Direkt zum Inhalt

Nanogefahren: Europäischer Eiertanz ums Nanosilber

Eine Tonne Nanosilber stecken deutsche Firmen jährlich in ihre Produkte - Gefahrenpotenzial unklar. Doch statt den Einsatz des lukrativen Materials zu regulieren, spielt die EU offenbar auf Zeit.
Laboruntersuchung

Steffen Foss Hansen und Anders Baun finden, es reicht. "Genug ist genug", überschreiben die beiden Wissenschaftler von der Technischen Universität Dänemarks in Kopenhagen ihren Kommentar im Fachmagazin "Nature Nanotechnology": Es gebe inzwischen ausreichend Übersichtsarbeiten zur Wirkung von Nanosilber auf Mensch und Umwelt. Die Fakten lägen auf dem Tisch. Jetzt solle die Europäische Kommission endlich zur Tat schreiten und den Einsatz von Nanosilber in Konsumprodukten regulieren.

Auslöser ihres Protests ist ein Auftrag der EU- Kommission, der letzten Dezember an die wissenschaftliche Beratergruppe "Neu auftretende und neu identifizierte Gesundheitsrisiken" (SCENIHR) erging. Sie möge eine neue Rundumschau über den Wissensstand in der Nanosilber-Risikoforschung anfertigen, hieß es darin.

In der Rechnung der beiden Dänen wäre dies Nummer 19 von bereits 18 existierenden Reviews. Neue Erkenntnisse dürften dabei nicht herausspringen, prophezeien Hansen und Baun in ihrem Kommentar: Alle bisherigen Arbeiten hätten die gleichen Studien zitiert, die gleichen Probleme aufgeworfen und identische Wissenslücken offenbart. Ihre brisante Schlussfolgerung: Die Kommission scheue den Konflikt mit Gegnern einer Nanosilber-Regulierung und kaufe sich mit dem aus ihrer Sicht überflüssigen SCENIHR-Gutachten nur Zeit.

Der Druck, Nanosilber zu reglementieren, wächst mit dessen Verbreitung in Verbraucherprodukten. Hersteller zielen mit dem antimikrobiell wirkenden Edelmetall auf das Hygienebedürfnis vieler Verbraucher. Beispielsweise töten in Textilfasern eingebundene Silbernanopartikel geruchsbildende Bakterien. Neben Nanosilber-Polohemden, -Unterhosen und -Socken gibt es laut einer Datenbank des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) mit Nanosilber gefüllte Bettdecken, Nanosilber-Fassadenfarben, Nanosilber-Geschirrspülmittel und vieles mehr. Mehr als 300 Produkte mit Nanosilber listet die Produktdatenbank des Woodrow Wilson International Center for Scholars, vor sechs Jahren waren es noch weit unter 100. Demnach sind Nanopartikel aus Silber inzwischen das am weitesten verbreitete Nanomaterial in Verbraucherprodukten überhaupt. Laut Schätzungen wird in Deutschland jedes Jahr etwa eine Tonne Nanosilber als antimikrobielles Mittel eingesetzt.

Gefürchtete Kreuzresistenz

Die größte Sorge, die dieser Boom bei Forschern, Verbraucher- und Umweltschützern sowie bei Behörden wie dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auslöst: Für den Menschen gefährliche Bakterien könnten durch die Allgegenwart von Nanosilber resistent gegen das Edelmetall und, darüber hinaus, gegen einige Antibiotika werden. Somit fiele Silber, und womöglich weitere antimikrobielle Mittel, als Waffe gegen krank machende Keime im medizinischen Bereich weg, etwa bei Brandwundverbänden. Aus diesem und weiteren Gründen hat das BfR Ende 2009 die Hersteller aufgefordert, auf Nanosilber in Lebensmitteln und Verbraucherprodukten zu verzichten, bis eine abschließende Risikobewertung vorliege.

Allerdings basiert diese Forderung auf einer sehr lückenhaften Datenbasis – welche Effekte die winzigen Silberteilchen unter natürlichen Bedingungen haben, ist schwer zu erforschen. Für die befürchtete Resistenzbildung etwa gibt es derzeit lediglich Hinweise: So traten beispielsweise resistente Keime in der Mundflora von Patienten mit silberhaltigen Amalgamfüllungen auf.

