Ewigkeitschemikalien: Neuer Katalysator zerstört PFAS im Wasser besonders effizient

Was es bedeutet, wenn PFAS-Chemikalien in Böden und Gewässer gelangen, mussten Menschen bereits vielerorts erleben. Im Sommer 2024 hat der Schweizer Kanton St. Gallen den Verkauf von bestimmtem Rindfleisch verboten – die Tiere hatten zuvor auf Weiden gegrast, die mit PFAS belastet waren. Im belgischen Zwijndrecht wurde im Jahr 2021 bekannt, dass der Boden um das Städtchen mit PFAS verseucht ist. Der US-Chemiekonzern 3M betreibt dort eine Fabrik. Bei hunderten Bewohnern fanden sich die Chemikalien anschließend in gesundheitsgefährdender Dosis im Blut.
Im baden-württembergischen Rastatt, südwestlich von Karlsruhe im Rheintal gelegen, wurden PFAS 2012 zufällig im Trinkwasser der Stadtwerke entdeckt. Es war der Vorbote zu einer großflächigen Kontamination. Die Kosten für Reinigung, Sanierung und Aufklärung beliefen sich bis Ende 2024 auf rund 40 Millionen Euro. Viele weitere Millionen dürften folgen.
PFAS – das steht für »per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen«. Die Industrie hat in den vergangenen Jahrzehnten tausende Varianten davon entwickelt, die ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen. PFAS dichten die Outdoorjacke gegen Regen ab. Sie werden Pestiziden beigegeben, um diese wirkungsvoller zu machen. Sie sorgen dafür, dass in der Teflonpfanne nichts anbrennt, und dafür, dass Löschschaum Brände erstickt. Und ohne PFAS-Beschichtung würde der Coffee to go durch den Pappbecher sickern.
Auch Regen- und Mineralwasser ist belastet
Flüssigkeits- und schmutzabweisende PFAS machen unseren Alltag bequemer. Doch nachdem sie die ihnen zugedachte Funktion erfüllt haben, werden sie von der Lösung zum Problem. Denn PFAS sind künstliche Stoffe: In der Natur kommen sie nicht vor und auf natürlichem Weg sind sie so gut wie nicht abbaubar. Das hat ihnen den Spitznamen Ewigkeitschemikalien eingebracht.
»PFAS reichern sich mehr und mehr in der Umwelt an – so lange, bis sie bestimmte Grenzwerte überschreiten und zur Gefahr werden«, sagt Zhanyun Wang. Der Wissenschaftler befasst sich an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) im schweizerischen St. Gallen mit dem Management von Umweltrisiken. Wang kennt etliche Beispiele von Orten, wo sich die Chemikalien bereits angereichert haben. »In vielen Regionen der Welt ist Regenwasser schon so PFAS-haltig, dass man es nicht mehr bedenkenlos trinken kann.« Selbst Mineralwasser kann dieses Versprechen nicht länger einhalten. Gewonnen aus geschützten, tief gelegenen Gesteinsschichten, verspricht es wie kein zweites Lebensmittel natürliche Reinheit. Doch laut einer im Dezember 2024 veröffentlichten Untersuchung des Pesticide Action Network Europe fanden sich in 10 von 19 getesteten Mineralwässern Spuren von PFAS. Auch Marken aus Deutschland waren betroffen.
»Studien legen nahe, dass alle PFAS zu einem gewissen Grad giftig sind oder die Umwelt schädigen können«Zhanyun Wang, Umweltingenieur
Wie giftig sind PFAS? Da es so viele verschiedene Ewigkeitschemikalien gibt, lässt sich das nicht pauschal bewerten. Von manchen PFAS weiß man, dass sie zu erhöhten Cholesterinwerten führen, andere beeinträchtigen das Immunsystem oder vermindern die Wirkung von Impfungen – auch bei Babys, die PFAS über die Muttermilch aufnehmen. »Nicht alle PFAS sind gleich toxisch«, sagt Wang. »Aber die bisher verfügbaren Studien legen nahe, dass alle zu einem gewissen Grad giftig sind oder die Umwelt schädigen können.«
Katalysator zerlegt PFAS direkt im Wasser
Im Gewerbegebiet von Schlieren, zwei Tramstationen vor den Toren Zürichs, wächst ein Start-up namens Oxyle heran. Mit einem neuen Ansatz will das Unternehmen die Chemikalien wirkungsvoll aus der Umwelt entfernen.
Bisher gebräuchliche Anti-PFAS-Methoden verlagern das Problem oft nur: Man versucht, die PFAS per Aktivkohle oder Filtration aus dem Boden oder dem Wasser zu bekommen. Im Erfolgsfall bleibt dann hochkonzentrierter Giftmüll zurück, der entweder deponiert oder verbrannt werden muss. Beides ist aufwändig, teuer und birgt die Gefahr, dass die extrem langlebigen Chemikalien zurück in den Wasserkreislauf gelangen.
