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Konnektom: Erste neuronale Karte für beide Geschlechter

Mehr als 30 Jahre lang fehlte dem »Wurmatlas« der Kopf eines Männchens. Jetzt haben Forscher auch dessen Nervensystem mitsamt seinen Schaltstellen kartiert.
Fadenwurm

Es geht um ein weißliches Würmchen, kaum sichtbar fürs menschliche Auge: Caenorhabditis elegans lautet sein lateinischer Name und ausgewachsen ist es gerade mal einen Millimeter lang. Ein vollständiges »Konnektom« beider Geschlechter, also ihrer Nervensysteme mit sämtlichen Verknüpfungen, haben Forscher um den Genetiker Scott Emmons vom Albert Einstein College of Medicine in New York jetzt erstmals in »Nature« beschrieben.

Emmons und sein Team bauten auf einen mehr als 30 Jahre alten »Wurmatlas« auf, für den der verstorbene britische Biologe Sydney Brenner einen Nobelpreis erhalten hatte: die erste Konnektomkarte von C. elegans, veröffentlicht 1986 mit dem Untertitel »The Mind of a Worm«. Brenners Labor hatte dazu tausende elektronischer Fotos angefertigt und in mühevoller Handarbeit rund 5000 chemische Synapsen identifiziert.

Caenorhabditis elegans

Die Karte bildete allerdings nur das weibliche Nervensystem ab; beim Männchen fehlte ausgerechnet der Kopf, die Informationsverarbeitungzentrale. Emmons und sein Team ergänzten und überarbeiteten die vorliegenden Aufnahmen mittels Elektronenmikroskopie sowie moderner Software und kreierten so ein komplettes Konnektom beider Geschlechter. 91 der 385 Neurone des Männchens fanden sie ausschließlich bei diesem; umgekehrt gab es 8 von 302 Neuronen des Hermaphroditen, dem Äquivalent zum Weibchen, nur in dessen Nervensystem.

Die Forscher lokalisierten außerdem zuvor übersehene Verbindungsstellen und schlossen aus der Größe der Synapsen auf die Stärke der Verknüpfungen. Bei bis zu 30 Prozent dieser Verknüpfungen fanden sie beträchtliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern, und das nicht nur im Zusammenhang mit den Fortpflanzungsorganen, sondern auch am Kopf – eine mögliche Basis für geschlechtsspezifisches Verhalten, wie die Forscher vermuten.

Das Würmchen dient den Neurowissenschaften häufig als Modellorganismus, also als Versuchskaninchen. Sein komplettes Konnektom soll jene Schaltkreise zu identifizieren helfen, die das Verhalten der Tiere steuern, und womöglich auch Erkrankungen erklären können – sowie auf das menschliche Nervensystem schließen lassen. Es helfe »zu verstehen, wie die Funktionen des Gehirns aus seiner Form heraus erwachsen«, kommentiert in »Nature« Douglas Portman von der University of Rochester, der das Würmchen ebenfalls erforscht. Zum Verständnis des Ganzen reiche das aber nicht: »Das Konnektom ist nur eine Karte der Möglichkeiten«, schreibt Portman. Unter anderem sei das Ausmaß der individuellen Unterschiede noch unbekannt. Obwohl es sich um einen vergleichsweise einfachen Organismus handelt, ähnele das Netzwerk zudem weniger einem geordneten elektronischen Verschaltungsschema als »den Spinnenweben in einer Besenkammer«.

Die Autoren selbst äußern sich ebenfalls vorsichtig. Die Funktion einiger Neurone lasse sich aus ihrer Verschaltung ableiten, etwa aus den Positionen und Strukturen ihrer Synapsen, erklären sie. In welchem Ausmaß sich die Unterschiede im Verhalten einzelner Würmer auf Unterschiede in der Verschaltung zurückführen lassen, sei noch unklar. Das strukturelle Konnektom könne nur einen Teil der Kommunikation im Netzwerk abbilden, denn Botenstoffe wie Neurotransmitter, Neuropeptide und Hormone kontrollieren den Informationsfluss auf einer zweiten Ebene. Es sei nicht mehr als ein Schnappschuss einer dynamischen Struktur.

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