"Die entsprechenden Untersuchungen sind noch lange nicht so weit, dass sie eine schlüssige Risikoabschätzung zulassen."Wolfgang Kreyling

Des Weiteren befindet sich bei einigen Mikroorganismen die genetische Information für den Resistenzeffekt auf kleinen ringförmigen DNA-Abschnitten (so genannten Plasmiden), die gleichzeitig die Gene für Antibiotikaresistenzen tragen. Dies weist auf die gefürchtete Multiresistenz hin, bei der die Unempfindlichkeit gegen Nanosilber mit der gegen Antibiotika einhergehen könnte. Zudem wandern Plasmide leicht von Bakterium zu Bakterium und könnten die Resistenzinformation verbreiten.

Ob diese Befunde allerdings tatsächlich ein relevantes Risiko darstellen, muss erst noch erforscht werden. "Eine entscheidende, aber vollkommen ungeklärte Frage ist, ob eventuell existierende resistente Keime nicht nur im Labor, sondern auch in der Umwelt überleben können", sagt etwa Bernd Nowack von der Schweizer EMPA in St. Gallen. Auch das BfR sieht noch "dringenden Forschungsbedarf", um das Risiko einer Resistenzausbreitung bewerten zu können.

Ist klein giftiger als groß?

Zudem ist noch unklar, ob die geringe Größe von Silbernanopartikeln eine Rolle für ihre Toxizität für Mensch und Umwelt spielt, also die Frage, ob klein giftiger ist als groß (als Nanopartikel gelten Körnchen von weniger als 100 Nanometer Durchmesser). Erstens hat nämlich ein Gramm Nanosilber eine vielfach größere Oberfläche als ein Gramm Silberpartikel mit 1000 Nanometern Durchmesser. Daher gibt Nanosilber viel mehr Silberionen pro Zeiteinheit ab als herkömmliches Silber und wirkt dadurch intensiver. Zweitens können Silbernanopartikel potenziell über den Verdauungstrakt, über die Lunge und eventuell auch durch die Haut in den Körper und weiter in die Zellen gelangen. Weil Nanosilberpartikel in Zellen ein Depot darstellten, die kontinuierlich Silberionen abgeben, sei eine andere toxikologische Wirkung zu erwarten als bei anderen Silberformen, schreibt das BfR.

Wie die Partikel sich aber wirklich im Körper verhalten, weiß im Moment niemand. "Ungeklärt ist die Frage, wie schnell Nanosilber im Körper seine Partikelstruktur verliert, also sich in Körperflüssigkeiten zu Silberionen auflöst, und wie sich verbliebene Partikel einerseits und gelöste Silberionen andererseits im Organismus verteilen", sagt Wolfgang Kreyling vom Helmholtz-Zentrum München, der SCENIHR als Experte bei früheren Gutachten beraten hat.

"Wenn die Unbedenklichkeit von Nanosilber nicht garantiert werden kann oder sogar berechtigt angezweifelt wird, dann sollte gefragt werden: Brauchen wir diese Produkte überhaupt?"Stefan Gammel

Partikel und gelöste Ionen stellten ein unterschiedliches Risiko dar, weshalb sich die Beständigkeit des Nanosilbers im Körper auf die Risikoabschätzung enorm auswirke. Noch komplizierter wird die Sache dadurch, dass sich Silbernanopartikel mit unterschiedlichen physikalisch-chemischen Eigenschaften unterschiedlich im Körper verhalten. "Die entsprechenden Untersuchungen sind noch lange nicht so weit, dass sie eine schlüssige Risikoabschätzung zulassen", sagt Kreyling: "Es ist leicht, eine Regulierung zu fordern. Aber wegen des Wissensmangels ist es schwer zu sagen, wie diese konkret aussehen soll."

Anwendung des Vorsorgeprinzips

Zwei grundsätzliche Möglichkeiten, trotz des Unwissens zu regulieren, sieht Stefan Gammel, Experte für Nanoregulierung an der TU Darmstadt. Erstens eine Pflicht für Hersteller, Nanopartikel zu deklarieren, was die kontinuierliche Überwachung der Produktion, Verwendung und der Wege der Partikel in die Umwelt ermögliche. "Dadurch wäre man in der Lage, im Fall negativer Auswirkungen rasch zu handeln", sagt Gammel. Der zweite Ansatz: eine stärkere Anwendung des Vorsorgeprinzips. "Wenn die Unbedenklichkeit von Nanosilber nicht garantiert werden kann oder sogar berechtigt angezweifelt wird, dann sollte gefragt werden: Brauchen wir diese Produkte überhaupt?"

