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Quantenmechanik: Ertappt!

Wir müssen einen Berg erklimmen, um ihn zu überwinden - in der Quantenphysik geht das auch anders: Objekte können auf die andere Seite eines Hügels gelangen, indem sie ihn einfach durchtunneln, anstatt mühsam darüber zu klettern. Ein internationales Forscherteam hat nun erstmals Elektronen bei diesem Tunnelprozess beobachtet.
Tunneleffekt
So wie die Schwerkraft einen Körper auf dem Boden eines Tals zur Ruhe kommen lässt, so halten die Kernkraft, die Protonen und Neutronen zum Atomkern zusammenbindet, und die elektrische Kraft, die die negativ geladenen Elektronen mit dem positiv geladen Atomkern zu einem Atom zusammenfügt, diese Teilchen innerhalb eines winzig kleinen Raumes fest. Dieser Bindungseffekt lässt sich ebenfalls durch eine Art Tal darstellen, das die Physiker auch Potenzial nennen.

Tunneleffekt | Zwei Möglichkeiten, einen Berg zu überwinden: In der klassischen Physik muss man den Berg besteigen, um auf die andere Seite zu gelangen. In der Quantenphysik geht das jedoch auch anders: Objekte können den Berg einfach waagerecht durchqueren – sie tunneln.
In der Welt der Quantenteilchen gehört es aber gewissermaßen zur Tagesordnung, den Wall, der den Potenzialtopf umgibt, zu überwinden – aber nicht oben über die "Kante", sondern quasi mit dem Kopf durch die Wand. Und ein internationales Forscherteam um Ferenc Krausz vom Max-Planck-Institut für Quantenoptikhat hat nun Elektronen genau dabei ertappt: wie sie unter dem Einfluss von Laserlicht durch das Bindungspotenzial des Atomkerns tunneln. Dafür nutzten die Physiker die neuen Werkzeuge der Attosekundenmetrologie. "Unser Ergebnis bestätigt zum ersten Mal in einer Echtzeitbeobachtung die theoretischen Vorhersagen der Quantenmechanik", sagt Krausz.

Zu kurz, um gesehen zu werden

Der Tunnel-Effekt lässt sich aus dem Wellencharakter jedes Teilchens erklären. Makroskopische Objekte besitzen allerdings eine extrem geringe Tunnelwahrscheinlichkeit, weshalb dieses Phänomen hier noch nie beobachtet worden ist. Im Gegensatz dazu können die Teilchen des Mikrokosmos mit einer durchaus bedeutenden Wahrscheinlichkeit durch Gebiete tunneln, in denen sie sich nach den Gesetzen der klassischen Physik gar nicht aufhalten dürften. Der Tunnelprozess wird für so verschiedene Prozesse wie den Zerfall von Atomkernen oder den Schaltvorgang in elektronischen Bauelementen verantwortlich gemacht. Da er aber nur extrem kurze Zeit dauert, ist er bislang noch nie in Echtzeit beobachtet worden.

Krausz und seine Mitarbeiter haben ihn jetzt mit Hilfe zweier Lichtpulse live verfolgt: einem intensiven Puls aus nur wenigen Wellenzügen roten Laserlichts, und einem Attosekunden-Puls im extremem Ultravioletten, der mit dem roten Puls perfekt synchronisiert ist. Das elektrische Feld der Laserpulse übt periodisch starke Kräfte auf die Elektronen aus: Zu den Zeiten maximaler Stärke drückt die Lichtkraft den Potenzialwall nach unten. Für einen kurzen Augenblick um den Höhepunkt des Wellenbergs herum hat das Elektron die Chance, die Barriere zu durchdringen und dem Atom zu entkommen. Diese Möglichkeit besteht ausschließlich bei den Wellenbergen, das heißt nur in einem extrem kurzen Zeitintervall von einem Bruchteil einer Femtosekunde, einer trillionsten Sekunde.

