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Jungsteinzeit: Evolution und Revolution

Monumentale Großbauten, komplexe Gesellschaftssysteme und feinste Handwerksarbeiten - dass die Menschen an der Schwelle zu einer der wichtigsten kulturellen Revolutionen längst keine unterentwickelten Barbaren mehr waren, zeigt die Karlsruher Ausstellung "Vor 12 000 Jahren in Anatolien - Die ältesten Monumente der Menschheit". Was aber trieb die Jäger und Sammler zum Schritt in eine völlig neue Lebensweise?
Eine sitzende Frau aus Çatal Höyük
Unbeweglich stehen sie im Kreis – ein gutes Dutzend stumme Gestalten, seit Ewigkeiten den Blick starr in die Mitte gewandt, fixiert auf ein Paar von ihresgleichen, noch riesenhafter als sie selbst. Abbilder zähnefletschender Tiere zieren ihre Seiten, als sollten die Raubkatzen, die Füchse und die hauerbewehrten Keiler jeden Uneingeweihten vertreiben, der Zeuge des Rituals zu ihren steinernen Füßen werden will.

Göbekli Tepe – Rekonstruktion der Anlage im Museum | Die beiden mittleren Pfeiler der Anlage B zeigen jeweils einen Fuchs auf der Breitseite. Für die Ausstellung wurde eigens eine millimetergenaue Rekonstruktion angefertigt.
12 000 Jahre ist es her, dass Menschen diese Figuren geschaffen haben: auf der Anhöhe des Göbekli Tepe im Südosten der Türkei, zu einer Zeit, als Ackerbau und Viehzucht noch nicht erfunden waren und die Erbauer als Jäger und Sammler von kleinen Siedlungen zu ausgedehnten Wanderungen durch das Land aufbrachen. Erst im Jahre 1995 machte der Archäologe Klaus Schmidt vom Deutschen Archäologischen Institut den Sensationsfund, der jetzt im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe, in Originalgröße rekonstruiert, zugänglich ist. Die Ausstellung begleitet den Besucher dabei auf den Spuren dieser Menschen durch die erste große Kulturrevolution der Geschichte.

"Schätzungsweise zwanzig dieser Rundanlagen muss es in Göbekli Tepe gegeben haben", erzählt Clemens Lichter, Kurator der Ausstellung. "Die ältesten davon gehen bereits auf das 10. Jahrtausend vor Christus zurück. Einen so alten, monumentalen Kultplatz hat man nirgendwo sonst gefunden." Weil die Grabungen derzeit noch andauerten, könnten sogar weitere, ältere Schichten auftauchen. Fast am meisten überraschte die Forscher aber das völlige Fehlen von Wohngebäuden – bis zur Aufgabe des Ortes um 8000 v. Chr. muss es allein die besondere Bedeutung des Berges gewesen sein, die die Menschen immer wieder anzog.

Steinerne Riesenmenschen

3,40 Meter misst der mächtige Zentralpfeiler | Der Fuchs gilt gemeinhin als besonders listig – die abgebildeten, ausnahmslos männlichen Tiere könnten als Totem oder als Beschützer des Kultplatzes gedient haben.
Über den zweifellos religiösen Sinn der Anlage können Archäologen indes nur streiten. Als sicher gilt, dass die tonnenschweren, manchmal bis zu fünf Meter hohen Pfeiler in T-Form Menschen im Profil darstellen. Was auf den ersten Blick wie eine abenteuerliche Behauptung klingt, können Forscher jedoch über andere Fundplätze aus der Ära kurz vor Beginn der Jungsteinzeit belegen. Dort tauchten früher schon ähnliche, weniger abstrahierte Monumente auf, bei denen deutlich Arme und Hände erkennbar sind. Bisweilen tragen diese Stelen dann sogar Gesichter oder einer Art ritueller Stola an der Schmalseite. Doch wer hier eigentlich in Stein gehauen wurde, ist nach wie vor rätselhaft: Waren es die Ahnen oder Naturgeister der Jäger? Oder setzten sich etwa die Angehörigen vom "Stamm des Fuchses" ihren Totempfahl? So ließen sich zumindest die Darstellungen wilder Tiere an den Breitseiten interpretieren.

Klaus Schmidt, Archäologe und Entdecker von Göbekli Tepe, schwebt noch eine dritte Deutungsmöglichkeit vor – der Tempel könnte eine Rolle bei Totenritualen gespielt haben. Verstorbene Familienangehörige, glaubt er, könnten im Rund der Anlage den Geiern zum Fraß überlassen worden sein. Oder man hat sie in den ringsum angeordneten Sitzbänken bestattet.

