Evolution: Liebe macht diesen Vogel fast blind

Im Laufe der Evolution haben sich bei Vögeln immer ausgefeiltere Eigenschaften herausgebildet, damit Männchen die Weibchen beeindrucken können– seien es Pfauenfedern, die wie Laser funktionieren, oder Federn, die im UV-Bereich leuchten. Doch mitunter hat der elaborierte Federschmuck einen hohen Preis, wie eine Arbeit von Alexandra Lamond von der Royal Holloway University of London und ihrem Team zeigt: Fasane der Gattung Chrysolophus wie der Goldfasan(Chrysolophus pictus) verfügen über einen fedrigen Kopfschmuck, der ihre Sicht stark beeinträchtigt, sodass sie Teile ihrer Umgebung nicht wahrnehmen können.
Die Hühnervögel besitzen im direkten Umfeld der Augen Federn, die an ein Toupet und einen Umhang erinnern, so stark wallen sie auf. Da sie teilweise bis direkt an den Rand der Sehorgane wachsen beziehungsweise vom Kopf dorthin abstehen, blicken die Vögel zum Teil auf diese Strukturen und nicht auf die Umwelt, wie eine Augenuntersuchung ergab.
Lamond und Co. hatten dazu sieben Fasane während der Balzzeit mit einem Ophthalmoskop untersucht: Das ist ein medizinischer Spiegel, der auch bei Menschen zur Untersuchung des Augenhintergrunds verwendet wird. Damit suchten sie nach der Reflexion der Retina, wenn Licht darauf fällt. Diesen Effekt kann jeder beobachten, der nachts mit einem Scheinwerfer tierische Augen anstrahlt.
So unterteilten die Wissenschaftler das Blickfeld der Vögel in drei Bereiche: den monokularen (in dem ein Auge sehen kann), den binokularen (in dem beide Augen sehen können) und den blinden Bereich, in dem das Sehorgan nichts erkennen kann. Letzterer ist bei den Männchen während der Brutzeit stark ausgeprägt, wie der Test zeigte. Ihr binokuläres Sehen ist verglichen mit den Weibchen, die diesen Federschmuck nicht besitzen, um durchschnittlich mehr als 40 Prozent eingeschränkt. Vor allem der obere Bereich ihres Blickfelds fällt dadurch aus. Greifvögel, die aus dieser Richtung attackieren, können also nicht oder erst spät erkannt werden.
Sobald die Fasane nach der Brutsaison im Herbst mausern und den Federschmuck verlieren, verbessert sich ihr Sehen deutlich: Sie leben also vor allem während der Balz gefährlich. Laut der Arbeitsgruppe handelt es sich um den ersten Nachweis geschlechtsspezifischer Unterschiede beim Sehvermögen von Vögeln– und den ersten bekannten Fall bei solchen Tieren, dass sich diese Fähigkeit im Lauf des Jahres verändert. Das Team hat bislang das Blickfeld von 300 Vogelarten studiert und sonst keine geschlechtsspezifischen Abweichungen festgestellt. Die Arbeit soll jedoch ausgeweitet werden, da unter den rund 11 000 bekannten Vogelarten sehr viele Männchen mit ausgefallenem Kopfschmuck unterwegs sind.
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