Amelia Earharts Wrack: Liegt hier eine Sensation der Luftfahrtgeschichte?

Manche Menschen werden zu Legenden, obwohl sie scheiterten. Robert Falcon Scott (1868–1912) etwa, der 1912 im Wettrennen zum Südpol gegen Roald Amundsen (1872–1928) unterlag und in seinem ergreifenden Tagebuch schilderte, wie seine Kameraden starben, einer nach dem anderen. Am Ende starb auch er selbst. Oder George Mallory (1886–1924) und Andrew Irvine (1902–1924), die im Sommer 1924 als Erste den Mount Everest besteigen wollten und, – das ist bis heute ungeklärt – entweder bevor oder nachdem sie den Gipfel erreicht hatten, zu Tode kamen. Auch Amelia Earhart gehört in diese illustre Reihe: Ihr spurloses Verschwinden am 2. Juli 1937 nährt bis heute viele Spekulationen.
Amelia Earhart, geboren 1897 in Atchison im Nordosten von Kansas, war 39 Jahre alt, als sie unweit von Howland Island inmitten des Pazifiks ihren letzten Funkspruch absetzte. Neben ihr saß Fred Noonan. Sie war die Pilotin, er ihr Navigator. Beide hatten 44 Tage zuvor, am 20. Mai 1937, in Oakland die zweimotorige Lockheed Electra 10E bestiegen. Earhart wollte als erster Mensch überhaupt die Erde (ungefähr) entlang des Äquators und also auf der bislang längsten Strecke umrunden.
Wer, wenn nicht sie? Amelia Earhart hatte es als Frau an die renommierte Columbia University geschafft, wo sie ein Medizinstudium begann, es aber wieder abbrach – unter anderem, weil die praktischen Aspekte des Berufs sie abschreckten. Und weil sie sich mehr für alles Technische interessierte. Nachdem sie 1920 in einem Flugzeug mitfliegen durfte, galt ihre große Leidenschaft der Fliegerei. Sie nahm Flugunterricht, erhielt ein Jahr später als eine der ersten Frauen weltweit die Fluglizenz und kaufte kurz darauf auch ihre eigene Maschine, mit der sie prompt den Höhenrekord für Pilotinnen aufstellte. 1928 machte sie weltweit Schlagzeilen, nachdem sie, nur ein Jahr nach Charles Lindbergh (1902–1974), als erste Frau den Atlantik überquert hatte – wenngleich bloß als Passagierin oder, wie sie selbst es ausdrückte: »Ich war nur Gepäck, wie ein Sack Kartoffeln.« Denn ans Steuer ließ der männliche Pilot sie nicht. 1932 sollte sie aber auch das schaffen: In einer einmotorigen Lockheed Vega flog sie über den Atlantik. Als erste Frau am Steuer.
Pilotin, Frauenrechtlerin, Medienstar
Earhart war eine Pionierin in einer durch und durch maskulinen Welt. Viele ihrer Rekorde erreichte sie nicht als erster Mensch, sondern als erste Frau. Wie bezeichnend, dass sie vor ihrer Hochzeit im Jahr 1931 ihrem Verlobten, dem Publizisten George Putnam (1887–1950), schrieb, sie würde wohl von Zeit zu Zeit einen Ort brauchen, an dem sie sie selbst sein könne. Andernfalls würde sie die Einschränkungen selbst »eines attraktiven Käfigs« wohl nicht ertragen, womit sie die bevorstehende Ehe gemeint haben dürfte.
Earhart war auch eine unideologische, pragmatische, aber wirkmächtige Feministin, die sich, wo immer sie konnte, für die Gleichstellung von Frauen einsetzte. An der Purdue University etwa, wo sie Luftfahrttechnik lehrte, förderte sie in ihrem Amt als erste offiziell bestellte Berufsberaterin für Frauen deren Einstieg in technische Berufe. Die Universität ehrt sie dafür bis heute als Vorbild für Frauen in Wissenschaft und Technik und hütet eine der größten Sammlungen von Briefen, Dokumenten und Fotos von ihr. Anfang November wird Purdue einmal mehr Amelia Earhart und Fred Noonan ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit rücken. Doch dazu später mehr.