Faszinierend am Göbekli Tepe ist jedoch nicht nur sein Alter, sondern auch sein Ort: Er liegt in der Kernzone einer Region, die Archäologen als "fruchtbaren Halbmond" bezeichnen. Dort nahm die neolithische, also jungsteinzeitliche, Revolution ihren Ausgang, in der sesshafte, Ackerbau und Viehzucht betreibende Gesellschaften die Jäger-und-Sammler-Kulturen ablösten. Und von dort wurde sie später auch bis nach Mitteleuropa exportiert. Geografisch gesehen reicht die Zone von Israel aus nordwärts über Syrien bis nach Anatolien und zieht sich dann wieder Richtung Süden die Ebenen von Euphrat und Tigris entlang. In diesen Gegenden waren die Wildformen der meisten heutigen Kulturpflanzen und Haustiere beheimatet, und ausreichende Regenfälle erlaubten Ackerbau auch ohne künstliche Bewässerung.

Kein Fortschrittsglaube in der Steinzeit

Tigerkopf aus Nevalı Çori | Der Kopf sollte wohl einen Löwen, einen Tiger oder allgemein eine Raubkatze darstellen. Fast alle Skulpturen dieser Zeit blicken grimmig drein und fletschen die Zähne – Jagdtiere wurden so gut wie nie dargestellt.
Neben der Interpretation des Göbekli Tepe als Kultplatz sind die Wissenschaftler daher an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Errichtung solch monumentaler Denkmäler interessiert. Wie hat man sich eine Kultur vorzustellen, die den Schritt zu so scheinbar wichtigen Errungenschaften wie Ackerbau und Viehzucht noch nicht vollzogen hat und dennoch zu einer Gemeinschaftsleistung fähig ist, die selbst die Fachleute das Staunen lehrt? Und warum gaben sie all dies für eine völlig neue Lebensweise auf?

Von einer Vorstellung müssen sich die Forscher in diesem Zusammenhang verabschieden: Dass die Menschen der Altsteinzeit die typisch neolithischen Erfindungen als so fortschrittlich empfanden, dass sie diese bei erster Gelegenheit in ihren Alltag übernahmen. Das Bild der Grabungen belegt zweifelsfrei, dass ihre durchweg guten Lebensbedingungen keinen Anlass dafür gaben.

Älteste lebensgroße Menschendarstellung – der "Urfa-Mann" | Rekonstruktion des Urfa-Manns, der einmal in einer Nische der späteren, in ein Haus eingebauten Steinkreise aufgestellt worden sein könnte. Er ist die älteste lebensgroße Menschenskulptur, die bislang entdeckt wurde.
Auf der Karlsruher Ausstellung reihen sich dementsprechend Funde aneinander, die den Betrachter die vorneolithische Kultur nicht länger unterschätzen lassen: Vollplastische Steinfiguren wie der sogenannte Urfa-Mann, Perlen aus gediegenem Kupfer und dünnwandige, akkurat gearbeitete Steingefäße mit detaillierten Ritzdekoren. Die Vielzahl der Grabungen in der Südosttürkei lassen außerdem ein komplexeres Gesellschaftssystem erahnen als früher angenommen. Rund ein Jahrtausend nachdem die ersten Tempel in Göbekli Tepe standen, finden sich zum Beispiel in Nevalı Çori Anzeichen für Arbeitsteilung, soziale Hierarchien und anhaltende Sesshaftigkeit. Auch der monumentale Steinkreis taucht hier wieder auf, wenn auch übertragen ins Innere eines eigens dafür gebauten Kultgebäudes. Dennoch: Genauso wie sie sich noch immer zu einem gut Teil von der Jagd ernährten, sind die Menschen in Nevalı Çori noch in der Kultur der Jäger und Sammler verhaftet, und wie es scheint, waren sie dabei nicht gerade unglücklich.

Evolution der Kultur

"Es gab keine Initialzündung für die neolithische Revolution", bekräftigt Kurator Clemens Lichter. "Viele Technologien waren im Prinzip schon vorhanden, bevor sie eine breite Anwendung fanden. Man muss sich diesen kulturellen Wandel eher als evolutionären,
"Es gab keine Initialzündung für die neolithische Revolution"
(Clemens Lichter)
über Generationen andauernden Prozess vorstellen." Was die Menschen letztlich dazu trieb? "Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Vielleicht bot die Getreideproduktion den Menschen eine gewisse Sicherheit gegenüber Nahrungsknappheit", meint Lichter. "Auch ein klimatischer Wandel könnte ihnen zu schaffen gemacht haben."