Für die Anwendung des Vorsorgeprinzips plädiert neben dem BfR auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU). Er glaubt, Nanosilber in Konsumprodukten sei überflüssig, und schrieb letztes Jahr in einem Gutachten: Die bakteriziden Oberflächen vieler Konsumartikel seien "funktionell bedeutungslos". Der SRU fordert daher ebenfalls einen Verzicht auf Nanosilber-Konsumprodukte.

Hansen und Baun verweisen in ihrem Kommentar auf einen Regulierungsvorschlag ihres Forscherkollegen Samuel Luoma. Demnach sollten klare Definitionen helfen, die Nano-Zutaten von Produkten anhand ihrer speziellen physikalischen und chemischen Eigenschaften zu identifizieren. Somit könne ihr Lebensweg von der Herstellung über die Nutzung bis zur Entsorgung verfolgt werden.

Ins gleiche Horn stößt Sylvia Maurer vom Europäischen Verbraucherverband BEUC in Brüssel: "Wenn es von den Herstellern keine Daten gibt, dann sollte es auch keinen Markt geben", fordert sie. Dieses Prinzip der EU-Chemikalienverordnung REACH will Maurer auch auf Nanomaterialien wie Nanosilber angewendet sehen.

Wirtschaftsinteressen gegen Verbraucherschutz?

Vorschläge zur Regulierung gibt es also genug. Warum handelt die EU-Kommission dann nicht? Zum einen gibt es neben Wolfgang Kreyling noch weitere Stimmen, die vor einer vorschnellen Nanosilber-Regulierung warnen. "Die Forschung muss erst noch klären, ob Nanosilber überhaupt einer speziellen Regulierung bedarf", sagt Bernd Nowack. Er gibt zu bedenken, dass Silberpartikel in Nanogröße schon seit mehr als 100 Jahren als Biozide eingesetzt werden. "Nanosilber ist nichts Neues. Man sollte auch die toxikologischen Studien, die im letzten Jahrhundert mit Nanosilber gemacht wurden, berücksichtigen, auch wenn man Nanosilber damals noch nicht so bezeichnete."

Es sei durchaus möglich, dass sich dann zeige, dass Nanosilber nicht speziell reguliert werden muss. Das BfR verwarf die alten Studien allerdings als nicht den modernen toxikologischen Standards entsprechend. Nowacks Kernaussage: Nanosilber ist ein Biozid wie viele andere. Wenn man Nanosilber verbiete, dann würden die Hersteller eben auf andere antimikrobielle Stoffe ausweichen, etwa Triclosan oder größere Silberpartikel. Eine Regulierung müsse daher alle Biozide umfassen.

Regelung erst am St. Nimmerleinstag

Hansen und Baun könnten aber auch mit ihrem Vorwurf Recht haben, die Kommission scheue den Konflikt mit der Industrie. Denn: Dass die Hersteller in Sachen Nanotechnologie Lobbyarbeit leisten, ist bekannt. Als das BfR seine Verzichtsforderung herausgab, protestierte die Industrie mit dem Argument, Erfahrungen mit Nanosilber gebe es schon seit Jahrzehnten. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) wiederum teilte letztes Jahr seine Meinung mit, auch zehn Jahre Risikoforschung an Nanomaterialien hätten keine außergewöhnlichen Risiken zu Tage gefördert.

Aus EU-Verhandlungen über REACH drang nach außen, dass Industrieexperten vehement verhindern wollten, Nanomaterialien als neuartige Stoffe zu behandeln, wodurch sie gesondert auf ihre Sicherheit geprüft werden müssten. Beim Streit um eine Definition des Begriffs Nanomaterial für regulatorische Zwecke wich die EU-Kommission stark von den Empfehlungen des SCENIHR-Gremiums ab, um Industrieforderungen nachzukommen.

Nun scheint die Kommission erneut zwischen den Standpunkten der Lobbyisten gefangen zu sein. "Es ist bequem für sie, die Entscheidung über die Regulierung von Nanosilber auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben", sagt Jurek Vengels, beim BUND für Nanotechnologie zuständig. Sie hoffe vergeblich, die komplexe Gemengelage löse sich irgendwie von selbst auf. "Je länger die Kommission zögert, desto schwieriger wird ein Eingriff in den Markt", sagt Vengels.

Schreiben Sie uns!

2 Beiträge anzeigen

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

  • Quellen

Hansen, S.F., Baun, A.: When enough is enough. In: Nature Nanotechnology 7, S. 409–411, 2012

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.