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News: Externe Blutfilter ermöglichen neue Behandlungskonzepte

Wie kann man einem Patienten eine Arznei verabreichen, ohne daß er sie in seinen Körper aufnehmen muß? - Eine Antwort auf diese paradox klingende Frage hat die Arbeitsgruppe Pharmakologische Hämostaseologie am Klinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena gefunden: Ihre externen therapeutischen Systeme bestehen aus einem Biokunststoff-Filter, der wie eine Umleitung an den venösen Blutkreislauf angeschlossen wird.
Den Schlüssel für dieses System bildet das Zusammenwirken von sogenannten PMMA-Kunststoffen und einer PEG-Kupplung, mit deren Hilfe Arzneimittel und Wirkstoffe fest mit der Filteroberfläche verkettet werden. Mit diesen externen Systemen wird vermutlich in absehbarer Zeit jede im Blut transportierte Substanz gezielt ausgefiltert werden können: von Alkohol über Krebssignalstoffe bis hin zu Viren.

Gefunden hat das Team um Prof. Dr. Götz Nowak von der Friedrich-Schiller-Universität Jena dieses Prinzip durch einen Zufall. Eigentlich suchten die Wissenschaftler nach einer Möglichkeit, den Blutegelwirkstoff Hirudin länger im Kreislauf von Dialysepatienten zu halten. Hirudin verhindert Blutgerinnsel, die sich besonders leicht an der Kunststoffoberfläche von "künstlichen Nieren" bilden. Als die Jenaer Forscher mit einem um zwei Polyethylenglykol-(PEG)-Ketten verlängerten Hirudin experimentierten, stellten sie zu ihrer Verwunderung fest, daß dieses veränderte PEG-Hirudin sich bevorzugt an dem plexiglasartigen Biokunststoff Polymethylmethacrylat (PMMA) anlagert.

Schnell war die Idee geboren, daß man nun den Thrombosehemmer Hirudin den Patienten nicht mehr in die Vene spritzen muß, sondern die künstliche Niere selbst mit dem Wirkstoff gleichsam "beschichtet". Die PEG-Gruppe arbeitet wie eine Hundeleine, die das Hirudin physiko-chemisch an die Kunststoffoberfläche fesselt, so daß es jenes hochspezifische, die Blutgerinnung auslösende Enzym Thrombin aus dem vorbeiströmenden Blut herausfiltert. "Wir koennen ein Dialyse-System so hoch beschichten, daß über Wochen hinweg keine Gerinnungsgefahr besteht", erläutert Prof. Dr. Götz Nowak. Inzwischen laufen Patentanträge für diesen Mechanismus.

Parallel dazu hat Nowaks Arbeitsgruppe schon den nächsten Denkschritt vollzogen. Denn nach demselben Prinzip läßt sich theoretisch auch jeder andere Wirkstoff aus dem universellen Transportmedium Blut ausfiltern: Bestimmte Enzyme oder Botenstoffe, Cholesterin oder Alkohol, ja selbst Krankheitserreger.

Entscheidend für das therapeutische System sind dabei drei Bedingungen: erstens bedarf es eines jeweils spezifisch wirksamen Antigens, Antikörpers oder Wirkstoff-Antagonisten, zweitens muß er mit Polyethylenglykol kombinierbar sein, und drittens ist für eine hohe Wirksamkeit eine möglichst große Filteroberfläche vonnöten. Nowaks Team arbeitet nunmehr mit wenige Mikrometer kleinen Kunststoffpartikeln, die ähnlich wie ein Aktivkohlefilter optimal große Oberflächen erzeugen; ganze Fußballfelder passen praktisch in das Volumen eines Reagenzglases. Aber der besondere Kniff, daß das angewandte Medikament außerhalb des menschlichen Körpers zum Einsatz kommt, hat auch eine interessante "Nebenwirkung": Der Arzneiwirkstoff ist für die körpereigene Immunabwehr quasi unangreifbar geworden, und somit können selbst Wirkstoffe eingesetzt werden, die sonst vom Körper sofort unschädlich gemacht würden. Besonders wichtig wird dieser Effekt, wenn körpereigene Signalstoffe beeinflußt werden sollen, die zum Beispiel den Blutdruck oder auch die Immunabwehr steuern.

Das PEG-Prinzip birgt damit eine Fülle neuer hochwirksamer Anwendungsmöglichkeiten, die zumeist im Detail noch nicht hinreichend erforscht sind. Klar ist jedoch, daß der Schritt von der Forschung bis zur klinischen Praxis in vielen Fällen nur sehr kurz sein wird.

Eines der Spezialgebiete von Dr. Elke Bucha im Jenaer Team sind Experimente, bei denen eine PMMA/PEG-Kombination auf feste Oberflächen aufgeklebt wird. Konkret: Auf diese Weise könnte ein hochkonzentrierter Botenstoff auf Gelenkprothesen oder Knochenersatzmaterial aufgebracht werden, um Knochenwachstum punktuell zu fördern. Besonders ältere Menschen mit nur schwer heilbaren Brüchen könnten davon profitieren. "Aber wir denken auch schon weiter: etwa an Mikrochips und Biosensoren", weist Götz Nowak auf zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten hin.

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