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Exotische Haustiere: Der Reiz des Einzigartigen

Hunde und Katzen begleiten uns seit zehntausenden Jahren. Aber unsere Haustiervorlieben wandeln sich. Was bewegt Menschen dazu, sich Schlangen, Kängurus oder Löwen zu halten?
Frau spielt mit Schlange
Die Zahl der Reptilien in deutschen Privathaushalten ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen. Waren es 2018 noch eine Million Terrarien für die Exoten, zählte man 2022 schon 1,3 Millionen.

Zarafa war noch klein, als sie ihren unfreiwilligen Weg zum Ruhm antrat: 1825 wurde die Giraffe von Jägern gefangen, von ihrer Herde getrennt und vom Gouverneur von Ägypten an den König von Frankreich verschenkt. Von Marseille aus wanderte sie 880 Kilometer in Begleitung von zwei Männern bis nach Paris. Zehntausende Menschen strömten in den Zoo der Hauptstadt, um sie zu sehen. Sie wurde zum Star: Ihr Bild zierte Kalender und Ölgemälde, man machte sie zur Heldin in Theaterstücken, ihr Muster prangte auf den Kleidern der französischen Bourgeoisie.

Auch heute, 200 Jahre später, haben wir noch immer eine Faszination für so genannte Exoten, also Tiere aus fernen Ländern: Der Handel mit ihnen ist ein milliardenschweres und wachsendes Geschäft. Und selbst in vielen deutschen Bundesländern darf man sich zum privaten Vergnügen ein exotisches Wildtier anschaffen – nur wenige, zum Teil invasive Arten sind davon ausgenommen. Auf der Internetplattform Quoka werden Kängurus für 180 bis 1100 Euro verkauft und immer wieder geistern Horrormeldungen über entflohene Schlangen durch unsere Medien.

Als im Juli 2023 eine vermeintliche Löwin durch Berlin streifte, kam schnell die Frage auf: Könnte das Tier aus einem Privathaushalt entkommen sein? Theoretisch ja. Denn die Haltung von Großkatzen wie Tigern oder Löwen ist hier zu Lande mitunter erlaubt – wenn die Unterbringung den Richtlinien entspricht. Wie viele solcher Raubkatzen es in deutschen Privathaushalten gibt, ist aber auf Grund der fehlenden Meldepflicht unklar. Die Tierschutzorganisation PETA schätzt, dass es dutzende Tiger sind.

Was bewegt Menschen dazu, sich einen Löwen, eine Giraffe, eine Schlange oder ein Chamäleon zuzulegen? Wie wird dieser Trend durch TikTok und andere soziale Medien befeuert? Und welche Konsequenzen hat das für das Wohl der Tiere?

Gewisse Resonanz erhofft

Laut dem emeritierten Psychologieprofessor Harold Herzog von der Western Carolina University spielt bei der Wahl des Haustiers grundsätzlich die Kultur eine stärkere Rolle als die Persönlichkeit. Wie in den meisten anderen Ländern bevorzugt man in Deutschland vor allem zwei tierische Begleiter: Katzen wohnen in 24 und Hunde in 21 Prozent der Haushalte. Mancherorts auf der Welt werden auch Strauße, Fledermäuse oder Bären gehalten, im Amazonasbecken wählen unterschiedliche Stämme verschiedene Arten. Die einen präferieren Faultiere, die anderen Wasserschweine, wieder andere entscheiden sich für Nasenbären.

Viele Heimtierhalterinnen und -halter erhoffen sich dem Umweltsoziologen Marcel Sebastian von der Technischen Universität Dortmund zufolge von ihren Schützlingen vor allem eines: eine gewisse Resonanz. Der Soziologe Hartmut Rosa von der Friedrich-Schiller-Universität Jena versteht darunter vor allem eine Kommunikation, bei der beide Seiten einander antworten, sich anregen oder gegenseitig verstärken. Geht Herrchen oder Frauchen etwa zum Schrank, um die Leine zu holen, dann freut sich der Hund und wedelt mit dem Schwanz. Er versteht, was passiert, und reagiert.

