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Neutronenstern: Erster schneller Radioblitz in der Milchstraße entdeckt

Schnelle Radioblitze sind noch immer rätselhaft. Nun haben Astronomen den bislang nächsten aufgespürt. Ursprung soll der Magnetar SGR 1935+2154 sein.
Die Illustration zeigt ein energiereiches Ereignis im Weltraum.

Ende April hat ein Neutronenstern in der Milchstraße für den Bruchteil einer Sekunde plötzlich Energie ausgesendet. Nun sagen Wissenschaftler, dieser seltsame Ausbruch könnte helfen, eines der größten Rätsel der Astronomie zu erklären: Was treibt die Hunderte von anderen mysteriösen schnellen Radioblitze (Fast Radio Bursts, kurz FRBs) an, die viel weiter entfernt im Universum gesichtet wurden?

Der Stern, bekannt als SGR 1935+2154, ist ein Magnetar – eine dichte, sich drehende Glut, die nach einer Supernova zurückblieb und in intensive Magnetfelder eingehüllt wurde. Viele Astronomen glauben, dass Fast Radio Bursts – kurze, aber kräftige kosmische Blitze, die nur für Millisekunden aufflackern – von Magnetaren stammen, konnten den Zusammenhang aber bisher nicht aufzeigen.

Die Entdeckung sei nicht der endgültige Beweis dafür, dass schnelle Radioblitze von Magnetaren kommen, sagt Emily Petroff, eine Astronomin an der Universität Amsterdam in den Niederlanden. »Aber es ist bei Weitem der vielversprechendste Beweis, den wir gefunden haben.«

Es ist der erste Burst, den Astronomen in der Milchstraße entdeckt haben. Entsprechend viele vorläufige Studien haben Autorenteams in den vergangenen Tagen auf dem Preprint-Server arXiv online gestellt.

Der bis dahin nächste bekannte schnelle Radioimpuls hatte sich etwa 150 Millionen Parsec (490 Millionen Lichtjahre) von der Erde entfernt ereignet. Dieser Magnetar ist in unserer Galaxie nur 10 000 Parsec entfernt und damit nahe genug, um Astronomen eine großartige Show zu bieten. »Hier ist etwas, das der wahnsinnigen Intensität kosmischer FRBs nahekommt, aber nicht so weit weg geschieht«, sagt Sarah Burke Spolaor, eine Astronomin an der West Virginia University in Morgantown. »Es ist eine fantastische Gelegenheit, etwas über mindestens eine der Quellen zu erfahren, die FRBs verursachen könnten.«

Gleich zwei Teleskope erspähten den riesigen Radioblitz

Die Show begann am 27. April, als Satelliten, darunter das Neil Gehrels Swift Observatory der NASA, γ-Strahlen von SGR 1935+2154 entdeckten. Der Stern ist einer von etwa 30 bekannten Magnetaren in der Milchstraße; diese durchlaufen gelegentlich Aktivitätsschübe, bei denen sie Strahlung unterschiedlicher Wellenlängen aussenden. Am folgenden Tag bemerkte das Radioteleskop CHIME (Canadian Hydrogen Intensity Mapping Experiment) in Penticton, Kanada, einen riesigen Radioblitz, der seitlich seines Sichtfelds auftrat – von der Stelle am Himmel, an der der Magnetar lag.

Das CHIME-Team hatte gehofft, die Funkemissionen von SGR 1935+2154 auffangen zu können. Sie erwarteten schwache Funkimpulse. Stattdessen »bekamen wir etwas viel Spannenderes«, sagt Paul Scholz, ein Astronom an der University of Toronto, der die Analyse geleitet hat.

Ein zweites Forschungsteam hatte noch mehr Glück, weil es den intensiven Ausbruch voll und ganz mitbekam. Das STARE2-Radioteleskop besteht aus Low-Tech-Antennen an zwei Standorten in Kalifornien und einem in Utah. Die STARE2-Astronomen beobachten seit dem Jahr 2019 den Himmel in der Hoffnung, etwas aufzufangen, das einem schnellen Radioimpuls in der Milchstraße ähnelt. Am 28. April ist genau das gelungen, man stieß auf denselben Funkimpuls, den CHIME gesehen hat. »Ich war so aufgeregt, dass ich ein wenig Zeit brauchte, um die Daten zu öffnen und sicherzustellen, dass sie echt sind«, sagt Chris Bochenek, ein Doktorand am California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena, der an STARE2 arbeitet. »Chris hat uns eine Nachricht über Slack geschickt, und es wurden ziemlich unwiederholbare Dinge gesagt«, sagt Vikram Ravi, ein Astronom am Caltech.

Eine mögliche Ursache ist ein »Sternbeben«

Der Radioblitz ist bei Weitem der hellste, der je von einem Magnetar in der Milchstraße aus gesehen wurde, und könnte Hinweise darauf geben, was schnelle Radioausbrüche verursacht, die anderswo im Universum zu sehen sind.

Da sich Magnetare schnell drehen und starke Magnetfelder haben, verfügen sie über riesige Energiereservoirs. Diese können Ausbrüche erzeugen. Eine Theorie über mögliche Quellen ist, dass etwas im Inneren des Magnetars passiert. Ein »Sternbeben«, analog zu einem Erdbeben, könnte seine Oberfläche aufbrechen und Energie freisetzen. Eine andere Möglichkeit ist, dass die stark magnetisierte Umgebung um den Magnetar den Ausbruch irgendwie erzeugt.

Astronomen könnten diese Möglichkeiten eingrenzen, indem sie sowohl den Radio-Burst von SGR 1935+2154 als auch Bursts in anderen Wellenlängen des Lichts, die gleichzeitig auftraten, untersuchen, sagt Laura Spitler, eine Astronomin am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn, Deutschland. Mehrere Satelliten entdeckten Röntgenausbrüche vom Magnetar etwa zur gleichen Zeit wie die Radioemission. Es ist das erste Mal, dass Astronomen diese Signale in anderen Wellenlängen entdeckt haben; sie zu sehen, war nur möglich, weil der Magnetar so nahe an der Erde ist.

Trotzdem bleibt einiges rätselhaft. Zum einen war der Ausbruch vom 28. April etwa 1000-mal weniger energiereich als schnelle Radioausbrüche, die in fernen Galaxien beobachtet wurden. Und einige entfernte Ausbrüche wiederholen sich in Intervallen, die nicht leicht als von einem Magnetar kommend erklärt werden können. Vielleicht kommen einige, aber nicht alle schnellen Funkausbrüche von Magnetaren, sagt Petroff.

Die Astronomen wollen nach wie vor so viele Beispiele von schnellen Radioimpulsen sammeln, wie sie können, sowohl in der Nähe als auch in der Ferne. »Jeder dient als eine Art Hintergrundbeleuchtung, die das gesamte Material zwischen uns und der Quelle durchleuchtet«, sagt Jason Hessels, ein Astronom an der Universität Amsterdam. Wissenschaftler haben vor Kurzem damit begonnen, diese Informationen zu nutzen, um die Verteilung der Materie im Universum zu kartieren.

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