Im Jahr 1937 war Amelia Earhart weltberühmt. Sie hatte ihre fliegerischen Abenteuer in mehreren Bestsellern beschrieben und warb in Illustrierten für Mode, Zigaretten und Reisekoffer. Entsprechend groß war das mediale Interesse, als sie zu ihrem Flug rund um die Welt aufbrach – dem zweiten Anlauf übrigens, nachdem ihre Maschine einige Monate zuvor beim Abheben gecrasht war. Nach dem Start in Oakland hatten sie und ihr Navigator die Lockheed Electra zunächst südwärts nach Brasilien und von dort ostwärts entlang des Äquators über Westafrika, Kalkutta und Rangun nach Neuguinea gesteuert. Der größte Teil der Strecke war damit geschafft, vor ihnen lag jetzt »nur« noch der Pazifik. Am Morgen des 2. Juli füllten sie die Tanks mit fast 4200 Litern Benzin und hoben ab. Ihr Ziel lag rund 4100 Kilometer entfernt: Howland Island.
»Amelia down!«
Auf dem nur 2,6 Quadratkilometer großen Eiland hatte man eigens für den Rekordversuch ein provisorisches Flugfeld angelegt; in der Nähe lag zudem ein Schiff der US-Küstenwache vor Anker, das die beiden Flieger per Funk zur Insel lotsen sollte. Regelmäßig erhielten die Männer an Bord der »Itasca« die Statusmeldungen von Earhart und Noonan und gaben ihrerseits Routinemeldungen durch, von denen Earhart allerdings keine einzige quittierte. Im Funkraum des Schiffs begann man allmählich, die berühmte »Lady Lindy«, wie die Zeitungen Earhart in Anlehnung an Charles Lindbergh nannten, für entweder arrogant oder schlicht für unfähig zu halten. Erst später stellte sich heraus, dass Earhart die »Itasca« gar nicht hören konnte. Die Empfangsantenne der Maschine war beim Start in Neuguinea abgerissen; das soll man auf Filmaufnahmen vom Start der Maschine sogar sehen können. Nach rund 19 Stunden Flug über dem Meer und mehreren gescheiterten Versuchen, das Signal des Schiffs aufzufangen, gab Earhart noch einmal ihre Flugrichtung durch. Es war der letzte Funkspruch, der sich eindeutig der Electra zuordnen lässt.
Nur Stunden später startete die bis dahin größte Suchaktion in der Geschichte der Luftfahrt. James Carey, ein junger Journalist an Bord der »Itasca«, schrieb eine Eilmeldung: »Flash news from ship Itasca: ›Amelia down‹«. In den USA unterbrachen Radiosender ihre Programme, Zeitungen machten ihre Titelseiten frei für Schlagzeilen zum Verschwinden Earharts. Zwei Wochen hielt die fieberhafte Suche das Land Atem; bis sie schließlich am 19. Juli eingestellt wurde. Amelia Earhart und Fred Noonan waren verschollen und vermutlich tot.
Gefunden wurden ihre Leichen bis heute nicht. Und so ranken sich zahlreiche Mythen um das Verschwinden der beiden. Manche munkelten, Earhart habe den Absturz überstanden und als Bankerin in New Jersey weitergelebt. Andere spekulierten, dass die beiden nach der Notlandung auf einer japanischen Insel wegen Spionageverdachts festgenommen und getötet wurden. Doch nichts von alledem lässt sich irgendwie beweisen.
Schaffte Earhart doch noch die Notlandung?
Gewiss ist, dass die Kommunikation wegen der abgerissenen Antenne gestört war. Und auch das Navigationssystem, das die beiden zum Schiff und dann zur Insel lotsen sollte, funktionierte nicht einwandfrei. Selbst der erfahrene Navigator Fred Noonan konnte unter solchen Bedingungen kaum ein so winziges Fleckchen Erde wie Howland Island in den Weiten des Ozeans finden. Das wahrscheinlichste Szenario in dieser Lage ist eines, in dem den beiden bei der Suche nach der Insel der Treibstoff ausging, das Flugzeug abstürzte und auf den mehrere tausend Meter tiefen Meeresboden sank.
