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News: Erste Schritte gegen Lähmung

Im Laufe der Evolution mußte das Gehirn der Säugetiere vor dem eigenen Immunsystem geschützt werden, was dazu führte, daß bei dieser Tiergruppe zerstörte Zellen des zentralen Nervensystems nicht wieder nachwachsen können. Im Laborversuch an Ratten konnten Wisseschaftler diese Sicherung umgehen. Zuvor gelähmte Tiere vermochten nach Zugabe bestimmter Immunzellen wieder ihre Beine bewegen und sich teilweise sogar hinstellen. Doch für Hoffnungen auf Heilung von gelähmten Menschen ist es noch zu früh.
In einer Studie des Weizmann-Instituts, über welche die Juliausgabe von Nature Medicine berichtet, gelang Wissenschaftlern die beschränkte Heilung beschädigten Rückenmarks bei Labortieren. Ein Team unter der Leitung von Prof. Michal Schwartz von der Abteilung Neurobiologie erreichte mit einer neuartigen Behandlungsmethode, daß Ratten die Bewegungsfunktionen ihrer Hinterbeine teilweise wiedererlangten, die durch Rückenmarksverletzung gelähmt waren. "Die Ergebnisse unserer Versuche ist vielversprechend," sagt Prof. Schwartz. "Im Moment sind sie jedoch erst bei Ratten eingetreten, und eine Menge zusätzlicher Forschung ist noch erforderlich, bevor die neue Behandlung beim Menschen möglich sein wird."

Schon seit langem weiß man, daß "niedere" Wirbeltiere wie zum Beispiel Fische verletztes Gewebe im zentralen Nervensystem – im Gehirn und im Rückenmark – wiederherstellen und verlorene Funktionen wiedererlangen können. Im Gegensatz dazu heilen bei Säugetieren, d.h. auch beim Menschen, nur Verletzungen im peripheren Nervensystem, während Gehirn- oder Rückenmarksverletzungen dauerhafte Lähmung oder andere Behinderungen hervorrufen.

Der neue Ansatz basiert auf der Theorie von Schwartz, nach welcher der Verlust der Reparaturfähigkeit in Lauf der Evolution aufgrund der einzigartigen Beziehung zwischen zentralem Nervensystem und Immunsystem auftrat. Genauer gesagt, so glaubt Schwartz, wurde dieser Verlust wahrscheinlich notwendig, um das Gehirn der Säugetiere von den Auswirkungen des Immunsystems zu schützen: Während Immunzellen normalerweise helfen, beschädigtes Gewebe zu heilen, würde ihr Zugang zum Gehirn die komplexen, dynamischen Vernetzungen zwischen Nervenzellen stören, die sich im Laufe des Lebens bilden.

Bei einer Verletzung des Gewebes sammeln sich normalerweise Immunzellen – sogenannte Makrophagen – an der verletzten Stelle, entfernen beschädigte Zellen und setzen Stoffe frei, die den Heilungsprozess anregen. Das zentrale Nervensystem von Säugetieren ist in dieser Hinsicht anders: Wenn es verletzt wird, hilft ihm das Immunsystem nicht sonderlich. Wie das Team von Prof. Schwartz herausfand, liegt der Grund dafür in einer Unterdrückung der Makrophagen durch einen Mechanismus des zentralen Nervensystems der Säugetiere. Deshalb werden Makrophagen bei Verletzungen des Zentralnervensystems nur in geringer Menge rekrutiert, und die wenigen, die zur verletzten Stelle gelangen, werden nicht optimal "aktiviert" und wirksam.

Diese Erkenntnisse führten zu einer Reihe von Experimenten mit Ratten, in deren Verlauf es den Forschern gelang, die beschränkte Fähigkeit des zentralen Nervensystems zur Rekrutierung und Aktivierung von Makrophagen zu überwinden. Sie isolierten Makrophagen und inkubierten sie in einem Reagenzglas gemeinsam mit einem verletzten Periphernerv. Die Makrophagen, die die Notsignale des verletzten Nervs erhielten, wurden aktiviert. In dieser Phase übertrugen die Forscher die aktivierten Makrophagen an die verletzte Stelle des Zentralnervensystems der gelähmten Ratte. Die transplantierten Makrophagen erzeugten eine wachstumsfördernde Umgebung rund um das beschädigte Gewebe. Als Ergebnis der Behandlung konnten die Ratten ihre motorische Aktivität in den zuvor gelähmten Beinen teilweise wiedererlangen. Sie konnten ihre Hinterbeine bewegen und einige Tiere konnten sie sogar mit dem Eigengewicht belasten.

Ein wichtiger innovativer Aspekt solch einer Behandlung liegt in der Förderung der Selbstheilungsmechanismen der Tiere. Die neue Behandlung bietet die Möglichkeit, die eigenen Zellen der Tiere für diesen Zweck zu verwenden. Weitere Forschung ist notwendig, um herauszufinden, ob dieser Ansatz auch bei "höheren" Tieren wie zum Beispiel Menschen funktioniert.

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