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News: Evolution im Zeitraffer

Evolution ist meist ein sehr langsamer Prozeß und daher nur sehr schwer zu beobachten. Um den Vorgang zu beschleunigen, haben Wissenschaftler ein Computerprogramm entwickelt, in dem künstliche Organismen in einer virtuellen Welt leben, sich vermehren und an die Umweltbedingungen anpassen. Zufällig eingestreute Änderungen im Programm simulieren Mutationen, auf welche die Organismen in verschiedener Weise reagieren. Die Forscher haben nun erste Ergebnisse ihres Evolutionsexperimentes vorgestellt.
Evolutionsforscher kämpfen bei ihrer Arbeit immer mit einem großen Problem: Evolution braucht ihre Zeit. Richard Lenski und Charles Ofria von der Michigan State University, Christoph Adami vom California Institute of Technology und Travis Collier von der University of California in Los Angeles entwickelten daher ein Computerprogramm, mit dem sie die Evolution digitaler Organismen beobachten können. Die virtuellen Lebewesen vermehren sich, mutieren und passen sich unter dem Druck natürlicher Selektion an die Umgebungsbedingungen an. Am 12. August 1999 stellten die Forscher in Nature erste Ergebnisse vor.

In dem Programm namens "Avida" leben einfache und komplizierte digitale Organismen in einer künstlichen Petrischale. Die beiden Formen sind verwandt. Während der einzige Lebenszweck der einfachen Organismen die Fortpflanzung ist, können ihre weiter entwickelten Vettern zusätzlich mathematische Berechnungen durchführen. Die Belohnung besteht für beide in zusätzlicher Computerzeit. Zufallsgesteuert werden in das Programm der virtuellen Lebewesen Mutationen eingestreut, um so die natürliche Selektion und Evolution anzuspornen. Das Wissenschaftlerteam änderte dann die Umweltbedingungen, um zu sehen, wie sich die künstlichen Organismen anpassen.

Zu den ersten Erkenntnissen gehört, daß bei den digitalen Organismen verschiedene Mutationen häufig auf komplizierte Weise miteinander wechselwirken – ein Phänomen, das auch bei realen Organismen von Bakterien bis hin zu Fliegen bekannt ist. Lenski hält dies für bedeutend, denn seiner Ansicht nach zeigt es, daß "diese künstliche Welt dieselbe Vielschichtigkeit aufweist, die wir Biologen in der realen Lebewelt beobachten. Wir haben aber Schwierigkeiten, diese Komplexität mit lebenden Organismen bis ins Detail zu untersuchen, weil die genetischen Experimente zu kompliziert werden." Er betont, daß es nun möglich ist, die Wechselwirkungen einzelner Mutationen zu untersuchen. "Das wurde in der Genetik zu gering bewertet", sagt er. "Es war einfach zu denken, daß wir eine Mutation verstehen, wenn wir sie allein betrachten, aber jetzt sehen wir, wie sie mit anderen Mutationen zusammenwirkt und wie sich solche Wechselspiele auf die Folgen einer einzelnen Mutation auswirken." Ein weiteres, eher unerwartetes Ergebnis war, daß die komplexeren Organismen gegen die schädlichen Einflüsse mehrerer Mutationen besser geschützt sind als die einfacheren Formen. Diese Erkenntnisse müssen nun in weiteren Experimenten an realen Lebewesen überprüft werden.

Das Programm bietet einige Vorteile gegenüber der klassischen Evolutionsforschung. Obwohl zum Beispiel auch das Darmbakterium Escherichia coli sehr kurze Generationszeiten hat und daher häufig zu solchen Zwecken eingesetzt wird, so ist die Datenmenge, mit der das Programm arbeiten kann, doch um vieles größer. Außerdem vereinfacht es das System so weit wie möglich. "Es ist sehr schwierig, mit einem lebenden System, das vier Milliarden Jahre alt ist, sehr grundlegende Fragen zur Evolution zu beantworten. Nach dieser Zeit ist das System einfach zu komplex", sagt Adami.

Diese Ergebnisse sind jedoch nicht nur für Evolutionsbiologen interessant, sondern sie ermöglichen auch einen Einblick in die Art und Weise, wie ein Computer lernt. "Computerprogramme werden immer komplizierter", sagt Lenski. "Wir sind bei manchen Anwendungen an einem Punkt angelangt, an dem es für ein menschliches Gehirn schwierig ist, dem Computer zu sagen, was er tun soll. Ein Interessensbereich liegt daher auch darin, ob man Computerprogramme nutzen kann, die sich über Belohnungen weiterentwickeln und bestimmte Dinge tun, ohne daß ein Mensch jeden Schritt überwachen muß."

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