Die einzige ernstzunehmende Alternative zum Absturz über offenem Meer ist die sogenannte Nikumaroro-Hypothese, benannt nach der gleichnamigen Insel, auf der Earhart im buchstäblich letzten Moment eine Notlandung geglückt sein soll. Die Hoffnung, dort noch Hinweise auf das Geschehen zu entdecken, hat bereits zahlreiche Expeditionen in die Südsee inspiriert – insbesondere unter Federführung der gemeinnützigen Organisation The International Group for Historic Aircraft Recovery (TIGHAR).
Anfang November 2025 starten nun erneut Expertinnen und Experten nach Nikumaroro, diesmal organisiert von der Purdue Research Foundation (PRF) und dem Archaeological Legacy Institute (ALI). Denn auf jener kleinen Insel, ungefähr 650 Kilometer oder 2,5 Flugstunden südöstlich von Howland Island, ist ein neuer Hinweis aufgetaucht. Am Lagunenrand bei der Halbinsel Taraia hat ein amerikanischer Hobbyforscher auf einem Satellitenbild ein rätselhaftes Objekt entdeckt. Das war 2020.
Der Blick auf Bilder älteren Datums legt nahe, dass sich das »Taraia Object« schon länger an Ort und Stelle befindet. Sogar auf Fotos von 1938 wollen es die Wrackjäger erkannt haben, allerdings sind die Aufnahmen viel zu schlecht für eine sichere Identifikation. In den vergangenen Jahrzehnten scheint es jedenfalls vom Schlick der Lagune zugedeckt gewesen zu sein. Ab dem Jahr 2015 erscheint es in Aufnahmen, womöglich wurde es damals durch den tropischen Zyklon Pam freigelegt.
Die Bilder zeigen eine längliche Struktur, die sich vom umliegenden Lagunensaum abhebt. Das Objekt ist mehrere Meter lang und liegt nur einen Steinwurf vom Strand entfernt im trüben Wasser. Das Expeditionsteam will nun herausfinden, ob es sich dabei um den Rumpf oder das Heck der Lockheed Electra 10E handelt. Die Maße, so scheint es, stimmen jedenfalls. Auch reflektiert das Objekt offenbar Licht und könnte ergo metallisch sein.
Massenhaft Indizien und kein einziger Beweis
TIGHAR-Chef Ric Gillespie, der seit mehr als 35 Jahren nach den beiden Verschwundenen sucht und Nikumaroro ebenfalls für den Schicksalsort von Earhart und Noonan hält, setzt in das »Taraia Object« indes keine Hoffnung: »Ich verstehe den Wunsch, ein Teil von Amelia Earharts Flugzeug zu finden. Gott weiß, wir haben es ja selbst versucht«, sagte er gegenüber dem US-amerikanischen Sender NBC News. »Aber die Daten, die Fakten, stützen die Vermutung nicht. So einfach ist das.« Er sieht auf den Bildern die Reste einer Kokospalme.
Die Nikumaroro-Hypothese würde es nicht erschüttern, wenn sich das Objekt als Palme entpuppt. Auf das kleine Atoll als wahrscheinlichsten Ort einer hypothetischen Notlandung waren die Luftfahrtenthusiasten nicht wegen irgendeines Wracks gestoßen, sondern weil es sich schlüssig in die Ereignisse unmittelbar nach Earharts letztem bestätigtem Funkspruch einfügt. Zwar stammt keiner der 120 Notrufe, die von amerikanischen Amateurfunkern und auch Radiosendern aus den Tagen nach dem Unglück gemeldet wurden, zweifelsfrei von den zwei Gestrandeten, fast die Hälfte davon wurden aber auf Earharts Frequenzen gesendet, und es ist nach Erkenntnissen von Expertinnen und Experten zumindest technisch möglich und zeitlich plausibel, dass die Flugpionierin hinter diesen Mitteilungen steckt. Überdies hatte ein gewisser Leutnant John O. Lambrecht, Pilot eines der Suchflugzeuge, am 9. Juli 1937 beim Überflug der seit Langem unbewohnten Insel Nikumaroro Anzeichen eines kürzlichen Aufenthalts von Menschen gesehen. Da man aber niemanden entdeckte, blieb es bei dem Überflug.
