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News: Evolutionsgalopp

Die Generationen der Weißfußmäuse in und um Chicago erlebten ein ziemlich stürmisches letztes Jahrhundert. Ihre genetische Evolution hielt währenddessen scheinbar mehr als Schritt mit den menschengemachten Umwälzungen ihres Lebensraumes.
Gefangen, getötet und gezählt, dann ausgestopft und ausgestellt, schließlich verstaubt und in alten naturkundlichen Sammlungen vergessen – so wird es wohl aussehen, das Schicksal der meisten Tierpräparate aus den Anfängen des zwanzigsten Jahrhunderts. Anders bei den 56 Weißfußmaus-Exemplaren, die Oliver Pergams von der University of Chicago mit seinen Kollegen zusammensammelte: Sie stehen nun im Rampenlicht einer Untersuchung zur Evolution der dortigen Maus-Populationen. Vielleicht ändern sie auch althergebrachte Vorstellungen zur Geschwindigkeit der Evolution.

Ursprünglich wollten die Forscher mit genetischen Methoden die beiden Mausspezies vergleichen, die im mittleren Westen der USA heimisch und häufig waren. Schnell wurde aber deutlich, dass die Weißfußmaus Peromyscus leucopus die ehemals dominierende Hirschmaus Peromyscus maniculatus von ihren angestammten Prärie-Habitaten mehr und mehr vertrieben hatte – aus unbekannten Gründen.

Offenbar hatten sich Weißfußmäuse schneller und effektiver als die Konkurrenz entwickelt und an gegebene Verhältnisse anpassen können. Um die genetische Entwicklung der Weißfuß-Nager seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nachzuvollziehen, fingen die Wissenschaftler daher 52 Mäuse an fünf Standorten um Chicago – und entliehen aus naturkundlichen Sammlungen eben jene erwähnten Museumsexemplare, die alle zwischen dem Jahr 1855 und heute in denselben fünf Gebieten gesammelt worden waren.

Aus Hautzellen all dieser Weißfußmäuse extrahierten Pergams und seine Kollegen dann eine charakteristische, etwa 340 Basenpaare kurze Sequenz der Mitochondrien-DNA und verglichen, welche Unterschiede zwischen diesen DNA-Abschnitten einzelner Mausindividuen bestanden. Wie sich zeigte, existierten drei verschiedene Varianten dieses Genabschnittes: die Genotypen A, M und, sehr viel seltener, Mw. Auffällig dabei war, dass alle Mäuse aus dem 18. Jahrhundert und fast alle der bis 1950 lebenden dem Genotyp A angehörten, nahezu alle modernen Mäuse aber dem Genotyp M. Irgendetwas im genetischen Programm dieser Mäuse scheint ihnen entscheidende Vorteile im Evolutions-Wettlauf mit ihren Artgenossen zu liefern – und wohl auch gegenüber der konkurrierenden Hirschmaus-Spezies.

Die überlegenen Mausvarianten des Genotyps M könnten in der Folge einer spontanen, sehr vorteilhaften Mutation plötzlich entstanden sein, meint Pergams, oder aber durch menschliche Siedler aus anderen Regionen eingeschleppt worden sein, um sich dann nach und nach durchzusetzen. Vielleicht existierte der Maus-Genotyp M auch schon recht lange und bot erst im Zuge dramatischer Eingriffe des Menschen in die Habitate der Mäuse im vergangenen Jahrhundert mehr und mehr Vorteile.

Fest steht jedenfalls, dass eine derart rapide genetische Evolution innerhalb einiger Jahrzehnte – statt vieler Jahrtausende – bislang bei Säugetieren kaum für möglich gehalten wurde. Dies könnte einige Untersuchungen in Frage stellen, die eine eher vorhersagbare, regelmäßige Mutationsrate und DNA-Evolution zur Grundlage haben – also ein gleichmäßiges Schlagen der molekularen Uhr von Zellen. "Diese Uhr", meint Pergams nun im Licht seiner Entdeckungen, "scheint manchmal ungemein schnell ticken zu können".

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