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Paläontologie: Erst beim zweiten Anlauf

Als die Vierbeiner den Sprung an Land wagten, hat die Evolution, so scheint es, eine Pause eingelegt. Oder war nur das Fundglück den Paläontologen nicht hold? Ein genauer Blick auf die Geschichte der Sechs-, Acht- und verwandten Vielbeiner lässt vermuten, dass der Lebewelt zwischenzeitlich die Puste ausging für weitere Fortschritte.
Manche von Ihnen werden sich vielleicht noch an den Romer/Parsons erinnern – "Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere", ein Standardwerk in vielen Zoologie-Vorlesungen. Doch der amerikanische Zoologe und Paläontologe Alfred Sherwood Romer (1894-1973) wurde auch für etwas geehrt, das fehlt. Genauer gesagt, für eine Lücke im Fossilienarchiv der Vorzeit, die Forschern einiges Kopfzerbrechen bereitet.

Romers Lücke erstreckt sich über nur zwanzig Millionen Jahre – kein wirklich riesiger Spalt. Aber sie prangt ausgerechnet inmitten des Landgangs der Vierfüßer: Vorher, im Oberen Devon vor 360 Millionen Jahre, tauchen zwar schon deutliche Beinstrukturen auf, doch handelt es sich bei ihren Besitzern wohl noch überwiegend um Wasserbewohner. Danach, im Unteren Karbon vor 340 Millionen Jahren, gehören Beine und amphibische Lebensweise hingegen schon zum Inventar. Dazwischen: Bis auf wenige Ausnahmen gähnende Leere.

Nichts zu finden heißt natürlich nicht, dass es nichts gab – vielleicht steckt hinter der dünnen Überlieferung nur mangelndes Fundglück der Paläontologen. Wenn sich dieselbe Lücke aber bei weiteren Organismengruppen zeigt, könnte es doch eine gemeinsame Ursache geben. Robert Berner von der Yale-Universität und seine Kollegen präsentieren beides.

Die Forscher hatten sich die Fossilnachweise der Arthropoden vorgenommen, die den Schritt an Land einige Millionen Jahre vor den Vierfüßern wagten. In 10-Millionen-Jahre-Häppchen analysierten die Wissenschaftler, wann sich die Stammbäume der Sechs-, Acht- und Mehrbeiner verzweigten. Und siehe da: Sie durchliefen eine erste Diversifizierungsphase schon vor 425 bis 385 Millionen Jahren, als vorwiegend kleinere Vertreter festen Grund eroberten, und eine zweite Aufspaltung ab 345 Millionen Jahren vor heute. Dazwischen: Pause – wie bei den Wirbeltieren.

Doch hat die Evolution nicht etwa noch einmal tief Luft geholt, bevor sie weiter werkelte – sie hat sie wohl eher angehalten, weil sie ihr auszugehen drohte, meinen Berner und Co: Exakt zu dieser Zeitspanne, so zeigten Sedimente, war das Sauerstoff-Angebot deutlich geringer. Während vorher und auch danach die Werte über zwanzig Prozent und damit ähnlich hoch wie heute lagen, waren sie vor 380 Millionen Jahren auf ein Minimum von unter 15 Prozent gefallen und zu Zeiten der Romers-Lücke nach einem ersten Anstieg bei etwa 17 Prozent stehen geblieben.

Vielleicht benötigten daher zumindest diese beiden Organismengruppen einen unteren Schwellenwert von zwanzig Prozent Sauerstoff, um sich weiter zu entfalten, erklären die Wissenschaftler. Womöglich seien die primitiven Luftatmungsorgane, welche die Kiemen zunächst ablösten, noch zu wenig ausgereift gewesen, um mit einem geringeren Sauerstoff-Angebot zurecht zu kommen. Ein weiteres Problem stellte auch das Entsorgen von Kohlendioxid dar, das in Luft ebenfalls schwieriger zu bewerkstelligen sei als in Wasser.

Als dann aber die O2-Gehalte die Schwelle von zwanzig Prozent wieder überschritten – vor 340 Millionen Jahren –, entwickelten sich beinahe explosionsartig neue Formen sowohl in der Arthropoden- wie der Tetrapoden-Welt. In diesem zweiten Anlauf entstanden schließlich unter anderem die berühmten Riesen-Insekten des Karbons wie Libellen mit über einem halben Meter Spannweite. So war der erste Schritt an Land beileibe kein voreiliger Fehltritt – doch ohne Puste kommt nun wirklich niemand vorwärts.

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