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Stammzellforschung: Erstmals Miniorgane aus Fruchtwasserzellen im Labor hergestellt

Während einer Schwangerschaft treiben im Fruchtwasser der Mutter auch Zellen des Fötus. Aus diesen Zellen haben Forschende nun erstmals Organoide erzeugt, die den Organen des ungeborenen Kindes funktional ähneln. Das eröffnet neue Therapieansätze.
Eine werdende Mutter hält ein Ultraschallbild in der Hand
Im Fruchtwasser der Mutter befinden sich etliche Zellen, die vom Fötus stammen. Aus ihnen lassen sich im Labor Gendefekte ermitteln – oder neuerdings auch winzige Organkopien erzeugen.

Es klingt ein wenig nach Sciencefiction: Aus Zellen, die während einer Schwangerschaft im Fruchtwasser der Mutter treiben, lassen sich winzige organähnliche, mehrzellige Strukturen züchten. Das berichten Forschende aus London im Magazin »Nature Medicine«. Diese so genannten Organoide weisen demnach ähnliche Merkmale wie die Organe des heranwachsenden Kindes auf. Sie könnten dabei helfen, die Entwicklung von Organen während der Schwangerschaft zu verstehen und die Erforschung von angeborenen Krankheiten zu unterstützen, schreiben die Forschenden in ihrem Fachartikel.

Es ist bekannt, dass sich im Fruchtwasser etliche Zellen befinden, die vom Fötus stammen. Das wird bereits standardmäßig für diverse vorgeburtliche Untersuchungen genutzt, etwa zur frühzeitigen Diagnose des Downsyndroms. Mediziner entnehmen die Zellen mittels einer dünnen Hohlnadel, die durch die Bauchdecke der Mutter in die Fruchtblase gestochen wird. Der Vorgang dauert nur knapp eine Minute und ist für die Mutter schmerzarm. Um Verletzungen des Fötus zu vermeiden, wird das Vorgehen durch einen begleitenden Ultraschall kontrolliert. Auch die Herstellung von Organoiden ist bereits bewährt; viele Labore weltweit praktizieren entsprechende Methoden. Bislang jedoch werden die winzigen Organstrukturen aus künstlich umprogrammierten Körperzellen gezüchtet. Neu ist die Kombination der beiden Verfahren.

Mattia Gerli, Paolo De Coppi und Kollegen analysierten die Epithelzellen aus dem Fruchtwasser von insgesamt 12 Schwangerschaften zwischen der 16. und 34. Woche. In einem ersten Schritt trennte das Team die lebenden von den abgestorbenen Zellen. Anschließend sequenzierte und charakterisierte es die lebenden Zellen mit Hilfe von Einzelzellanalysen. Auf diese Weise gewannen die Fachleute fetale gewebespezifische Stammzellen der obersten Zellschicht des Magen-Darm-Trakts, der Nieren und der Lunge. In einem weiteren Schritt ließen sie diese Vorläuferzellen in 3-D-Kulturen zu Organoiden heranwachsen, die nachweisbar funktionelle Merkmale ihres Ursprungsgewebes aufwiesen.

»Dreidimensionale Organoide haben eine große physikalische, molekulare und physiologische Ähnlichkeit zu dem Organ, welches sie abbilden«Mandy Laube, Biologin

Die neue Methode sei ein »innovativer Ansatz, um menschliche gewebespezifische Organoide« zu erhalten, sagte Agnieszka Rybak-Wolf, Forscherin am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, gegenüber dem »Science Media Center« (SMC). »Aus Fruchtwasser gewonnene primäre Organoide haben ein großes Potenzial für die Grundlagenforschung und die medizinische Forschung, da sie ein vielseitiges Instrument für die Beantwortung einer Vielzahl von Forschungsfragen in der Entwicklungsbiologie, der Krankheitsmodellierung, der Arzneimittelentdeckung, der personalisierten Medizin und der regenerativen Medizin darstellen.« Für eine seltene angeborene Fehlbildung, den Zwerchfellbruch, sei der mögliche Nutzen in der Arbeit bereits »sehr schön illustriert« worden. Die Erforschung solcher Lungenorganoide könnte zu Therapieoptionen führen und außerdem »bei der Beantwortung der Frage helfen, wie man funktionelle Gewebe beziehungsweise Organe für die Transplantation züchtet«, sagte Rybak-Wolf.

Mandy Laube, Laborleiterin in der Neonatologie am Universitätsklinikum Leipzig, betonte zudem, das Potenzial von Organoiden für die Forschung gehe deutlich über die herkömmlich genutzten zweidimensionalen Zellkulturen hinaus. »Dreidimensionale Organoide haben eine weit höhere physikalische, molekulare und physiologische Ähnlichkeit zu dem Organ, welches sie abbilden«, sagte sie dem SMC. Die in der Arbeit erzeugten Organoide eigneten sich im Besonderen für den Einsatz in der personalisierten Medizin. »So können maßgeschneiderte Therapieansätze für den ›Spender‹ entwickelt und individuelle Krankheitsursachen eruiert werden.« Dass die daraus gewonnenen Erkenntnisse bereits vor der Geburt therapeutisch eingesetzt werden, sei zunächst allerdings nicht zu erwarten, lautet das übereinstimmende Fazit der befragten Experten.

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