»Hunde und Menschen haben ihr Verhalten über Zehntausende von Jahren aufeinander abgestimmt und so eine enge Beziehung zueinander aufgebaut«, erklärt Sebastian. Das zeigt sich sogar in ihrem Erbgut, wie ein Team um Monique Udell von der Oregon State University 2017 belegte: Hunde sind im Gegensatz zu Wölfen extrem sozial gegenüber Menschen, was sich unter anderem auf zwei Genvarianten zurückführen lässt. Wenn der Hund wegen seines ausgeprägten Bedürfnisses nach Nähe kuscheln kommt, beeinflusst das den Menschen und dieser kann wieder darauf reagieren. Es entsteht somit Resonanz.

Doch was ist mit Tierarten, die nicht derart auf den Menschen eingespielt sind? Löwen betrachten ihre Besitzer nicht mit einem Dackelblick, um eine Scheibe Fleisch abzubekommen. Schlangen liegen meist regungslos in der Ecke, anstatt sich freudig um die Beine des Halters oder der Halterin zu schlängeln, wenn er oder sie nach Hause kommt. Was ist also die Motivation von Menschen, sich einen solchen tierischen Begleiter zuzulegen?

Laut Sebastian ist eine wichtige Voraussetzung, dass der oder diejenige das Tier ähnlich wie einen Hund als Interaktionspartner ansieht. Also zum Beispiel die Bereitschaft hat, im tierischen Gegenüber überhaupt ein handlungsfähiges Du zu sehen, ein Individuum, mit dem man sinnvoll interagieren kann. Das kann schon eine gewisse Faszination auslösen.

Zwischen Liebe und Exzentrik

Eine der wenigen Studien dazu stammt von Anna Hausmann von der Universität Helsinki. Die Forscherin und ihr Team befragten 316 Menschen aus der ganzen Welt nach ihrer Motivation, Geckos, Lemuren oder Papageien zu halten. Die meisten waren Europäer und selbst Besitzer solcher Exoten. Viele der Befragten gaben an, sich um die Lebewesen kümmern und von ihnen lernen zu wollen oder einfach von der Art fasziniert zu sein. Es waren also ähnliche Gründe wie bei Hunden und Katzen. Die meisten der Personen würden sich auch für den Erhalt des Tiers in der Natur einsetzen.

»Wenn jemand wirklich fürsorglich sein möchte, dann wird er oder sie sich keine Schildkröte zulegen«Jennifer Vonk, vergleichende Psychologin

»Wenn jemand wirklich fürsorglich sein möchte, dann wird er oder sie sich keine Schildkröte zulegen«, sagt wiederum die vergleichende Psychologin Jennifer Vonk von der Oakland University in Michigan. Allerdings könnte die Fürsorge etwa für einen Leguan nach außen hin signalisieren, dass man sich für ein landläufig unterschätztes Tier einsetzt. Vonk schaute sich daher vor allem an, wie sich Eigenschaften von Narzissmus auf die Neigung zur Haltung exotischer Haustiere auswirken – zum Beispiel ein übertriebenes Gefühl von Großartigkeit oder Dominanz.

2023 befragten die Psychologin und ihre Kollegin Victoria O'Connor 473 Menschen zunächst dazu, ob sie »Tiger King« geschaut hatten oder nicht. Die populäre Netflix-Serie von 2020 dokumentiert das Leben von Joe Exotic, einen umstrittenen Raubtierkatzenhalter in den USA. Diejenigen Befragten, die hohe narzisstische Anteile aufwiesen, befürworteten eher die Haltung von Exoten – unabhängig davon, ob sie die Serie geschaut hatten oder nicht. Menschen mit großer Empathiefähigkeit hingegen wollten, wenn sie die Serie gesehen hatten, eher weniger eine Raubkatze besitzen. Vonks These lautet, dass man sich mit narzisstischen Anteilen eher durch das »Außen« definiere. Vielleicht könnte das Halten des außergewöhnlichen Tiers also den sozialen Status aufrechterhalten oder erhöhen. Es sind prinzipiell Eigenschaften, die in jeder Person vorhanden sein können.