Denkbar ist auch, dass gerade Kultplätze wie der Göbekli Tepe die Menschen dauerhaft an gewisse Orte banden und eine gruppenübergreifende Organisation nötig machten. Diese könnte dann letztendlich der Entstehung von Siedlungen Vorschub geleistet haben, glaubt zumindest Göbekli-Entdecker Schmidt. Aus der Perspektive der Altsteinzeitler betrachtet ist es dann auch fast nahe liegend, wie er von der neolithischen Revolution als einem "kulturellen Rückschritt" zu sprechen.

Denn mit der Umstellung der Lebensweise, die erst im siebten vorchristlichen Jahrtausend endgültig abgeschlossen war, gingen beispielsweise typische Zivilisationskrankheiten einher. So lassen sich Infektionen durch den engen Kontakt mit Haustieren, Mangelernährung und allgemein eine gesunkene Lebenserwartung nachweisen. Die Jungsteinzeitler mussten außerdem ihr großes Schweifgebiet gegen die begrenzte Welt ihrer Felder und Ställe eintauschen. Die ersten richtigen Eigentumskonflikte könnten die Folge gewesen sein.

Gefäßkeramik mit Jagdszenen | Aus Köşk Höyük stammt diese Vase des 6. Jahrtausends v. Chr., die möglicherweise Szenen einer Jagd auf Wildesel darstellt. Ähnliche Jagdszenen fand man auch in Çatal Höyük, wo der Fleischkonsum allerdings hauptsächlich mit domestizierten Tieren gedeckt wurde – die Jagd diente wohl eher kultischen Zwecken.
In der neolithischen Großsiedlung Çatal Höyük, einem weiteren Schwerpunkt der Schau, hat sich der Wandel bereits vollzogen. "Wir finden hier eine völlig andere Kultur", erklärt Lichter und verweist auf die vielen Figurinen, die nun hauptsächlich Menschen und Haustiere anstelle von Wildtieren darstellen. Mehrere tausend Bewohner hatte das Dorf – denn von einer Stadt wollen die Archäologen nicht sprechen. "Es finden sich kaum Anzeichen für Herrschaftsstrukturen, und spezielle Gemeinschaftsbauten, wie sie für die späteren Städte typisch sind, fehlen völlig. Stattdessen bildete jeder Haushalt eine selbstständig wirtschaftende Einheit."

Vom Jägerkult zur Fruchtbarkeitsreligion?

Auch Rituale benötigten keinen Tempel mehr, sondern fanden wohl in den Häusern selbst statt. Eines dieser Gebäude hat man eigens für die Ausstellung in Originalgröße rekonstruiert – komplett mit Wandmalereien und den häufig anzutreffenden plastischen Stierköpfen.

Üppige Proportionen – Bekanntes Kennzeichen jungsteinzeitlicher Figurinen | Frauen mit herausragender Körperfülle sind häufig zu finden unter den Figurinen jungsteinzeitlicher Künstler – wie hier bei dieser Figur (6500 – 6000 v. Chr.), die wahrscheinlich aus Hacılar stammt.
Die These, dass sich an den üppigen Frauendarstellungen in Çatal Höyük auch ein Übergang von der männerdominierten Jägergesellschaft zu einem matriarchalischen Fruchtbarkeitskult ablesen lasse, hält Lichter allerdings für veraltet: Weder seien bevorzugt Frauen dargestellt worden, noch gäbe es andere Anzeichen für eine besondere Rolle der Frau. "Es scheint, als sei der Unterschied zwischen den Geschlechtern schlicht und ergreifend unwichtig gewesen."

Auch wenn die archaische Kultur der vorneolithischen Jäger und Sammler dem Betrachter heute vielleicht schillernder und faszinierender erscheinen mag als die der jungsteinzeitlichen Bauern – von einem "kulturellen Rückschritt" will Lichter nichts wissen. "Der damalige Wandel in der Lebensweise war keine Revolution in dem Sinne, dass sie schlagartig verlief. Ihre entscheidende Bedeutung liegt vielmehr in der tiefgreifenden Veränderung der menschlichen Gesellschaft, die alle weiteren Entwicklungen überhaupt erst möglich machte. Und dieser Wandel war nun tatsächlich 'revolutionär'." Überspitzt formuliert könne man sogar behaupten, dass sie noch immer andauere: Die gentechnische Manipulation von Nutzpflanzen sei schließlich nichts anderes als eine neue Form der Züchtung – nur eben auf einem anderen Niveau.

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