Aus den Puzzleteilen, die die Wracksucher zusammengetragen haben, rekonstruieren sie folgende mögliche Ereigniskette: Earhart setzte die Electra auf dem Außenriff auf und gab noch einige Tage lang Funksprüche ab, bis die Flut das Wrack ins Meer spülte. Fred Noonan erlag kurz darauf seinen Verletzungen. Auf sich allein gestellt, errichtete Earhart noch ein Lager. Schließlich verstarb aber auch sie.
Die Spekulationen um den Verbleib von Earhart und Noonan nahmen Fahrt auf, als ein britischer Kolonialbeamter 1940 auf Nikumaroro den Fund von Menschenknochen und einer leeren Sextantenkiste meldete. In späteren Jahren tauchten unter anderem weitere Knochen, Reste einer Schuhsohle der Marke »Cat's Paw«, eine Flasche des von Earhart angeblich geschätzten französischen Likörs Bénédictine, Kosmetikartikel sowie zahlreiche Blech- und Plexiglasteile auf. All die Dinge machen eine Notlandung von Earhart und Noonan plausibel, aber sie beweisen sie nicht. Denn weder die vor Jahrzehnten verschwundenen Knochen noch die Artefakte lassen sich bis heute eindeutig Earhart, Noonan oder ihrem Flugzeug zuordnen. Durchaus denkbar wäre auch, dass einige davon von dem 1929 an einem Riff im Nordwesten der Insel gestrandeten britischen Frachter »Norwich City« stammen. Oder von während des Zweiten Weltkriegs abgestürzten Flugzeugen. Oder von havarierten Schiffen. Auch damals schon trieb in den Meeren viel zivilisatorischer Müll.
Ein Wrackteil der Electra wäre eine Sensation
Und nun also das »Taraia Object«. »Uns bietet sich hier vielleicht die beste Gelegenheit aller Zeiten, den Fall endgültig abzuschließen«, sagt Richard Pettigrew, Chef des ALI und Initiator der Expedition. »Ich glaube, wir haben keine andere Wahl, als weiterzusuchen.« Der Archäologe wird die Expedition zusammen mit Forschenden der Purdue University leiten. Auch TIGHAR-Leute, die die Insel von ihren früheren Expeditionen ja gut kennen, werden dabei sein. 900 000 US-Dollar soll die spendenfinanzierte Expedition insgesamt kosten, 500 000 Dollar will die PRF beisteuern. Wenn alles nach Plan läuft, wird das Team am 4. November 2025 in Majuro auf den Marshallinseln an Bord von zwei kleinen Schiffen gehen und nach einigen Tagen Nikumaroro erreichen.
Vor Ort dürfte dann alles recht schnell gehen, schließlich liegt das Objekt im flachen Wasser unweit des Strands. Das Team plant eine genaue Vermessung des Meeresbodens und will mit Drohnen nach weiteren Strukturen in der Lagune suchen. Spannend wird es, wenn Taucher sich das Ganze aus der Nähe ansehen. Falls sich dann herausstellt, dass die Überreste wirklich von Earharts Lockheed Electra stammen, sollen sie im kommenden Jahr geborgen, konserviert und in die USA zurückgebracht werden. In dem Fall übrigens bekommt, wer mindestens 25 000 Dollar spendiert hat, eine Koje an Bord des Bergungsschiffs und darf vor Ort dabei sein.
Und wenn die Taucher am Ende Teile eines anderen Flugzeugs oder der gestrandeten »Norwich City« oder einfach nur eine modrige Palme finden? Auch dann wird Amelia Earhart Ende des Jahres einmal mehr ins Licht der Weltöffentlichkeit gerückt. Die Legende lebt weiter. Das ist sicher.
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