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Evolution: Der Ursprung der Pinguine

Die flinken Unterwasservögel entstanden wohl auf Neuseeland. Ähnlich wie heutige Reiher besaßen sie anfangs einen langen Schnabel – und liefen an Land, noch ohne zu watscheln.
Ein Gelbaugenpinguin steht aufrecht am Strand, während im Hintergrund ein Seelöwe im Sand ruht. Der Ozean ist in der Ferne sichtbar. Die Szene vermittelt eine ruhige Küstenatmosphäre.
Gelbaugenpinguine (Megadyptes antipodes) sind ausschließlich auf Neuseeland heimisch. Wie viele andere Pinguinarten zeichnen sie sich durch einen recht kurzen Schnabel aus.

An ihrem watschelnden Gang erkennen die meisten Leute sie sofort: Pinguine. Das Fliegen haben diese Tiere schon vor vielen Jahrmillionen aufgegeben. Im Wasser sind sie dagegen in ihrem Element und jagen dort pfeilschnell Fische oder andere Meeresorganismen wie Krebstiere und Tintenfische. Offensichtlich haben die Pinguine in der Evolution einen völlig eigenen Weg zu einem perfekt an das Nass angepassten Leben eingeschlagen. Wesentliche Schritte dazu spielten sich auf Neuseeland ab – zu diesem Schluss kommt Gerald Mayr vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt am Main, der zusammen mit Vanesa De Pietri von der neuseeländischen University of Canterbury und Paul Scofield vom Canterbury Museum in Christchurch sowie weiteren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Pinguinfossilien auf der Südinsel des Pazifikstaats analysiert hat.

Ursula Göhlich kann das nachvollziehen. »Wenn sämtliche frühen Fossilienfunde dieser Tiergruppe von dort kommen, sieht es schon nach Neuseeland als Wiege der Pinguine aus«, meint die Kuratorin für Wirbeltierpaläontologie am Naturhistorischen Museum Wien. Sie hat bereits Pinguinüberreste aus Peru untersucht, war an der aktuellen Studie aber nicht beteiligt.

Etliche der ältesten bekannten Pinguinarten stammen von einer Waipara Greensand genannten Sandsteinformation, einem früheren Meergebiet von vor 62,5 bis vor 58 Millionen Jahren. Mit einer Tiefe von rund 100 Metern lag es dort, wo sich heute das Waipara-Tal etwa 60 Kilometer nördlich von Christchurch erstreckt, der größten Stadt auf der Südinsel Neuseelands. Der nächste Oldie unter den Urpinguinen ist mit 55 Millionen Jahren deutlich jünger und wurde etwa 1000 Kilometer entfernt in der Antarktis gefunden.

Für die bereits damals gut an ein Leben im Wasser angepassten Urpinguine stellte eine solche Entfernung wohl kein Problem dar, zumal auch günstige Meeresströmungen eine Rolle gespielt haben könnten. Von diesen sind Pinguine noch heute stark abhängig. »Sie kommen nur dort vor, wo ihnen kalte Meeresströmungen wie in den Gewässern um die Antarktis sowie an den Küsten Südamerikas, Südafrikas, Australiens und Neuseelands viel Nahrung vor den Schnabel spülen«, erklärt Göhlich. »Diese Strömungen dürften auch bei der Ausbreitung der Urpinguine eine Rolle gespielt haben.«

Schwergewichte dank fehlender Räuber

Studienautor Gerald Mayr kennt einen weiteren wohl entscheidenden Faktor für die Evolution der Pinguine: »Vor rund 66 Millionen Jahren waren gleichzeitig mit den Dinosauriern auch die riesigen Meeresreptilien ausgestorben, die bis dahin eine wichtige Rolle als Prädatoren in den Ökosystemen der Meere gespielt hatten.«

Kurz danach tauchten die ersten Urpinguine auf, unter denen rasch auch einige Riesenformen entstanden, die das Team um Mayr nun identifiziert hat. »Diese flugunfähigen Vögel scheinen in den Gewässern um Neuseeland weniger Raubtieren begegnet zu sein, die ihnen gefährlich werden konnten«, sagt der Paläoornithologe und ergänzt: »Zahnwale und Robben, die Pinguine heute jagen, entwickelten sich erst viele Millionen Jahre später.«

Die Chancen, die sich mit dem Aussterben der großen Meeresreptilien boten – keine unmittelbaren Fressfeinde sowie wenig Konkurrenz –, nutzte eine Gruppe von Vögeln, die vermutlich schon zu Lebzeiten der Dinosaurier aus flugfähigen Vorfahren entstanden waren, die den heutigen Röhrennasen ähnelten. Diese Vogelgruppe, zu denen die Sturmvögel und Albatrosse gehören, war damals wie heute an ein Leben auf hoher See angepasst.