Wirkung des Laserpulses | Das elektrische Feld des Laserpulses übt eine starke Kraft auf ein am Rande des Atoms befindliches Elektron (grüne Wolke um den Atomkern) aus. Diese Kraft ändert sich mit der Zeit. In nur etwa einer Femtosekunde, einer trillionstel Sekunde, wechselt sie ihre Richtung – zum Zeitpunkt t1 wirkt sie mit maximaler Stärke nach rechts, zum Zeitpunkt t2 mit maximaler Stärke nach links, und nach einer weiteren Femtosekunde, zum Zeitpunkt t3, wieder nach rechts.
Kein Instrument kann den Tunnel-Vorgang direkt auflösen. Nachweisen lassen sich nur die Endprodukte, das heißt die Atome, die im Anschluss an den Laserpuls in ein Elektron und ein positiv geladenes Ion zerfallen sind. Die Forscher mussten sich daher eines Tricks bedienen, indem sie als Untersuchungsobjekte Neonatome verwendeten. Hier befinden sich die Elektronen in abgeschlossenen Schalen, sind daher besonders fest gebunden und widersetzen sich den Bestrebungen des Laserpulses, sie aus dem Atom zu lösen. Nur Elektronen, die von einem Attosekunden-UV-Blitz getroffen werden, gelangen an die Peripherie des Atoms und können sich durch Tunneln aus dem Atom befreien. Daher können die Physiker nur Neonatome, die sie zuerst mit einem solchen Blitz präparieren, später mit einem roten Laserpuls ionisieren.

Gezieltes Elektronenschubsen

"Mit einem nur 250 Attosekunden dauernden UV-Puls, der zeitlich genau mit dem roten Laserpuls synchronisiert war, haben wir ein Elektron zu jedem beliebigen Zeitpunkt innerhalb der Laserwelle mit Attosekundenpräzision an die Peripherie befördert", erklärt Krausz. Die Forscher verschoben diesen Zeitpunkt, Schritt für Schritt, und maßen dabei die Zahl der Atome, die vom Laser ionisiert wurden. Auf diese Weise konnten sie den zeitlichen Verlauf des Ionisierungsprozesses rekonstruieren.

Wie von der Theorie vorhergesagt, verließen die Elektronen die Atome in der unmittelbaren Nähe der intensivsten Wellenberge, wie sich an diskreten, mit den Wellenbergen zusammenfallenden Ionisationsstufen erkennen lässt. Auf diesen Stufen verweilen die Elektronen weniger als 400 Attosekunden: Innerhalb einer derart kurzen Zeit werden die Elektronen durch die Lichtkraft aus den Atomen freigesetzt.

Elektronenfreisetzung | Jedes Mal, wenn ein Wellenberg auf das Atom trifft, wächst die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Elektron freigesetzt wird, stufenweise innerhalb von einigen 100 Attosekunden an. Dieses von der Theorie vorhergesagte Phänomen hat sich über mehr als vier Jahrzehnte der direkten Beobachtung entzogen – einem internationalen Wissenschaftlerteam gelang jetzt erstmals der Nachweis.
"Die Experimente gewähren nicht nur zum ersten Mal einen Einblick in die Dynamik des Elektronen-Tunnelns", sagt Krausz: "Wir haben zudem gezeigt, dass sich die Bewegung von Elektronen in Atomen oder Molekülen mit Hilfe des Laserfeld-induzierten Tunnelns in Echtzeit beobachten lässt." Auf der Basis dieser Erkenntnis und der so ermöglichten Kontrolle über die inneratomare Elektronenbewegung können Wissenschaftler in der Zukunft erforschen, wie sich die Grenzen der Mikroelektronik verschieben lassen, oder kompakte brillante Röntgenquellen entwickeln. Diese werden ihrerseits Fortschritte bei der Abbildung biologischer Objekte und der Strahlentherapie ermöglichen.

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