Direkt zum Inhalt

News: Erstes kindliches Versteckspiel

Hat sich ein Embryo in der Gebärmutter eingenistet, fühlt er sich dort meist sicher und geborgen. Warum stößt das weibliche Immunsystem ihn eigentlich nicht ab? Schließlich ist das Erbmaterial zur Hälfte vom Vater und damit fremd.
Ist das weibliche Immunsystem nicht richtig auf Trab, wenn es den kleinen Embryo in der Gebärmutter gewähren lässt? Schließlich trägt der am Anfang bohnenförmige Winzling zur Hälfte fremdes – nämlich väterliches – Erbgut und müsste deshalb eigentlich angegriffen werden.

Zum Glück hat sich Mutter Natur hier eine schlaue Lösung einfallen lassen. Welche, das haben Edward Schmidt von der Montana State University in Bozeman und Mario Capecchi von der University of Utah in Salt Lake City eher aus Versehen entdeckt. Anfänglich interessierten sich die Molekulargenetiker weniger für Embryonalentwicklung per se, sondern mehr für eine kritische Funktion der genetischen Replikationsmaschinerie.

Soll das sicher im Zellkern deponierte Genmaterial zur Herstellung von Proteinen herangezogen werden, muss die Zelle zuerst eine orginalgetreue Kopie der DNA anfertigen – die transportable RNA. Das genaue Ablesen und Übersetzen der genetischen Information in RNA gelingt der Zelle in einem hochkomplizierten Prozess, der so genannten Transkription. Damit das hierfür benötigte Enzym an der richtigen Startstelle an den DNA-Strang andockt, muss dort bereits ein Transkriptionsfaktor – das TATA-Bindungsprotein (TBP) – sitzen und die RNA-Polymerase darüber anlocken.

Als so gut erwies sich das erdachte Prinzip, dass sich fast jeder Organismus diesen Mechanismus benutzt. Doch identisch in allen Spezies ist nur eine Kernregion des TATA-Bindungsproteins. Der übrige Proteinteil, N-Terminus genannt, variiert zwischen den unterschiedlichen Arten, und bislang hatten die Wissenschaftler keine Vorstellung, warum dem so ist.

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, kreierten Schmidt und Capecchi einen Mausstamm, dessen Kernregion des TBP zwar völlig intakt war, aber bei dem der N-Terminus radikal verändert worden war. Überraschenderweise erblickten nur sehr wenige Mäusenachkommen das Licht der Welt. 91 Prozent der mutierten Embryonen starben ohne erkennbaren Grund in der Mitte der Schwangerschaft. "An einem Tag waren die Embryonen am Leben und wohlgeraten, am nächsten Tag waren sie tot", beschrieb Schmidt die seltsame Beobachtung.

Ein anderes Experiment enthüllte, dass das Problem an der versorgenden Plazenta lag, die zum Teil von der Mutter, zum Teil aber auch von dem Embryo gebildet wird. Denn hefteten die Wissenschaftler die Embryonen stattdessen an normale Plazenten, entwickelten sich die Mäusebabies lehrbuchgemäß, und alle Winzlinge überlebten. Dies legt den Schluss nahe, dass das mütterliche Immunsystem irgendwie die fehlerhafte Plazenta der N-Terminus-Mutanten angriff und so für die Schwangerschaftsabbrüche sorgte. Denn als die Wissenschaftler daraufhin das weibliche Immunsystem unterdrückten, überlebten die mutierten Mäuse auch hier und kamen gesund zur Welt.

Und somit scheint klar zu sein: Damit sich ein in der Gebärmutter eingenisteter Parasit vor dem mütterlichen Immunsystem verstecken kann, braucht es die normale Funktion der N-terminalen Region des TATA-Bindungsproteins. Eine sehr erstaunliche Entdeckung, dass der Mechanismus trotz extrem begrenzter Anwendung solch einen grundsätzlichen Part in der Genmaschinerie einnimmt. Denn wie Robert Tjian von der der University of California in Berkeley betont, nimmt die Evolution schließlich oft seltsame Wege, um ans Ziel zu gelangen.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.