Manche der Pinguine erwiesen sich als wahre Giganten

Weil Fressfeinde fehlten, konnten die Vorfahren der Pinguine deutlich wachsen. Manche der in der Waipara-Region, aber auch an anderen Orten Neuseelands sowie in der Antarktis gefundenen Arten erwiesen sich als wahre Giganten mit rund 150 Kilogramm und zwei Metern von der Schnabelspitze bis zu den Füßen. Dagegen wirkt der größte heute lebende Vertreter dieser Vogelgruppe, der fast 40 Kilogramm schwere sowie zirka 120 Zentimeter lange Kaiserpinguin (Aptenodytes forsteri), eher bescheiden. Die Körperlänge wird allerdings in normaler Körperhaltung gemessen – was für die Vögel Schwimmen oder Tauchen beinhaltet. Dabei strecken sie den Schnabel weit nach vorn, um dem Körper eine möglichst gute Stromlinienform zu verleihen. Das verringert den Widerstand und beschleunigt das Fortkommen unter Wasser. An Land dagegen haben die Tiere wenig Grund, ihre Schnäbel in den Himmel zu recken, und wirken daher deutlich kleiner.

Interessanter als die schiere Größe erscheint der Körperbau der Tiere, der belegt, dass auf Neuseeland vor rund 60 Millionen Jahren bereits urtümliche Pinguine lebten. Das deutsch-neuseeländische Forscherteam hat inzwischen acht verschiedene Pinguinarten der Gattungen Waimanu, Muriwaimanu und Kumimanu aus dem Waipara Greensand beschrieben. Fast alle diese Funde gelangen Leigh Love, der in seiner Freizeit oft die alten, längst zu Sandstein gewordenen Sedimente durchstreift, die Jahrmillionen unter der Erde verborgen lagen und jetzt vom Waipara River aufgeschlossen werden. Dort stößt der Hobbyforscher auf seinen Erkundungstouren immer wieder auf Fossilien, die er später den Fachleuten von der University of Canterbury in Christchurch für weitere Untersuchungen zur Verfügung stellt.

Fossilienjäger | Der Amateurpaläontologe Leigh Love (links) und der Senckenberg-Forscher Gerald Mayr graben an der neuseeländischen Waipara-Greensand-Formation nach Fossilien ausgestorbener Pinguine. Im Hintergrund zwischen den beiden ist der Kurator Paul Scofield vom Canterbury Museum in Christchurch zu erkennen.

Neben den Pinguinfossilien entdeckte Love auch die Überbleibsel anderer Organismen, beispielsweise von einem Pseudozahnvogel, dessen Schnabel Strukturen aufweist, die verblüffend an Zähne erinnern. In geologisch jüngeren Schichten wurden teils riesengroße Exemplare mit einer Spannweite von 550 Zentimetern gefunden. »Diese Pseudozahnvögel stellten so Albatrosse leicht in den Schatten«, erzählt Mayr. Die in der Waipara-Greensand-Formation gefundene Spezies war dagegen erheblich kleiner als jene späteren Verwandten.

Bevor der Senckenberg-Forscher die Fossilien untersuchen kann, müssen sie präpariert werden. Das erledigt oft der inzwischen 80-jährige Al Mannering in seiner Freizeit. Solche enthusiastischen Rentner sind in Neuseeland sehr aktiv und eine wichtige Triebfeder der Wissenschaft ihres Landes.

Lange Schnäbel

Auch wenn die Waipara-Fossilien schon typische Pinguine darstellen, weisen sie doch noch einige urtümlich wirkende Eigenschaften auf. Eine der überraschendsten ist sicherlich der meist sehr lange Schnabel, der an Reiher oder Schlangenhalsvögel erinnert. Letztere tauchen ebenfalls sehr gut und jagen dabei Fisch. Dazu paddeln sie mit ihren kräftigen Füßen rasch vorwärts und stoßen ihren Kopf blitzschnell vor, um so ihre Beute zu überraschen und mit ihrem langen Schnabel aufzuspießen. Sobald sie dann an der Wasseroberfläche auftauchen, schleudern sie die Fische in die Luft und fangen sie danach auf.

