Exotik im Weltraum: Ein Heliumstern im Griff einer kosmischen Spinne

Etwa 26 000 Lichtjahre von der Erde entfernt und verborgen hinter einem Spiralarm unserer Milchstraße lauert eine kosmische Spinne: ein Millisekundenpulsar namens PSR J1928+1815, der sich in einem engen Doppelsystem mit einem Begleitstern befindet. Kosmische Spinnen erhalten ihre Bezeichnung nicht von ungefähr. So wie bei manchen irdischen Spinnenarten das größere Weibchen das kleinere Männchen nach erfolgreicher Paarung verspeist, »frisst« der massereichere Millisekundenpulsar Material seines masserärmeren Begleiters, so dass dieser im Extremfall vollständig verdampft. Nun wollen Forschende um Zonglin Yang von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften mit PSR J1928+1815 erstmals ein besonders exotisches Exemplar entdeckt haben. Wie die Arbeitsgruppe im Fachmagazin »Science« schreibt, hat sich der Spinnen-Pulsar nämlich damit zufriedengegeben, seinem Begleitstern die äußeren Gashüllen zu nehmen und ihn als Heliumstern zurückzulassen.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten den Pulsar PSR J1928+1815 mit Hilfe des Radioteleskops FAST im Rahmen einer Himmelsdurchmusterung der galaktischen Ebene entdeckt. Pulsare sind Neutronensterne, die sich extrem schnell um ihre eigene Achse drehen und dabei von ihren Polen ausgehend Strahlungskegel im Kreis schwenken. Zeigt zumindest ein Teil dieses Strahlungskegels in Richtung Erde, können Forschende anhand der darin enthaltenen Radiostrahlung auf die Eigenschaften des Pulsars schließen.
PSR J1928+1815 rotiert mit einer Periode von 10,55 Millisekunden und befindet sich in einem kompakten Doppelsystem mit einer relativ kurzen Umlaufdauer von 3,6 Stunden. Anhand von Folgebeobachtungen mit dem Radioteleskop FAST konnte die Arbeitsgruppe um Zonglin Yang weitere Einblicke in das System erhalten. Lücken in den empfangenen Radioausstrahlungen des Pulsars deutet sie als Bedeckungen des Pulsars durch den Begleitstern. Darüber hinaus schließt sie aus der Rotationszeit des Pulsars darauf, dass dieser erst kürzlich Materie von seinem Begleitstern abgesaugt habe. Es gelang den Forschenden nicht, dieses »Opfer« des Spinnen-Pulsars in anderen Wellenlängenbereichen aufzuspüren. Ungewöhnlich ist das nicht, da sich PSR J1928+1815 aus Sicht der Erde hinter einem Spiralarm der Milchstraße befindet und sein Licht durch den dazwischenliegenden interstellaren Staub verschluckt wird.
Ihren Fund interpretieren die Forschenden als hoch exotisches und noch nie zuvor beobachtetes Doppelsystem aus einem Pulsar und einem Heliumstern, bei dem es sich einst um einen massereichen Hauptreihenstern gehandelt habe. Sobald dieser Hauptreihenstern die Wasserstoffvorräte in seinem Inneren aufgebraucht hatte, zündete im Kern die Heliumfusion und der Stern blähte sich so weit auf, dass der Neutronenstern Materie absaugen konnte. Dadurch blähte sich das »Opfer« noch weiter auf und hüllte sich und den Neutronenstern in eine gemeinsame Hülle ein.
Eine solche Phase der gemeinsamen Hülle dauert nur wenige tausend Jahre. Währenddessen nimmt der Spinnen-Pulsar weiterhin Material seines Begleitsterns auf und rotiert immer schneller. Die beiden Objekte nähern sich weiter an und umkreisen sich immer enger. Geschieht das zu schnell, können beide Objekte miteinander verschmelzen. Doch im Fall von PSR J1928+1815 stieß das Doppelsystem wohl seine gemeinsame Hülle ab, bevor es dazu kommen konnte. Zurückgeblieben ist der Spinnen-Pulsar sowie eine Art »entblößter« Begleitstern, der den Großteil seiner äußeren Hüllen verloren hat und der als Heliumstern seine Entwicklung fortsetzt, bis auch die letzten Brennstoffvorräte verbraucht sind.
Laut den Forschenden sollte ihr Fund ein wahrer Exot sein. Sie schätzen, dass es derzeit in der gesamten Milchstraße nicht mehr als 84 solcher Doppelsysteme aus einem Pulsar und einem Heliumstern geben sollte. Das liegt unter anderem daran, dass ein derartiges System auf kosmischen Zeitskalen sehr kurzlebig ist. Immerhin dürfte der Heliumstern das Gröbste hinter sich haben – denn gefressen wird er wohl nicht mehr. Und mit einer geschätzten Masse von 1 bis 1,6 Sonnenmassen sei er auch nicht massereich genug, um als Supernova zu explodieren. Stattdessen würde er wohl in ein paar Millionen Jahren das Ende seiner Entwicklung erreichen und schließlich als Weißer Zwerg in relativ sicherem Abstand von seinem gefräßigen Partner den Rest seiner kosmischen Existenz fristen, so die Forschenden.
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