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Chronobiologie: Essenszeit!

Was haben die Robben im Zoo und nachts essende, adipöse Menschen gemeinsam? Die Essenszeit bestimmt ihr Verhalten.
Die Robbenfütterung im Heidelberger Zoo ist einen Besuch wert: Die Meeressäuger warten mit immer neuen, zirkusreifen Kunststücken auf, für die sie mit leckerem Fisch entlohnt werden. Nicht nur die großen und kleinen Besucher kennen die Uhrzeit, um die das Spektakel beginnt und suchen sich rechtzeitig ein gutes Plätzchen am Beckenrand. Auch die Robben wissen ganz genau, wann ihre große Stunde gekommen ist. Mindestens eine halbe Stunde vor Beginn der Show schwimmen sie aufgeregt durchs Becken und sehen erwartungsvoll in die Richtung, aus der der Wärter kommen wird.

Der Lebensrhythmus und die Nahrungsaufnahme hängen eben eng zusammen, so eng sogar, dass die Essenszeit Gene einer inneren Uhr an- und abschaltet, wie Masashi Yanagisawa vom Howard Hughes Medical Institute der Universität von Texas und sein Team nun herausfanden. Die Arbeitsgruppe suchte nach dem Zeitgeber, der das Fressverhalten von Mäusen dirigiert. Eine übergeordnete innere Uhr im suprachiasmatischen Nukleus im vorderen Hypothalamus steuert den normalen Lebensrhythmus der Nager – wie bei allen Säugetieren. Diese biologische Uhr wird über das Tageslicht justiert und koordiniert mehrere untergeordnete Taktgeber des Körpers.

Bekommen Tiere aber regelmäßig zu einer bestimmten Uhrzeit Futter serviert, zeigen sie – wie die eingangs erwähnten Zoo-Robben – bereits kurz vor der Fütterungszeit ein deutliches Nahrungssuchverhalten. Das tun sie aber auch, wenn ihre übergeordnete innere Uhr im suprachiasmatischen Nukleus ausgeschaltet wurde – es muss also ein von diesem Taktgeber unabhängigen Zeitgeber für die Nahrungssuche existieren. Doch wo verbirgt sich dieser?

"Irgendwo in ihrem Körper erinnerten sie sich an diese Zeit"
(Masashi Yanagisawa)
Um diesen Taktgeber aufzuspüren, gab die Arbeitsgruppe von Yanagisawa Mäusen, die in einem geregelten Tagesablauf mit zwölf Stunden Tageslicht lebten, einmal in 24 Stunden innerhalb eines Zeitraums von vier Stunden Futter – aber nicht in der Nacht, wie es dem natürlichen Verhalten der Nager entspräche, sondern mitten am helllichten Tag. Die Mäuse reagierten wie erwartet: Neun Tage nach Einführung der ungewöhnlichen Fütterungszeit wurden sie, obwohl sie um diese Uhrzeit eigentlich tief und fest schlafen sollten, zwei Stunden bevor das Essens serviert wurde, nervös und rannten aufgeregt herum. Sie machten sich selbst dann noch auf die Nahrungssuche, wenn es zur üblichen Zeit schon seit zwei Tagen nichts mehr zu essen gegeben hatte. Die Tiere hatten sich also ganz eindeutig auf die Essenszeiten eingestellt. "Irgendwo in ihrem Körper erinnerten sie sich an diese Zeit", sagt Masashi Yanagisawa.

Nun suchten die Wissenschaftler im Hirn der Tiere nach den Bereichen, die dieses Verhalten dirigierten. Dazu schnitten sie die Gehirne ihrere Mäuse zu verschiedenen Zeitpunkten nach der Umstellung der Fütterungszeit in feine Scheibchen und analysierten die Aktivität der Gene für das Protein Period (kurz per), das an der Regulation der inneren Uhren entscheidend beteiligt ist.

Im suprachiasmatischen Nukleus tat sich durch die ungewöhnlichen Essenszeiten nichts Besonderes. In einem anderen Hirnbereich hingegen, im dorsomedialen hypothalamischen Nukleus, wurden auf einmal die per-Gene aktiv, selbst wenn es zu diesem Zeitpunkt schon seit zwei Tagen kein Futter mehr gegeben hatte. Dieser Hirnbereich koordiniert die Information aus dem suprachiasmatischen Nukleus über die Tageszeit mit verschiedenen Verhaltensweisen und physiologischen Vorgängen.

Yanagisawa und sein Team waren also im dorsomedialen hypothalamischen Nukleus auf einen Zeitgeber gestoßen, der durch die Essenszeiten justiert wird und der seinerseits wiederum das Verhalten der Mäuse beeinflusst.

Fettleibige Menschen legen oftmals ein nächtliches Mahl ein – möglicherweise ist bei ihnen, wie bei den Mäusen dieses Experiments, die durch die Essenszeit gesteuerte innere Uhr aus dem Takt geraten und dadurch auch nicht mehr mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus synchronisiert. In diesem Fall wäre der Mitternachtssnack nicht nur eine Gewohnheit, sondern geradezu die Reaktion auf eine Erwartungshaltung des Gehirns – das würde es natürlich gewaltig erschweren, darauf zu verzichten.

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