegen Grippe und Corona gleichzeitig immunisieren lassen, mein Hausarzt hatte allerdings keinen Corona-Impfstoff vorrätig. So fehlte mir diese Impfung, und prompt hatte ich mir drei Wochen später Covid-19 eingefangen – und danach auch noch eine bakterielle Nebenhöhlenentzündung bekommen. Nun werde ich das nachholen. Andere Atemwegserreger, gegen die man impfen kann: Pneumokokken, Keuchhusten, Grippe. Das habe ich mittlerweile alles im Arm, in der Hoffnung, den ein oder anderen Infekt zu vermeiden. Für den Rest setze ich auf gesunde Lebensführung.

Bakterielle Infektionen nach einer Grippe

Vermehren sich Influenzaviren massiv, zerstören sie die äußere Schicht der Atemwege und schwächen das Immunsystem, indem sie die Abwehrzellen (Makrophagen) reduzieren. Die geschädigte Atemwegsschleimhaut bietet Bakterien einen idealen Nährboden. So entstehen leicht bakterielle Infektionen (Super- oder Sekundärinfektionen), die oft schwerer verlaufen als die Grippe selbst. Zu den bakteriellen Komplikationen zählen vor allem Nasennebenhöhlenentzündung, Mittelohrentzündung, eitrige Bronchitis und Lungenentzündung. Lebensgefährliche Lungenentzündungen werden meist durch Bakterien wie Staphylokokken, Streptokokken oder Pneumokokken verursacht. Eine schwere Lungenentzündung kann auch Lungenabszesse hervorrufen. Die Schwere der Komplikationen hängt stark vom Gesundheitszustand des Patienten ab. Lebensgefährliche Verläufe bis hin zum Tod betreffen vor allem Menschen über 60, Säuglinge und Kleinkinder. Auch Schwangere, Menschen mit Atemwegs-, Nieren- oder Herzkrankheiten sowie Immungeschwächte sind besonders gefährdet.

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

  • Quellen
Guo, Z. et al.: Assessment of the reversibility of resistance in the absence of antibiotics and its relationship with the resistance gene's fitness cost: A genetic study with mcr-1. The Lancet Microbe 5, 2024 Iwasaki, A. et al.: Microbiota regulates immune defense against respiratory tract influenza. PNAS 108, 2011 Warris, A. et al.: The gut-lung axis: The impact of the gut mycobiome on pulmonary diseases and infections. Oxford Open Immunology, Volume 5, 2024

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.