Laut Sebastian spielt auch »eine gewisse Exzentrik« bei vielen Halterinnen und Haltern eine Rolle. Was vielleicht negativ klinge, sei aber nur der Wunsch, besonders zu sein. Zudem sei das Leben mit Heimtieren insgesamt eine Möglichkeit, um seine Persönlichkeit ausdrücken: »Ein Labrador zeigt womöglich, dass man ein Familienmensch ist. Ein Kampfhund wird häufig mit Männlichkeit und Dominanz assoziiert.«

Welche Rolle spielen Medien bei der Frage, ob man sich ein Haustier jenseits der Norm zulegt? Aktuell zeigen auf TikTok viele Menschen, wie sie mit Stachelschweinen spazieren gehen oder sich farblich passend zu ihren Krabben schminken, die ursprünglich in Costa Rica vorkommen. »Man merkt, dass das Thema virulenter wird«, sagt der Soziologe Sebastian. Werbung, Filme und Serien wie »Tiger King« können Zuschauende in ihrer Neigung, sich ein entsprechendes Tier anzuschaffen, beeinflussen. So stiegen nach einer erneuten Verfilmung von »101 Dalmatiner« 1985 die Zahlen der registrierten Dalmatiner in Amerika von 8170 auf 42 816 in den folgenden acht Jahren an. Nach dem Film »The Shaggy Dog« von 1959 kam es sogar zu einer 100-fachen Zunahme der Registrierungen von altenglischen Schäferhunden.

Auf Kosten des Tierwohls?

Aber was passiert mit den fremdländischen Wildtieren, wenn sie aus den Haushalten entfliehen? Mit diesem Problem kennt sich die Leiterin des Berliner Tierheims Mareen Esmeier gut aus. Verwahrloste, exotische Haustiere werden hier in das »Exotenhaus« gebracht. Wie die vier Nattern, die vermutlich über Jahre in einem Terrarium auf Zeitungspapier und ohne Wärmequelle gehalten wurden. Ihre Körper waren abgemagert, ihre Haut milchig und matt.

»Ein Labrador zeigt womöglich, dass man ein Familienmensch ist. Ein Kampfhund wird häufig mit Männlichkeit und Dominanz assoziiert«Marcel Sebastian, Umweltsoziologe

Die EXOPET-Studie der kürzlich verstorbenen Professorin Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns von der Universität Leipzig zeichnet ein ähnliches Bild: Auf den besuchten Vogel- und Reptilienbörsen waren die Verkaufsboxen verschmutzt, die Tiere erhielten zu wenig Futter und es gab nur unkonkrete Angaben über ihre Herkunft. Zudem gibt es laut einer Online-Umfrage im Zuge der Studie unter den Privathaltern zu wenig Informationen über eine artgerechte Haltung. So hatten zum Beispiel mehr als 30 Prozent der Besitzerinnen und Besitzer von Chinchillas, Farbmäusen, Farbratten, Mongolischen Rennmäusen und Weißbauchigeln kein ausreichend großes Gehege zur Verfügung gestellt.

Damit es gar nicht zu Haltungsfehlern kommt, fordert Esmeier wie auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir eine so genannte Positivliste. Darauf würden laut der Tierheimleiterin zum Beispiel Hund, Katze, Kornnatter und 200 andere Tierarten stehen. Alle anderen wären als Haustiere verboten. »Warum braucht jemand etwa anspruchsvoll zu haltende, exotische Tiere wie Schlangen oder ein Chamäleon zu Hause? Das habe ich nie verstanden«, sagte Özdemir gegenüber der »Südwest Presse«. Das sieht der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands (ZZF) kritisch: Bisherige Regulierungen, also etwa Verbote spezieller Tierarten, seien ausreichend. Positivlisten würden außerdem weder das Tierwohl verbessern noch den illegalen Handel verhindern.

Esmeier ist anderer Meinung: Zum einen werden einige Tiere speziell gezüchtet, so dass etwa Kornnattern eine rot-schwarze Farbe annehmen. Die würden als Erstes gefressen, wenn sie entkommen und in den »Modefarben aus der Berliner Wohnung durch den Wald kriechen«. Zum anderen würden unzureichende Nachweise oder die Entnahme aus der Wildnis dafür sorgen, dass die Populationen in der Natur schrumpfen. Wie schnell das gehen kann, zeigt das Beispiel des himmelblauen Zwergtaggeckos, der auf Grund seines strahlenden Türkis besonders beliebt ist. Er lebt auf einem winzigen Fleck in Tansania. Aber allein zwischen 2004 und 2009 ist die Population auch wegen des Tierhandels um 15 Prozent zurückgegangen. Laut Esmeier ist die Art nur wenige Jahre später fast ausgestorben, bevor jegliche Verbote greifen.

Egal, ob man sich also aus Tierliebe oder Exzentrik, auf Grund der kulturellen Hintergründe oder aus einem Wunsch nach Resonanz für ein gewisses Tier interessiert – das alles darf nicht zu Lasten des Individuums und der jeweiligen Art gehen.

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