Oxyle geht einen anderen Weg. Das auf Wasserreinigung spezialisierte Spin-off der ETH Zürich hat einen Katalysator entwickelt, der PFAS aufspaltet und in unbedenkliche Minerale zerlegt – direkt im Wasser, ohne energieintensiven Umweg über Verbrennungsöfen. Auch kurzkettige PFAS, die als besonders widerspenstig gelten, werden durch den Katalysator zuverlässig zerstört. »Aus ewig wird endlich«, sagt Fajer Mushtaq mit Blick auf die Ewigkeitschemikalien.
Die Chefin und Mitgründerin von Oxyle ist heute Anfang 30 und hatte als Jugendliche in der indischen Millionenmetropole Delhi erlebt, wie wertvoll sauberes Wasser ist. »Als ich mit meiner Familie noch in den Bergen von Kaschmir gelebt hatte, gab es Wasser im Überfluss«, erinnert sich Mushtaq. »Damit war es in Delhi vorbei.« Die Flüsse waren Kloaken. Und was aus dem Wasserhahn sprudelte, war nicht trinkbar – sofern überhaupt etwas sprudelte. In den Sommermonaten blieb der Wasserhahn oft trocken. Diese Wasserknappheit, sagt Mushtaq, habe bei ihr einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Kleine Firma weckt große Hoffnung
Mit 17 Jahren, nachdem sie die Schule in Delhi abgeschlossen hatte, ging Mushtaq nach Großbritannien, studierte Elektrotechnik und zog anschließend weiter in die Schweiz, wo sie an der ETH Zürich Mikro- und Nanosysteme studierte. Ausgangspunkt der Oxyle-Gründung war Mushtaqs dortige Doktorarbeit. »Mein Professor stellte mir das Thema der Arbeit frei«, erzählt sie. »Er sagte lediglich: Widme dich etwas, was dir wirklich etwas bedeutet.« Mushtaq entschied sich dafür, verschmutztes Wasser zu reinigen. Ein Nebenprodukt ihrer Doktorarbeit war das Patent für einen neuartigen Nano-Katalysator – das Herzstück von Oxyle.
Die Firma gründete Mushtaq im Mai 2020 gemeinsam mit Silvan Staufert, der für seine Dissertation in einem benachbarten ETH-Labor forschte. Noch im ersten Jahr des Bestehens erhielt das Start-up mehr als zwei Millionen Euro aus einem Innovationsförderprogramm der EU. Vier Jahre später hat Oxyle um die zwölf Millionen Euro an Fördergeldern und Risikokapital eingesammelt und wurde mehrfach ausgezeichnet, etwa im November mit dem Swiss Technology Award 2024 in der Kategorie Start-ups.
Dass so viele Menschen so große Hoffnungen in eine so junge, kleine Firma setzen – derzeit arbeiten hier gerade einmal gut zwei Dutzend Mitarbeitende aus fast ebenso vielen Nationen –, wundert das Gründungsteam nicht. »Was wir anbieten, verändert die Spielregeln der Branche«, sagt Mushtaq selbstbewusst. Oxyle kann PFAS nämlich nicht nur an Ort und Stelle zuverlässig zerstören. Der Prozess läuft auch weit energie- und damit kosteneffizienter ab als bei bisher gängigen Verfahren, die PFAS unschädlich machen.
Mit nanoporösem Material und kleinem Reaktor
Der Schlüssel für das neuartige System ist der Katalysator. Er besteht aus nanoporösem Material und verfügt damit über eine riesige Oberfläche, an der die PFAS andocken. Aktiviert wird er allein durch die Fließbewegungen des Wassers. Dann zersetzt er die Chemikalien in unproblematische Nebenprodukte wie Fluorid- und Sulfationen sowie Kohlendioxid.