Langer Schnabel | Der Schnabel des etwa 60 Millionen Jahre alten Urpinguins Muriwaimanu (oben und Mitte) war deutlich länger als der des heute auf Neuseeland vorkommenden Gelbaugenpinguins (Megadyptes antipodes, unten).

»Vielleicht haben die Urpinguine ähnlich gejagt«, sagt Mayr. Das ist bisher nur eine Hypothese, die allerdings durch eine weitere Beobachtung gestützt wird: Die auffälligen Schnäbel behielten die Pinguine anscheinend sehr lange; es gab sie noch vor 35 Millionen Jahren. Und auch die heutigen Größenspitzenreiter unter ihnen, die Kaiser- und Königspinguine, besitzen relativ lange Schnäbel und jagen damit Fisch. Nur auf den Schlangenhalsvogeltrick mit der hochgeschleuderten Beute verzichten sie und bekommen ihr Futter auch ohne solche akrobatischen Kunststücke in den Magen.

Neben den langen Schnäbeln entdeckten Mayr und seine Kollegen bei den Waipara-Pinguinen ein weiteres wichtiges Indiz für Fisch als Hauptnahrung: Genau wie bei ihrer heutigen Verwandtschaft saßen über den Augen der Urpinguine Salzdrüsen. Damit scheiden Seevögel das Salz wieder aus, das sie mit ihrer Beute aufnehmen. Je salziger die Nahrung ist, umso größer müssen die Drüsen sein, die in einer entsprechend dimensionierten Grube im Schädelknochen sitzen.

Königs- und Kaiserpinguine jagen Fische, die relativ wenig Salz enthalten. Sie brauchen daher nur kleine Salzdrüsen. Genauso war es wohl bei den Urpinguinen. Kleinere heutige Vertreter der Pinguine fressen dagegen gern Tintenfisch, Krill oder andere salzhaltigere Beutetiere und besitzen darum eher große Salzdrüsen.

Flügel werden zu Paddeln

In anderer Hinsicht aber unterschieden sich die Urpinguine deutlich von ihrer heutigen Verwandtschaft. Während Erstere genau wie Schlangenhalsvögel ihre Beine als Antrieb einsetzten, beschleunigen moderne Pinguine ihren Körper beim Tauchen fast ausschließlich mit Hilfe ihrer Vordergliedmaßen. Für diesen »Unterwasserflug« benötigen die Vögel eine außerordentlich kräftige Brustmuskulatur, welche die typischen Flügelbewegungen antreibt, bei denen die vorderen Extremitäten wie Paddel einen Vortrieb erzeugen. Die stark ausgeprägten Brustmuskeln ziehen jedoch den Oberkörper an Land nach vorne. Deshalb besitzen die Pinguine einen gedrungenen Mittelfußknochen, der verhindert, dass die Tiere nach vorn kippen. Dafür sind sie aber im Watschelgang unterwegs und stehen sehr aufrecht. Die Urpinguine aus dem Waipara Greensand nutzten dagegen ihre Füße als Unterwassermotor und liefen an Land vermutlich watschelfrei.

Kurzer Flügel | Der Flügelknochen dieses Urpinguins aus der Waipara-Greensand-Formation taugte wohl nicht mehr zum Fliegen. Er war aber noch deutlich weniger massiv gebaut als die paddelförmigen Flügel heutiger Pinguine.

Und noch ein anderes typisches Merkmal moderner Pinguine fehlte ihren Vorfahren vor 60 Millionen Jahren: Heute ist der letzte Schwanzwirbel schmal und deutlich verlängert. Dort setzen die kurzen und steifen Federn am Schwanz an, mit denen sich die Pinguine im Stehen zusätzlich abstützen.

Pinguine beschleunigen ihren Körper beim Tauchen fast ausschließlich mit Hilfe ihrer Vordergliedmaßen

Ein weiterer Umbau hatte laut Gerald Mayr bei den Urpinguinen wohl bereits begonnen. Flugfähige Vögel können ihre Flügel zwischen Unterarm- und Handknochen abknicken. Nur so lassen sich die großen und steifen Flugfedern zusammenlegen, und der Vogel kann sich zum Beispiel zum Brüten hinsetzen. Ohne dieses Abknicken wären die Federn im Weg. Das war bei Urpinguinen vermutlich ähnlich.

Bei heutigen Vertretern sind die Knochen dagegen viel massiver und fest miteinander über das Gelenk verwachsen. So entwickelten sich die Flügel zu den steifen Paddeln, die einen kräftigen Antrieb liefern. Dank dieses Umbaus avancierten die an Land watschelnden Pinguinen unter Wasser zu pfeilschnellen Jägern.

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