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News: Explodierende Zwerge

Um zur Supernova zu werden, braucht ein Stern genügend Masse. Reicht seine Materie dafür nicht aus, schrumpft er zum Weißen Zwerg. Das könnte die vorläufige Endstation sein - wenn nicht der Nachbar irgendwann ordentlich Atome in der Gegend verteilt.
Maßbänder aus Gummi taugen nichts. Ein bisschen dran gezogen, und der größte Mann misst scheinbar nur einen knappen Meter. Da ist der gute alte Zollstock aus Holz doch viel verlässlicher, und auch das Rollband aus Blech liefert vernünftige Werte. Man muss schon Bescheid wissen über seine Elle, wenn man Distanzen korrekt bestimmen möchte. Auf der Erde kein Problem – aber wie sieht es bei wortwörtlich extragalaktischen Entfernungen aus? Die Standard-Messlatte der Astronomen ist das Licht einer besonderen Quelle: Supernovae vom Typ Ia leuchten extrem hell und sehen immer gleich aus. Das vermuten die Wissenschaftler zumindest, obwohl sie bei näherer Betrachtung nicht wirklich alle Details dieser Sternexplosionen verstehen.

Zunächst einmal unterscheiden sie Supernovae nach ihren Spektraleigenschaften: Beim Typ I fehlen Linien, die auf die Anwesenheit von Wasserstoff hinweisen, beim Typ II hingegen findet man sie sehr wohl. Dieser Typ II entsteht, wenn der Kern eines äußerst massereichen Sterns mit einer Explosion zu einem Neutronenstern oder gar einem Schwarzen Loch kollabiert. Ganz so spektakulär geht es beim Typ Ia nicht zu. Doch auch dessen Schauspiel ist beeindruckend, ein echter metallischer Feuerball, erklärt Lifan Wang vom Lawrence Berkeley National Laboratory. "Ein Typ Ia verfügt weder über Wasserstoff, noch über Helium, dafür hat er aber Mengen von Eisen, radioaktivem Nickel, Kobalt und Titan, ein wenig Silicium und ein bisschen Kohlenstoff und Sauerstoff." Diese bunte Mischung von Elementen hat der Vorgängerstern im Laufe seines aktiven Lebens gebildet und gesammelt, bevor er – ohne große Show – zu einem Weißen Zwerg schrumpfte, dessen Energie nicht ausreicht, um doch noch einen Knalleffekt zu zünden. Wie soll es dann zur Supernova kommen?

Eine endgültige Antwort hat die Wissenschaft nicht, dafür mehrere Ideen. Eine davon setzt voraus, dass der Weiße Zwerg Teil eines Doppelsternsystems ist. Nicht größer als die Erde, dafür so schwer wie die Sonne sammelt der Zwerg eifrig Materie, die sein Partner ausstößt, bis er das 1,4fache der Sonnenmasse zusammen hat. Überschreitet er diese so genannte Chandrasekhar-Grenze, gibt es die erwartete thermonukleare Explosion. Andere Modelle postulieren die Verschmelzung zweier Weißer Zwerge oder die Wiederaufnahme jener Materie, die der Stern in besseren Zeiten selbst davongeblasen hat. In jedem Fall braucht der Kandidat für eine verspätete Supernova Materie.

Woher die benötigten Atome stammen könnten, glauben nun Astronomen um Dietrich Baade vom European Southern Observatory (ESO) herausgefunden zu haben. Mit dem Very Large Teleskop des ESO in Chile untersuchten sie die Polarisierung des Lichtes von SN 2002ic, einer Supernova vom November 2002. Ganz entgegen der Erwartungen hatten andere Forscher im August 2003 bei SN 2002ic Anzeichen für Wasserstoff gefunden – eigentlich ein Unding für eine Supernova vom Typ Ia. Und statt langsam immer schwächer zu werden, verstärkte sich die Wasserstofflinie des Spektrums im Laufe eines Jahres sogar noch. Was ging da vor in einer Milliarde Lichtjahren Entfernung, in einer namenslosen Galaxie im Sternbild Fische?

So wie es im polarisierten Licht aussieht, hat der Vorgängerstern von SN 2002ic ursprünglich nicht alleine seine Runden gezogen. Wahrscheinlich hat es früher einmal einen Begleitstern gegeben, der an seinem Ende Materie ins All geschleudert hat. Daraus bildete sich eine abgeflacht Scheibe von Gas und Staub mit klumpigen Regionen von hoher Dichte. Diese Materie sog der Weiße Zwerg, der so gerne zur Supernova werden wollte, begierig ein. Schließlich reichte seine Masse aus, er explodierte als SN 2002ic, und seine mit hohen Geschwindigkeiten ausgestoßene Materie interagiert mit den viel langsameren Teilchen der Scheibe. Auf der Erde erscheint dies einem Beobachter wie eine untypische Typ-Ia-Supernova.

Auch innerhalb unserer Milchstraße könnten sich ähnliche Prozesse abspielen. Als protoplanetarische Nebel bezeichnen Astronomen Objekte, bei denen es sich oft um die weggeblasenen äußeren Hüllen größerer Sterne handelt. Rotieren die Sterne ausreichend schnell, entstehen unregelmäßige flache Materiescheiben. Ein gefundenes Fressen für Weiße Zwerge, die zur rechten Zeit kommen, denn die Phase der protoplanetarischen Nebel dauert nur ein paar Jahrhunderte oder Jahrtausende an. Eine Frage des richtigen Timings in dem System also. Und der Grund, weshalb wohl nur wenige Typ Ia-Supernovae die gleichen Charakteristika wie SN 2002ic zeigen. Was den Astronomen zur Beruhigung gereichen sollte: Mögen beim ersten Blick auch seltsame Linien in den Spektren erscheinen – im Grunde ihres Herzens sind wohl doch alle Supernovae vom Typ Ia gleich. Eben kein Maßband aus Gummi.

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