»Der Katalysator baut 99 Prozent der PFAS in harmlose, mineralisierte Produkte ab«Silvan Staufert, Technologievorstand bei Oxyle
»Unser Feststoffkatalysator baut 99 Prozent der kurz-, mittel- und langkettigen PFAS in harmlose, mineralisierte Produkte ab«, erklärt Silvan Staufert, neben Mushtaq Ko-Gründer und Technologievorstand des Unternehmens. »Der Prozess beginnt mit der Schaumfraktionierung, bei der PFAS bis zu 50-fach konzentriert werden.« Dafür nutze man deren Tendenz, sich an Luft-Wasser-Grenzflächen anzureichern. Durch die vorgeschaltete Konzentration kommt das Verfahren mit einem deutlich kleineren Reaktor aus – und es verbraucht deutlich weniger Energie. Denn nur das angereicherte Schaummaterial muss anschließend dem Katalysator zugeführt werden. Dieser funktioniert auf piezoelektrischer Basis: »Die Turbulenz im Wasser aktiviert ihn. Auf seiner Oberfläche erzeugt er dann elektrische Potenziale sowie hochreaktive oxidative und reduktive Teilchen – so genannte Spezies.«
Für das Säubern von einem Kubikmeter kontaminiertem Wasser braucht das Oxyle-System weniger als eine Kilowattstunde Strom. Andere destruktive Technologien benötigen etwa das 15-Fache. »Einen Kubikmeter PFAS-verunreinigtes Wasser in einer gängigen Verbrennungsanlage zu entsorgen, kostet tausende Franken«, sagt Staufert. »Mit unserer Technologie hingegen bewegen wir uns in der Größenordnung von ein paar Franken.«
PFAS-Reinigung in Echtzeit steuerbar
Ein zweiter Durchbruch des neuen Verfahrens geht auf Stauferts Forschungsarbeit an der ETH zurück: ein Messgerät, das den Fortschritt bei der PFAS-Reinigung fast in Echtzeit anzeigt. Damit lässt sich die Belastung des Wassers deutlich schneller analysieren als mit dem bisher üblichen Verfahren, bei dem Proben entnommen und an ein Labor gesendet werden – und Ergebnisse erst Tage oder gar Wochen später vorliegen. Mit Hilfe der neuen Messtechnik lässt sich der Sanierungsprozess zudem immer wieder nachjustieren. »Das spart zusätzlich Energie – und damit Kosten –, da wir die Intensität der Behandlung an schwankende PFAS-Eingangskonzentrationen anpassen können«, so Staufert.
Dem stimmt Anett Georgi zu. Am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig leitet die Chemikerin eine Arbeitsgruppe, die auf neue Verfahren für die Wasserreinigung spezialisiert ist. In dem Echtzeitüberwachungssystem von Oxyle sieht sie eine »erstaunliche Neuheit«, Vergleichbares sei bisher im Anwendungsmaßstab nicht verfügbar. Und auch dem energieeffizienten PFAS-Katalysator attestiert sie einen hohen Innovationsgrad: »Bisher brauchte man für das Reinigen des Wassers viel mehr Energie.« Aus ihrer Sicht dürfte der Technologie von Oxyle damit im Kampf gegen die PFAS-Verschmutzung mindestens ein Nischenplatz sicher sein – und diese Einschränkung gelte auch nur unter Umständen. »Die entscheidende Frage ist: Wie teuer ist der Katalysator und wie lange kann ich ihn einsetzen?«
Antworten darauf könnten schon bald folgen. In den vergangenen Jahren hat Oxyle die neuartige Anti-PFAS-Technologie im Labormaßstab demonstriert, im Herbst 2024 ging dann die erste Großanlage in Betrieb: in einem Schweizer Industriepark, wo bei Brandschutzübungen eingesetzter PFAS-haltiger Feuerlöschschaum das Grundwasser verunreinigt hat. In einem rund sieben Meter langen Container steht dort nun ein Oxyle-Katalysator und reinigt bis zu zehn Kubikmeter kontaminiertes Wasser pro Stunde.
Grundwasser, Oberflächenwasser und Bodenwaschwasser im Fokus
Ein »Meilenstein«, sagt Fajer Mushtaq. Denn damit haben sie und ihr Team gezeigt, dass ihre Idee auch in einer Größenordnung funktioniert, die praktische Anwendungen möglich macht. Um 50 oder 100 Kubikmeter Wasser pro Stunde von PFAS zu reinigen, kann man fünf oder zehn dieser Containermodule kombinieren.
Praktikabel ist das Oxyle-System damit bereits jetzt für lokale Umweltsanierungen. »Derzeit konzentrieren wir uns vor allem auf kontaminiertes Grundwasser, Oberflächenwasser und Bodenwaschwasser mit einer maximalen Kapazität von 100 Kubikmetern pro Stunde«, berichtet Silvan Staufert. Der nächste Schritt seien Anlagen, die groß genug sind, um PFAS-Kontaminationen direkt an der Quelle, in den industriellen Prozessen, zu bereinigen.
Um schließlich auch Trinkwasserquellen PFAS-frei zu bekommen, müsste die Technologie tausende Kubikmeter pro Stunde reinigen können. Dafür bräuchte es weitere Millioneninvestitionen, Prozessoptimierungen, Testreihen. »Ein zukünftiges Ziel« nennt es Staufert. Es liegt noch ein paar Meilensteine entfernt.
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