Direkt zum Inhalt

News: Evolutionäre Schnellstraße

Bringt man zusammen, was nicht zusammen gehört, ist das Ergebnis oft zum Scheitern verurteilt: Kreuzungen aus zwei verschiedenen Arten können sich meist nicht vermehren. Manchmal allerdings ist der Mixtur ein besonderer Erfolg beschieden.
Sonnenblume
Sackgasse oder Schnellstraße, das ist hier die Frage – an ihr scheiden sich seit mehr als hundert Jahren die Gemüter der Gelehrten: Die einen halten Hybride, also die Nachkommen aus der Kreuzung zweier Arten, die sich eigentlich nicht miteinander vermischen, für eine evolutionäre Sackgasse. Denn sehr häufig können sich die daraus entstandenen Nachfahren nicht fortpflanzen, wie beispielsweise das vom Menschen gezüchtete Maultier, eine Mischung aus Pferd und Esel. Deswegen gelten Bastarde den Vertretern dieser Ansicht als eine eher lokal begrenzte, vorübergehende Erscheinung. Andere sind demgegenüber der Meinung, die aus der Kreuzung resultierenden neuen Genkombinationen ermöglichten neue Anpassungsmechanismen und würden so die Evolution vorantreiben.

Für diese Einschätzung spricht, dass Hybride häufig – anders als die Arten, aus denen sie hervorgegangen sind – an Extremstandorten auftreten. So besiedeln auch drei unterschiedliche Hybride aus den in den USA weit verbreiteten Sonnenblumenarten Helianthus annuus und Helianthus petiolaris ausgesprochen unwirtliche Gegenden: Sanddünen (H. anomalus), trockene Wüstenböden (H. deserticola) und Salzwiesen (H. paradoxus). Sollte die Hybridisierung diese Pflanzen in die Lage versetzt haben, diese ökologischen Nischen zu besetzen? Dieser Frage ging nun ein internationales Team um Loren Rieseberg von der Indiana University nach.

Dazu machte die Forschergruppe ihre eigene, kleine Evolution: Sie kreuzte die Stammarten H. annuus und H. petiolaris miteinander; deren Tochtergeneration wurde mit H. petiolaris rückgekreuzt. Da dabei die Ausbeute fortpflanzungsfähiger Pflanzen sehr gering war, führten die Wissenschaftler eine zweite Rückkreuzungsrunde mit H. petiolaris durch. Diese – dann mehrere hundert – Hybride konnten mit den Elternpflanzen und den natürlichen Bastarden verglichen werden.

Untersucht wurden morphologische Merkmale wie verschiedene Blüten- und Blatteigenschaften, physiologische Eigenheiten wie die Photosyntheserate oder der Gehalt an CO2 in den Blättern, sowie genetische Faktoren. Dabei zeigte sich, dass es den Wissenschaftlern tatsächlich nahezu gelungen war, die Evolution zu wiederholen: Die künstlichen Hybride trugen einen Großteil der Merkmale, welche auch die natürlichen Kreuzungsarten aufwiesen. Dazu gehören beispielsweise große Samen, die nicht so leicht von verwehtem Sand zugeschüttet werden, ein schnelles Wurzelwachstum und trockenresistente Blätter – alles Maßnahmen der Pflanze, die ein Überleben in großer Trockenheit ermöglichen.

Die meisten Eigenschaften, welche die Hybride für die Besiedlung ihrer ausgefallenen Habitate benötigen, sind also tatsächlich eine Folge aus der Kreuzung der beiden Stammarten. Dabei mussten sich allerdings unter den zahlreichen kranken und sterilen Nachkommen ausreichend viele finden, die in der Lage waren, sich zu vermehren und ihre vorteilhaften Genkombinationen an ihre Nachkommen weiterzugeben. So eroberten sie innerhalb kürzester Zeit – es waren dazu nur wenige Generationen nötig, wie die Zucht der künstlichen Hybride zeigt – quasi auf einer evolutionären Schnellstraße ihre neuen Standorte.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.